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Glück und Glas, wie leicht bricht das?!

Seit einer ganzen Weile beschäftigt sich der Wahl-Frankfurter Yared Hagos nun schon in seiner Bar The Parlour mit der Wirkung vom richtigen Glas auf den Gast. Doch steht der Becher in diesem Fall nicht nur für die optische Veränderung der Drinks, sondern markiert gleichermaßen eine Kehrtwende des Konzepts. Auf zu neuen Ufern also, im Gepäck Innovation und Neubelebung. MIXOLOGY-Autor Philipp Gaux hat das Frankfurter Urgestein getroffen.

Es gibt da so ein Sprichwort, was nicht nur aufgrund der in ihm enthaltenen Paronomasie das ein oder andere Schmunzeln hervorbringt, sondern ebenfalls eine frappierende Wahrheit aufweist. Ihrer war sich auch Carl Joseph Neckermann bewusst, als er einst meinte: „Wer nicht mit der Zeit geht, geht mit der Zeit“. Zugegeben, ein erschreckend nüchternes Zitat, das aber genau den Zahn der Zeit trifft. Hopp oder Top, auch in der Bar.

Auf Nummer Sicher

Eine Zeit lang wirkte es so, als hätte man die neue Erfolgsformel für das funktionierende Barkonzept gefunden, orientierte man sich doch an der leicht verstaubten Fantasie des Gastes, die Bar zum archaischen Wohnzimmer werden zu lassen. Speakeasy-Renaissance taufte man diese Entwicklung. Hosenträger, Fliege und Béret waren und sind ihre Accessoires. Rund um den Globus entstanden zahlreiche dieser Orte, an denen noch heute Barklassik mit geschliffenen Gläsern und überbordenden Garnituren zelebriert wird. So verlockend das Betreten eines solchen Etablissements und das damit verbundene Eintreten in eine andere Zeit (ohne laute Musik, grelle Farben, Designerklamotten) auch scheint – man darf die Risiken dahinter nicht vergessen. Denn bei allen Lobeshymnen auf die alte Zeit, so bleibt nicht selten wenig Spielraum für Experimentierfreudigkeit und bahnbrechenden Innovationen. Das Gerüst dessen, was viele heute „Speakeasy“ nennen, engt ein wie ein Korsett.

Unbeugsam und bemüht

Genau das störte Yared, dessen The Parlour im Grunde von Außen selbst wie ein Speakeasy wirkt und eine Türklingel als ersten Gastgeber Richtung Gast schickt. Doch siedelt Hagos das Charakteristikum eines Speakeasy weitaus nicht bei Äußerlichkeiten wie dem fehlenden Schild oder abgeklebten Fenstern, sondern viel eher in der gastronomischen Ausrichtung einer Bar an. Und genau dieser galt es ausdrücklich fern zu bleiben. Folglich wird im „Parlour“ lockere Atmosphäre und moderne Gastfreundschaft gelebt, ohne der Vergangenheit ein Tribut zu zollen. „Wir finden die neue Zeit viel geiler als früher, und die Zukunft noch viel geiler. Wir leben nicht gerne in der Vergangenheit, heutzutage hat man ganz andere Möglichkeiten“, so Yared Hagos. Diese Abkehr von traditionellen und mittlerweile als Modeerscheinung in zahlreichen Bars bewährten Mustern bildet den Kernpunkt von Yareds Philosophie.

Auf das Glas gekommen

So setzt das Team seit Neustem wieder einmal Impulse durch die Verwendung zunächst untypisch erscheinender Glasware. Dünnwandige, moderne und puristische Gläser also, die eine besondere Haptik aufweisen und einen hochwertigen Charakter haben. Auch wenn der Gast vorab die ihm neu präsentierten Gläser kritisch beäugt und klare, kantige, dünnglasige Formen fälschlicherweise mit Qualitätsabfall gleichsetzt, so war die Entscheidung doch reine Herzenssache. „Immer nur hochwertige Kristallgläser, aber ich kann diese Gläser nicht mehr sehen“, meint Yared. Er fährt fort: „Fünf davon aus dem Supermarkt, fünf auf dem Flohmarkt erstanden und fünf hat mir Oma vererbt. Jedes Glas für einen anderen Drink. Hiermit nur Martini, damit nur Manhattan. Es ist cool in ein bis zwei Bars, aber heute verlässt sich jeder drauf. Es scheint mir manchmal, als wären letztlich überall die gleichen Gläser im Umlauf.“

Ganz nebenbei verloren gehen in dieser Argumentation außerdem nicht unwesentliche Punkte des Stauraums und des Zwecks. Des Weiteren spielt auch die Sensorik bei der Auswahl der neuen Gläser eine wichtige Rolle, was das Parlour-Team dem Gast sehr schnell zu vermitteln weiß. Und doch steht die Wahl nach dem richtigen Behältnis natürlich ebenfalls im Einklang mit der neuen Karte, die ganz dem Thema „Colors“ gewidmet ist und ganz dem Namen nach farbliche und optische Höhepunkte setzt.

