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Hoch oben und noch weiter hinaus: Yannik Walter und das Golvet

Nach einigen Jahren im Stagger Lee ist Yannik Walter im Golvet in der Potsdamer Straße angekommen. In der Kombination aus Bar und einer Küche wie jener des bekannten Sterne-Restaurants sieht er seinen nächsten Schritt, und das erste Ergebnis kann sich schon mal sehen lassen.

Ein verglastes Bürogebäude, wie so viele andere in diesem Teil Berlins. Vielleicht ein bisschen weniger eckig als die gräulichen Betonklötze nebenan. Auf den Scheiben im Erdgeschoss steht GOLVET, daneben zwei Meter roter Teppich, eine kurze Kordel, zwei goldene Absperrständer – mehr verrät nicht, dass man sich vor der Tür eines der gefragtesten Restaurants der Stadt befindet.

Aber auch Drinks und Bar waren hier von Anfang an ein Thema. Die letzten Jahre wurden diese von Andreas Andricopoulos geprägt. Nun, seit wenigen Monaten, ist Yannik Walter dafür verantwortlich. Gut gelaunt öffnet der neue Barchef die Tür des Restaurants im achten Stock, mit einem warmen Händedruck geht es einmal durch den Gastraum Richtung Tresen.

Der Beercules
Yannik Walter ist im Golvet angekommen
Der Green Thunder

Die Voreingenommenheit nehmen

Was unten noch in einem fast schon irritierenden Understatement beginnt, wird oben durch Opulenz wieder wettgemacht. Im halbrunden, vollverglasten Restaurant stehen die Tische um eine offene Küche. Gut zwei Drittel davon sind bereits belegt, die Luft erfüllt von gut gelaunt schnatternden Gästen aller Couleur. Untermalt wird die Kulisse von unterschwelligem House.

Die Decke des großen Raumes ist mit dunklen Holzstäben verkleidet, der Boden ebenfalls in dunklem Holz gehalten. Zwischen den Fenstern laufen rote Neonröhren, die den Ausblick akzentuieren. Und der hat es in sich. Vom Fernsehturm über die Wolkenkratzer am Potsdamer Platz bis zur Sendeanlage des Tempelhofer Feld können die Gäste so ziemlich alles sehen, was Berlin an hohen Bauwerker zu bieten hat.

Yannik Walters Reich, der Tresen, befindet sich am Ende des Raums. Auch er ist in zurückhaltendem Dunkel gehalten, die Servierfläche ist aus Kupfer, die Seite zum Bartender hin aus weißem Marmor; hinter der Bar ein gelber Spiegel, in dem die Skyline reflektiert. Bar und Fine Dining – geht das zusammen? Sehr gut, sagt der gebürtige Hannoveraner. Auch wenn manchmal eben ganz anders. „Zu Beginn hatte ich einen Aperitif als Alternative zum Champagner kreiert, der Tequila als Basis hatte. Davon haben wir in einer Woche höchstens zehn Stück verkauft. Die Leute haben zum einen immer noch ein schlechtes Bild von Tequila als Erinnerung an jugendliche Besäufnisse und Kopfschmerzen. Oder sie verbinden Tequila mit Shots nach dem Essen.“

Das Golvet legt Wert darauf, dass Gäste auch ohne Restaurantbesuch herzlich willkommen sind

Golvet Bar

Potsdamer Straße 58
10785 Berlin

Mi - Sa ab 18:30 Uhr

Willkommen im Dragee-Land

Die diesbezügliche Voreingenommenheit brachte Yannik Walter auf ein neues, ausgeklügeltes Konzept, das es so bisher nicht gab. Statt den Gästen weiterhin eine Karte mit Drinks vorzulegen, bekommen sie im Golvet jetzt drei verschiedene, alkoholhaltige Dragees serviert. Diese kommen – wir sind schließlich in einem Sternerestaurant im achten Stock – in einer goldverzierten Schachtel in die Hände der Gäste. Die Dragees in den Farben Rot, Grün und Gelb stehen für drei verschiedene Aromenwelten, für die sich dann nach ausgiebigem Probieren entschieden werden kann.

„Wir wollen die Gäste einladen, unvoreingenommen zu erkunden. Deswegen verraten wir auch nicht, was in den einzelnen Dragees drinnen ist. Lustigerweise entstehen oft dieselben Assoziationen, Früchte und Campari bei Rot, Waldmeister bei Grün. Das liegt an der optischen Wahrnehmung, vermute ich, denn beides ist nicht in der Zutatenliste. Was sich wirklich darin befindet, verraten wir aber bis zum Schluss nicht!“, freut er sich bei den ersten sensorischen Gehversuchen der Gäste.

