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Goa und sein Schnaps: Die Magie von Feni

Alle kennen Cashewnüsse. Aber was ist eigentlich mit dem Cashew-Apfel? Aus dem wird im indischen Küstenstaat Goa ein Schnaps gemacht: „Feni“. Und vor allem ein Mann kämpft dafür, den fast verschwundenen Cashew-Brand vor dem Vergessen zu retten.

Wenn der Schnapsbrenner seine Arbeit getan hat, rückt er einen Schemel unter den Mangobaum und zündet sich eine Beedi an. Aus der indischen Zigarette steigt Rauch hinauf in das Blätterdach, kräuselt sich in der schwülen Luft und verströmt süßlichen Duft. Beedi für Beedi raucht der Schnapsbrenner, und wenn er den fünfzehnten Stumpen in der roten Erde ausdrückt, fließen die ersten Tropfen des Destillats aus dem Hahn. Und weil der Schnapsbrenner einen Schwur abgelegt hat, niemals Alkohol zu trinken, nimmt er zwei kleine Chai-Gläser und gießt den Schnaps vorsichtig von einem Glas ins andere. Seine alten Augen prüfen den Brand: Wie viele Bläschen bilden sich? Wie lange dauert es, bis sie platzen?

„Und so kann er erstaunlich akkurat den Alkoholgehalt bestimmen!“, beendet Hansel Vaz seine Erzählung. Vaz, Gründer von Cazulo Premium Feni, erzählt die Anekdote mit Enthusiasmus. Es ist die faszinierende Geschichte von Feni, einer ausgefallenen Spirituose, in der die Einflüsse Lateinamerikas, Portugals und des indischen Subkontinents zu einem einzigartigen Brand zusammenfließen. Eine Geschichte, die außerhalb Goas kaum einer kennt. Und die niemand so gut erzählen kann wie Hansel Vaz.

Goa-Schnaps Feni und die Magie des Primitiven

Der 36-Jährige steht vor seinem Spirituosengeschäft an einer palmengesäumten Straße am Rand von Colva. Jetzt um die Mittagszeit rattern Mofas und Rikschas in den Küstenort und Vaz, der mit seinen weichen Zügen und dem Buddha-Bäuchlein wie ein großes Baby wirkt, schmort in der senkrechten Mittagssonne. Dicke Schweißperlen rinnen seine Schläfen hinab. „Wein und Whiskey sind eine Kunst“, sagt er dann, „aber Feni ist Magie. Es gibt keine Regeln. Feni ist einfach, primitiv, authentisch. Und die Welt ist gerade erst dabei, ihn zu entdecken.“

Hansel Vaz ist Feni-Philosoph, der Cashew-Brand ist seine Mission. 2012, als er noch für einen Mineralölkonzern in Neuseeland arbeitete, übernahm er die kleine Destillerie seiner Eltern. 2015 gab er den gut dotierten Job auf und startete die Marke Cazulo. Mittlerweile liegt die Jahresproduktion bei 65.000 Litern. Noch ist die Marke ein teures Hobby, Geld verdient Vaz mit dem kleinen, gut sortierten Spirituosengeschäft. Wem im Süden Goas der Sinn nach einem trockenen Gin oder einem guten Barbados-Rum steht, der kommt zu „Vaz Enterprises“ – im Sommer sogar Portugals Premierminister António da Costa, Nachfahre von Goanern.

So urig, dass mancher Mezcalero neidisch wird
Der Cashew-Apfel muss von alleine runterfallen. Nur dann ist er reif.

Die Hippies sind nur das letzte Kapitel des Historie

Zwei Autostunden ist man hier von den Traumstränden entfernt, für die Goa auf der ganzen Welt bekannt ist. Dort fusionieren Strandleben und Trancemusik zu einem hedonistischen Neohippie-Lifestyle. Doch die Geschichte des kleinsten indischen Bundesstaates ist viel älter.

Hansel Vaz tupft sich den Schweiß von der Stirn, setzt sich ans Steuer seines Ford EcoSport und macht sich auf den Weg zu seinem Verkostungsraum mitten im Dschungel. Es wird eine halbstündige Fahrt vorbei an üppigen Palmenhainen und malerischen Dörfern, wo kleine Kapellen vom Erbe der Portugiesen zeugen und schwarze Wildschweine in der roten Erde nach Essbarem stöbern. Hansel Vaz nutzt die Zeit für eine Nachhilfestunde in der wechselhaften Geschichte seines Heimatstaates.

