Helles aus Hellas: griechisches Craft Beer und seine mühsame Revolution
Griechisches Craft Beer und seine mühsame Revolution: Dass die Wiege der Demokratie momentan nicht sonderlich sanft geschaukelt wird, ist nichts Neues. Die von der EU auferlegten Vorgaben für den griechischen Staatshaushalt haben jedoch auch weitreichende Folgen für die griechische Craft Beer-Bewegung. Diese noch zarte Pflanze hat nämlich ganz eigene Hürden zu überwinden, blüht trotz aller Unbill allerdings langsam auf.
Der betagte Seat Ibiza tuckert gemütlich durch die überfüllten Straßen von Attika, der Metropolregion, deren Zentrum Athen ist. Das ist ein wenig so, als würde Berlin im Ruhrpott (oder der ungleich attraktiver klingenden „Metropolregion Rhein-Ruhr”) liegen, die Hälfte der griechischen Bevölkerung lebt in diesem Ballungsraum. Im Innenraum des Autos läuft ein angeregtes Gespräch zwischen zwei Organisatoren der griechischen BeerBartender Awards, Nicola Radisis und Danae Margaritidou, und ihren Gästen: Tim Hampson und Frances Brace von der British Guild of Beer Writers, sowie dem Schreiber dieser Zeilen.
Es geht um die jeweiligen Erfahrungen mit der Organisation von Bierveranstaltungen. Nicola, Sohn einer deutschen Mutter, fragt: „Als ihr die möglichen Teilnehmer der ersten Berlin Beer Week zusammengetrommelt hattet, wie viele von denen, die ihre Teilnahme und Hilfe zugesagt hatten, haben sich aus der Affäre gezogen, als es ernst wurde?” Ich überlege kurz, wer aus meiner geliebten Berliner Bierszene sich solch eines schändlichen Verrats, solch einer infamen Schmähung der Kooperationsideale der Craft Beer-Szene, schuldig gemacht hätte. „Keiner” antworte ich schließlich zufrieden.
Nicola blickt betrübt auf den ungewohnt nassen Athener Asphalt. Ein Kopfschütteln. Ein Seufzen. „So läuft das hier nicht”, braucht er nicht erst auszusprechen. Doch dazu später mehr.
Griechisches Craft Beer: Keine Bierkultur?
Wie viele europäische Südstaaten hat sich Griechenland nur wenig Bierkultur bewahrt. Der überall wachsende Wein dominierte die Hochkultur von Göttergaben in den Tempeln der Antike bis zu den modernen Vinotheken der Hauptstadt. In einem Vortrag bei der International Beer Conference im Marousi Plaza ging ein Sprecher sogar so weit, die griechische Bierhistorie auf den Zeitraum 1832 bis heute zusammenzustauchen. Das historische Datum markiert den Regentschaftsbeginn von König Otto I. von Griechenland, seines Zeichens Wittelsbacher, Prinz von Bayern und zudem dafür verantwortlich, dass das bayrische Reinheitsgebot auch heute noch in der griechischen Biergesetzgebung verankert ist.
Diese zeitliche Selbstbeschneidung der eigenen Bierkultur ist vielleicht ein wenig zu hart, schließlich belegen archäologische Funde, dass auch in der Antike Getreide zur Herstellung vergorener Getränke verwendet wurde. Da Wein aber das Getränk der Götter und Oberschicht war, wurde Bier kaum in Bild und Schrift festgehalten. Doch „kaum“ heißt nicht „gar nicht“, immerhin lehrten Dionysos und dessen Oheim Silenos, erster der Satyrn, nicht nur das Anpflanzen von Reben, sondern auch die Herstellung von Gerstensaft. Denn auch wenn es bis ins 19. Jahrhundert dauern sollte, bis professionelle Brauereien das Licht der hellenischen Welt erblickten, die Griechen tranken bereits lange davor Importware, z.B. zu den Festlichkeiten zu Ehren der Göttin Demeter.
Leiden einer jungen Bierszene
Bier gilt in Griechenland als Sommergetränk, und unter der brennenden Mittelmeersonne braucht es natürlich leichte, unkomplizierte und erfrischende Getränke. Keine guten Vorzeichen für die Schwergewichte, wie griechisches Craft Beer, welche in kühleren Ländern die Bugwelle der Bierrevolution darstellen.