Haben diese sich für eine der drei Aromenwelten entschieden, bekommen sie die Cocktailkarte vorgelegt. Diese bricht noch einmal deutlich mit dem steifen Stereotyp eines klassischen Sternerestaurants. In drei knallbunten Comicstrips des „Golvet Universe“ verwandelt sich pro Seite ein Charakter mit Hilfe eines der Dragees in einen selbst erfunden Superhelden, daneben gibt es vier Drinks, die sich im Namen an ihre Helden anlehnen. Darunter befinden sich je ein Aperitif, ein Longdrink und ein etwas stärkerer Shortdrink.

Ein bisschen Revolution

Diese neue Art der Herangehensweise komme bei den Gästen sehr gut an. Nicht nur steigere es die Interaktion zwischen diesen, während sie probieren, auch öffne sie für viele Leute eine Bereitschaft, sich neuen Drinks und Zutaten zu öffnen. Wie zum Beispiel besagtem „Tequila Boy“, der vor den Dragees noch verschmäht wurde, mittlerweile jedoch zu den meistverkauften Drinks gehört.

„Das funktioniert hier natürlich auch deswegen so gut, weil wir durch unser Restaurant schon ein sehr interessiertes und aufgeschlossenes Publikum haben. Und eben auch einfach mehr Zeit. In einer klassischen Bar, in der es einen viel höheren Output gibt, fehlt es an Zeit, so experimentell an die Sache heranzugehen. Aber wie man einen Gast zum Drink bringt, haben wir damit schon ein bisschen revolutioniert“, ordnet ein stolz schmunzelnder Walter die Tauglichkeit dieses neuen Konzepts in die Realität des Baralltags ein.

Doch zur allgemeinen Freude hat Walter eben genau diese Zeit im Golvet, die es ihm ermöglicht, zu probieren, zu erfinden und manchmal sogar zu revolutionieren. „Wenn die Küche Rhabarber benutzt, dann schneiden sie Strunk und Blätter weg. Dabei haben die genau dasselbe Geschmacksprofil. Das nutze ich dann in meinen Drinks“ erklärt er, wie Bar-Cuisine im Golvet umgesetzt wird. Auch der Wein des Sommeliers findet, wenn angebrochene Flaschen am Ende des Abends übrig sind, regelmäßig den Weg in die Drinks. Das eröffnet Zugriff auf neue Formen von Säure und Süße, während gleichzeitig eine schöne Farbe entsteht.

Der Golverin
Der Sakura Samurai
Der Tequila Boy

Der aktuelle Beststeller nennt sich „Beercules“

Es ist das erste Mal für Walter, dass er in so einer gastronomischen Mischform arbeitet. Die erste Station in Berlin war für ihn die Amano Bar. Fünf Jahre ist das jetzt her. Roberto di Pasquali hatte ihm dort eine Stelle angeboten, nachdem sich die beiden bei einer Gastschicht im Bukowski in Hannover kennengelernt hatten. Bei di Pasquali lernte er, so Walter, Hospitality. Zum anderen aber auch eine große Packung Resilienz, die es in den unvermeidbar stressigen Stoßzeiten hinter der Bar braucht. „Roberto und ich sind immer noch gute Freunde“, lacht er, während er gefrorenes, grünes Granité aus einem Container kratzt und in ein Glas gibt.

Der „Beercules“ ist der aktuell meistbestellte Drink der Karte. Er ist Yannik Walters Interpretation des Klassikers der Berliner Weissen mit Schuss. Und dabei gleichzeitig ein Sinnbild für seine Art, zu arbeiten. Zum einen ist da das bis ins letzte ausgeklügelte Granité. Dieses besteht aus zwei Teilen, von denen einer bei der Bierzugabe schmilzt, während der andere, dank veganer Gelatine, als grüner Eisbrocken das Bier kühlt. Und zum anderen der Waldmeister selbst, den er im angrenzenden Tiergarten gepflückt hat. Denn das lokale und nachhaltige Arbeiten ist ein grundlegender Anspruch in Walters Arbeit. Daraus entwickelte sich auch die Idee, Champagner- und Rieslingreste aus angebrochenen Flaschen des Vortags als Basis für das Eis zu nutzen.