„Goa war schon immer westlicher ausgerichtet als der Rest Indiens“, sagt er, „wir hatten immer eine Trinkkultur.“ 1510 landeten die Portugiesen und blieben 450 Jahre lang. Goa war ihr Tor zu Asien, von hier verwalteten sie ihre Kolonien. Und sie hatten eine kleine, nierenförmige Nuss im Gepäck, die sie im Nordosten Brasiliens entdeckt hatten. Cashew, süßlich und mild, stieß in Indien nicht nur auf perfekte Bedingungen, sondern auch auf ein erfinderisches Volk: „Um etwas Neues zu schaffen, braucht es dieses Extra-Quäntchen an Vorstellungskraft“, erklärt Vaz. „Überall sonst auf der Welt – in Afrika, Südamerika, selbst im Rest Indiens – nutzt man nur die Nuss. Aber wir in Goa hatten die Idee, die vergorenen Cashewäpfel zu destillieren.“

Der Schnaps auf Goa wurde als Billigschnaps eingestuft

Ihren Obstbrand nannten die Goaner Feni. „Feno“ – das bedeutet in der Eingeborenensprache Konkani „Bläschen“. Bläschen, die aufperlen, wenn man eine Flasche Feni schüttelt, Bläschen, die der Schnapsbrenner mit scharfen Augen taxiert. Als 1961 die Inder in Goa einmarschierten, wurde Feni als country-liquor eingestuft, minderwertiger Fusel. Seitdem fristet er ein Dasein als Billigschnaps. In den Krämerläden der Region stehen Plastikflaschen, 60 Rupien der Viertelliter, kaum ein Euro. In den Bars ist Feni meist der günstigste Drink. „Gott sei Dank“, lacht Hansel Vaz, „denn nur so konnte Feni unser kleines Geheimnis bleiben. Und nur deswegen wird er bis heute nach demselben Prozess gebrannt, den Chronisten schon vor 400 Jahren beschrieben haben. Bei Whiskey, Tequila oder Rum hat sich der Herstellungsprozess dagegen weit vom Ursprung entfernt.“

Der Ford hat mittlerweile Cansaulim erreicht, ein tropisches Fischerdorf. Hansel Vaz bringt das Auto vor einer Reihe knorriger Bäume zum Stehen. Die Kronen sind ausladend, die Blätter ledrig und rund. Hier beginnt die Cashew-Plantage von Hansel Vaz, die sich über einen sanften Hügel zieht. Auf einer Lichtung unter Kokospalmen hat der Feni-Fan seinen Verkostungsraum errichtet, die Front des Ziegelbaus leuchtet zitronengelb. Einmal im Monat führt er hier im kleinen Kreis Verkostungen durch. Heute ist Tejinder Singh aus dem fernen Delhi angereist, Turban, Hemd, sorgfältig gepflegter Bart. Am Wochenende hat er in einer großen indischen Tageszeitung von Vaz᾿ Feni-Projekt gelesen.

Vaz zeigt über den Hügel und erzählt, wie im Sommer die Frauen und Kinder mit Eimern auf die Plantage gehen, Cashewäpfel sammeln. Der Baum dürfe dabei nicht geschüttelt, die Äpfel auf keinen Fall von Hand gepflückt werden: „Der Apfel muss von alleine herunterfallen. Nur dann ist er komplett gereift und enthält alle Zuckersorten.“

Die Nüsse werden für den Verkauf getrennt, die Äpfel in einem gemauerten Becken aus Vulkangestein gesammelt. Gestampft wird mit bloßen Füßen. „Eine beliebte Bestrafung für ungezogene Kinder“, zwinkert Vaz. »Wer seine Hausaufgaben nicht gemacht hat, muss nachmittags zum Stampfen.“

Cashew-Schnaps Feni steht auch für eins: Vielfalt

Die Hefe und die Äpfel, es ist alles wild auf Goa

Er ist im Schatten eines großen Mangobaums angekommen. Zwölf bauchige Tonkrüge lagern hier im Halbkreis, zur Hälfte in der roten Erde vergraben. Drei Tage fermentiert in ihnen der Saft. Wilde Hefen aus der Luft verwandeln den Zucker in Alkohol. „Dem großen Spektrum von Zuckersorten und Wildhefen verdankt Feni seinen komplexen Geschmack“, schwärmt Vaz. Die Destillation findet nur ein paar Schritte weiter statt. Unter einem Ziegeldach, das auf ein paar morschen Holzpfeilern ruht, steht ein Rund aus gemauertem Vulkangestein. „Neben Mezcal ist Feni der einzige Schnaps, der noch mit Feuerholz gebrannt wird“, erklärt er, „alles ist so, wie es mein Großvater gemacht hat.“

Nur einen Eingriff erlaubt er sich – eine Kupferspirale, die überschüssigen Schwefel entfernt. Der erste Destilliervorgang ergibt ein Getränk namens Urak, durchaus trinkbar und fruchtig, doch nach ein paar Wochen verflachen die Aromen. Der zweite Durchgang läuft bei niedriger Temperatur: „Es gibt kein Messinstrument und kein Handbuch, alles ist im Kopf des Schnapsbrenners.“

Dann erzählt er noch einmal die Geschichte seines Schnapsbrenners, der hier auf dem Schemel sitzt und die Zeit misst, indem er Beedis raucht. Am Ende sind aus hundert Litern Cashewsaft achtzehn Liter Feni geworden, Alkoholgehalt 42 % Vol. – und 58 % fruit water. „Feni ist weltweit fast die einzige Spirituose, die direkt auf Trinkstärke destilliert wird“, erklärt Vaz. „Und weil wir kein Wasser hinzufügen, ist Feni so reich an Estern und Aromen.“