Auch hier war wieder ein quasi-revolutionärer Gedanke Vater der Idee: „Wir wollten den Gästen einfach eine andere Möglichkeit der Entscheidung geben. Über die Farbe sollen Assoziationen zu Lebensmitteln und Aromen geschaffen werden“, so der Barbesitzer. Auch stellt dies die verspielte aber durchaus ernste Weitergabe an den Gast dar, sich von Gefühl und Stimmung inspirieren und lenken zu lassen.

 Rock ’n’ Roll mit Verstärker

Schlussendlich ist der neue Impuls zur richtigen Zeit in der Sicht Hagos’ der eigentliche Dreh- und Angelpunkt für den Erfolg einer Bar. „Wenn alle das Gleiche machen, dann ist es höchste Zeit, mal etwas Neues zu machen. Sonst merken die Gäste, dass man nur eine Bar von vielen ist“. Dies gilt im Umkehrschluss auch für die Signature-Drinks, die in der Frankfurter-Bar feilgeboten werden und ihre Inspirationen nicht aus Althergebrachtem verliehen bekommen, sondern in zeitaufwendiger und oft mühsamer Arbeit vorbereitet und vor dem Gast effizient umgesetzt werden. Eigenkreationen mit spielerischer Komponente weitab vom Mainstream, eine Einstellung Hagos, der die Barlandschaft mitunter ebenfalls kritisch beäugt.

„Die meisten Bartender sind wie Bands, die nur Coverversionen spielen. Gut oder nicht gut, eigene Interpretationen. Der eine jazzt, der andere macht HipHop, der Dritte Rock. Aber die Lieder sind ja schon geschrieben. Und vor 1-2 Jahren haben wir uns dazu entschieden, einfach mal ins Studio zu gehen und neue Sounds zu machen“, meint er selbstbewusst, aber augenzwinkernd.

Zwischen Glas und Lippe gibt’s so manche Klippe

Doch darf bei all der Selbstverständlichkeit von Yareds Worten immer noch nicht vergessen werden, dass nicht jedem Konzept in jeder Stadt die gleiche Resonanz widerfährt. So ist das modern-elegante The Parlour mit Frankfurt in einer Großstadt von internationalem Rang beheimatet und weiß sich ob der Aufgeschlossenheit und des kosmopolitischen Denkens seiner Gäste in ihrer Veränderung zu rechtfertigen.

In mittelgroßen Städten allerdings: ein ganz anderes Bild. Hier kann das Wagnis schnell in Scheitern umschlagen und moderner Veränderungswille rasch zum Anfang vom Ende werden. Auch daher ist eine Bar immer nur so progressiv, wie ihr Publikum es zulässt und findet auch in diesem wahrhaftig seinen Spiegel. Genau deswegen ist Kommunikation und das Offene Ohr auch das Wichtigste in der Bar, denn über sie erfahren wir nicht nur so manch hervorragende Idee, sondern auch Verbesserungsvorschläge und kritische Anmerkungen.

Einer Bar zur richtigen Zeit durch gezielte Impulse neues Leben einzuhauchen ist eine Königsaufgabe. Viel zu groß häufig die Selbstverliebtheit und das Festhalten am Gewohnten, viel zu häufig Betriebsblindheit und Routine vorherrschend, die das Kartenhaus zum fallen bringen. Doch Risiken werden auch belohnt, man muss sie nur einschätzen können und sich ihrer zunutze machen. Yared Hagos und sein The Parlour sind da ein positives Beispiel, das allerdings auch nötigen Pioniergeist und gründliche Selbstreflexion voraussetzt. Ist ihr Glas nun halbvoll oder halbleer? Es ist wie immer eine Frage der Einstellung! Auf jeden Fall ist das Glas nicht dasselbe wie in so vielen anderen Bars.

Credits

Foto: Y. Hagos via Gili Shani

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