Das Ergebnis ist ein Drink, in dem die Weisse die charakteristische Waldmeisternote angenehm trägt, während die Weinsäure eine ungewohnte Frische beisteuert, fernab der oft übersüßen Vorlage. Ein absoluter Liebling der Gäste, so Walter. Wenn er, wie jetzt, von solchen Momenten spricht, leuchten seine Augen. Die neuen Möglichkeiten des Golvet, ein eigener Kräutergarten auf dem Personal-Balkon, die enge Zusammenarbeit mit der Küche – all das eröffnet dem ambitionierten Tüftler neue Wege, die er mit seiner schier unerschöpflich scheinenden Energie am liebsten alle gleichzeitig in Angriff nehmen würde; nicht selten in Rücksprache mit Küchenchef Jonas Zörner. Die Küche sei der Bar in vielen Dingen schlicht nach wie vor um Längen voraus, da könne man als Bartender noch so manches lernen, sagt Walter.

Yannik Walter ist ein Freund des Garnish

Und lernen will er. Nicht zuletzt hat er sich deswegen entschieden, seine langjährige Heimat, das Stagger Lee, zu verlassen, um zu neuen Ufern aufzubrechen. „Ich liebe noch immer das Verrauchte und Verruchte an dem Laden. Aber hier oben im Golvet kann ich eben ganz anders arbeiten. Hier habe ich ständig mit Küche und Patisserie zu tun, helfe aus und kreiere eigenes.“

In letztgenannter Station entstand auch das Garnish seines aktuellen Favoriten, dem „Golverin“. Das ist ein Drink auf der Basis von Bananenrum, gesüßt mit Riesling-Süßwein, auch dieser aus dem Arsenal des Sommeliers. „Ich hatte einfach Bock auf so einen Peanutbutter-Jelly Drink, wollte aber keinen Marmeladengeschmack in den Drink geben. Also habe ich mit der Patisserie überlegt, welche Möglichkeiten es geben könnte!“

Heraus kam eine Erdnuss aus dem Kühlschrank – außen Kakaobutter, innen eben jene Marmelade, die man zwar schmecken, aber nicht gleich mittrinken soll. Für Walter als ausgesprochener Garnishfan und bekennenden Gegner des aktuell trendenden Minimalismus ein absolutes Highlight. Für den Gast eine süße Überraschung, auch wenn die angebissene Erdnuss ein wenig glitschig wird und sich dem Zugriff des genusswilligen Trinkers bisweilen entzieht.

Doch zum Glück ist das Golvet eben kein typisches Sterne-Restaurant. Soll heißen: Hier wird niemand böse angeschaut, wenn mal eben schnell Zeigefinger und Daumen im Tumbler verschwinden. Oder wie Walter es sagt „Wir haben keine steife Etikette. Hier gibt es keine Ober mit weißen Servietten. Wenn möglich, sind wir mit den Gästen per du, setzen uns auch mal an den Tisch oder geben einen Schnaps aus.“

Im Golvet greifen Zahnräder ineinander

Das familiäre Flair des Betriebs sei auch von Anfang an Teil der Erfahrung mit den Kollegen gewesen. Das ginge auch gar nicht anders, denn die Zusammenarbeit bestehe viel aus nonverbaler Kommunikation, aus Gestik und Mimik. „Wir müssen hier ineinandergreifen wie Zahnräder, sonst funktioniert das alles nicht.“

Es muss aber nicht der Hunger sein, der einen ins Golvet treibt. „Bei uns kommen auch Gäste, die nur an der Bar sitzen und trinken wollen. Das finden wir gut und das soll sich auch rumsprechen. Bei uns ist jeder willkommen.“ Die Bargäste kommen aktuell vor allem zu etwas späterer Stunde, viele auch aus der Philharmonie direkt vor der Haustür. Das seien die gemütlicheren Stunden, sagt Walter. Statt House laufe dann Old-School Rap, der komme bei jedem gut an. In Zukunft soll sowohl die alkoholfreie Begleitung als auch die alkoholische weiterentwickelt werden, nicht zuletzt mit mehr Raum in der Vorbereitungsküche und einem Rotationsverdampfer. Noch so einem Wort, bei dem Yannik Walters leuchten. Fast meint man, die Ideen dahinter schon keimen zu sehen.

Draußen und drinnen top

Und während drinnen die Zahnräder langsam immer schneller drehen, die Gäste den Hauptgang beenden und immer mehr Drinks über den Tresen wandern, sammeln sich die ersten Besucher auf dem Balkon, rauchen eine Verdauungszigarette. Während die Blicke über die Skyline wandern, von der erleuchteten Philharmonie über den Tiergarten zur goldenen Siegessäule, kommt es von ganz allein zur viel beschworenen Interaktion zwischen den verschiedenen Gästen. „Oh my God, and the Drinks … amazing!“, sagt eine Amerikanerin so laut, wie Amerikaner solche Dinge eben sagen.

Da kann man nur zustimmen.

Credits

Foto: Danny Jungslund (Aufmacher); Golvet; Cocktailfotos: Steffen Sinzinger

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