Feni ist ein Brand, der nicht brennt, sondern glüht

Im fensterlosen Verkostungsraum wartet eine lange Tafel, an der Decke wühlt ein Ventilator die heiße Tropenluft um. An jedem Platz stehen drei Wassergläser, auf einem Holzbrett sind Feigen, Mandeln und gedörrte Aprikosen angerichtet, dazu getoastetes Reisbrot und Baguettes mit Chorizowurst. Hansel Vaz präsentiert hier die drei Sorten seiner Hausmarke Cazulo – Portugiesisch für Glühwürmchen. „Feni brennt nicht“, begründet er die Namenswahl. „Er verursacht ein angenehmes Glühen im Magen.“ Zunächst serviert er Cazulo Cashew Feni: Die viereckige, nach oben bauchig ausladende Flasche mit dem roten Label beinhaltet den Klassiker aus dem Hause Cazulo. Tropische Aromen steigen in die Nase. „Im Gegensatz zu Whiskey entfaltet Feni sein Aroma mehr in der Nase als auf der Zunge“, erklärt er. Im Mund entsteht dann ein vielschichtiges Geschmacksbild, Zitrusfrüchte, Guaven, Pfeffer. Vaz reicht dazu ein festes Gelee aus Guavenfrüchten.

Weiter geht es mit „Cazulo Coconut Feni“. Denn der Begriff Feni, erklärt Vaz, beschreibt auch eine Produktionsmethode. So wie sich Vodka aus Getreide oder Kartoffeln gewinnen lässt, kann man auch Feni aus diversen Ausgangsstoffen destillieren – in diesem Fall aus der Kokosnuss. Wer hier an „Malibu“ denkt, liegt völlig daneben. Vom Geruch her überraschend leicht, steigen im Mund Aromen von Sauerteig auf. Seine 42 % Vol. schmeckt man dem Coconut Feni nicht an. Besitzer Hansel Vaz empfiehlt ihn zu Chili oder scharfer Chorizowurst. Außerdem ließen sich damit viele Tequila-Cocktails zubereiten.

Cashew, Kokos, Sarsaparilla!

Das Edelprodukt aus dem Hause Cazulo ist aber der „Dukshiri“ – ein Coconut-Feni, versetzt mit dem lateinamerikanischen Pflanzenextrakt Sarsaparilla. In der Nase breitet sich zunächst ein Hauch von Erdnussbutter aus, gefolgt von Tonerde. Im Geschmack schlägt dann ein rauchiges Bouquet von Vanille und Karamell durch. Eigentlich, sagt Vaz, habe Dukshiri Feni in Indien einen negativen Beigeschmack. Ein Dukshiri-Trinker, das sei jemand aus einer niedrigen Kaste. „Bei uns“, sagt Vaz, „ist es der stylischste Drink des Hauses.“ Alle vier Monate würden nur 500 Liter abgefüllt.

Als er mit Cazulo anfing, sagt Vaz, hätte man ihn ausgelacht. Wer würde sich schon für Feni interessieren, diesen alten Fusel? Die alten Feni-Meister ließen sich von dem jungen Mann nur ungern ihre Geheimnisse entlocken. „Finde es selbst heraus!“, hieß es. Heute respektieren sie ihn nicht nur – sondern stellen ihm die Fragen.

Denn Hansel Vaz ist nicht nur Besitzer von Feni Cazulo. Er versteht sich als Botschafter einer ganzen Industrie. Er möchte weg vom Fusel-Image, möchte die Qualität verbessern, ohne die Tradition zu verwässern. Eine Gratwanderung. Nach alter Tradition muss Feni dort gebrannt werden, wo er angebaut wird, die Chargen liegen oft nur bei fünfzig Litern alle drei Tage. Eine Feni-Fabrik, sagt Vaz, wäre ein Sakrileg. „Feni kann nur auf traditionelle Weise hergestellt werden. Für die Goaner ist er ein Teil ihrer Kultur, sie legen viel Herzblut in die Herstellung.“

Goa und sein Schnaps werden berühmt sein – aber nicht um jeden Preis

Dabei haben die ersten großen Spirituosenkonzerne schon bei ihm angeklopft. Doch Vaz fürchtet den Ausverkauf: „Ich will nicht, dass Feni der neue Tequila wird. Welche große Tequilamarke wird heute noch von einem Mexikaner geführt? Ich muss ihnen ihre Absichten abnehmen: Wollen sie nur Geld machen? Oder wollen sie die lokale Industrie fördern?“ Die sei aber noch klein, müsse organisch und gemeinsam wachsen. Deswegen will er die Zeit nutzen, seine Marke langsam aufzubauen.

Außerdem bestünden die großen Konzerne auf Uniformität. Jede Charge Feni habe aber ihren eigenen Geschmack. „Der Charme der Imperfektion“, schmunzelt Hansel Vaz. Trotzdem ist er sich sicher: „Eines Tages wird Feni berühmt werden. Und dann müssen wir bereit sein.“

Credits

Foto: Airen

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