Moment! Ist es nicht gerade die verwaschene Lagerbierkultur, die es Craft Beer so leicht macht, in Ländern wie Italien und Spanien Fuß zu fassen? Ist dem Genusstrinker der höhere Preis nicht umso einfacher zu vermitteln, je größer die geschmackliche Fallhöhe vom Craft Beer zur Standard-Hopfenbrause des jeweiligen Landes ist? Sollten die Griechen mit ihrem Mythos und Fix (Carlsberg Group), niederländischem Alfa (Heineken Group) und den anderen Importen der Großkonzerne sich nicht scharenweise auf das geschmacklich reizvollere und vielseitigere Produkt stürzen?
Dem könnte so sein, wäre da nicht die Wirtschaftskrise. Die Beer Academy gehörte beispielsweise zu den Vorreitern eines vielfältigen Biergastronomiekonzepts, wobei man sich dabei an deutschen Land- und Waldgasthöfen orientierte: uriges Holzinterieur, ausgestopftes Wild, deftige Speisen. Über 30 Restaurants zählte die Kette einst, nun bleiben dank Krise noch vier. Das Bierangebot ist dabei bewusst un-crafty: klassisch deutsche, tschechische, englische und belgische Marken bestimmen die Karte. Kein griechisches Craft Beer. Man hält sich, wenn auch nicht ohne Schwierigkeiten.
Die Krise treibt die Griechen zu mehr heimischem Konsum – eigentlich ein Unding in einem Land, das so viel Wert auf geselliges Speisen legt – und dort fehlen Beratung, Atmosphäre, der äußere Einfluss, der zum Ausprobieren animiert.
In dieser Atmosphäre eine neue Brauerei zu gründen, deren Überleben gerade zu Beginn überwiegend von Fassbier abhängt, welches sich wiederum fast ausschließlich in den Sommermonaten verkaufen lässt – das ist den meisten Jungunternehmern zu riskant. Die vier Gründer von Athens Microbrewery – Noctua Brewing, der einzigen Craft-Brauerei in Athen selbst, können ein Lied davon singen: Brauereibindungen bei Bars und der Unwille, in der kälteren Jahreszeit Bier zu trinken, sorgen im Winter quasi für einen Braustopp.
Preisbremse umgekehrt
Als wären ungünstige Wettbewerbsbedingungen und wenig rosige Aussichten für Neustarter in Sachen griechisches Craft Beer nicht schon genug, erhält die aufstrebende Szene rund um griechisches Craft Beer durch die horrende Besteuerung einen weiteren Dämpfer: Fünf Euro will der Staat pro 100 Liter und pro Grad Stammwürze. Stammwürze gibt an, wie viel vergärbare Stoffe in der Flüssigkeit gelöst sind, bevor es in den Gärkeller geht. Da der Gesetzgeber oftmals eine Schwankung von ca. 0,5% Vol. erlaubt, wird die Stammwürze in vielen Ländern zur Besteuerung herangezogen. In Deutschland wird genauso versteuert wie in Griechenland, nur beträgt die Summe lächerliche 0,79 Euro.
Das heißt nicht mehr und nicht weniger, als dass ein handelsübliches 50-Liter-Fass, befüllt mit IPA mit 16° Plato, 40 Euro allein an Steuern kostet (im Vergleich zu 6,32 Euro in Deutschland), und das muss natürlich umgelegt werden. Kleinbrauer bezahlen nur die Hälfte, was immer noch mehr als dem dreifachen Steuersatz in Deutschland entspricht. Ist der ausschenkende Gastronom nun nicht zu einer Mischkalkulation für die stärkeren Biere bereit, landet ein halber Liter handelsübliches Craft Beer in Athen am Ende ungefähr im Preisbereich eines Cocktails, zwischen sechs und zehn Euro.
Bei Gastronomien, die vorwiegend Craft Beer führen, sind IPAs und vergleichbar starke Biere jedoch die Cash Cows, da die typischen Gäste weit weniger Massenkonsum mit hellen Lagern betreiben, stattdessen weniger, dafür aber stärkeres Bier trinken. Sich bei stärkeren Bieren anstelle einer prozentualen Marge mit einer festen Zahl zufrieden zu geben, bietet sich also erst bei den Hochkarätern an – Imperials und Barley Wines, die sonst für den Gast schlicht unbezahlbar würden. Doch bei acht Euro für ein lokales India Pale Ale überlegt vielleicht so mancher Gast, ob er nicht doch in die Bar gegenüber geht, wo die Cocktails ebenso mit lokalen Zutaten gemixt werden und genauso viel kosten.
Griechisches Craft Beer: Zusammenhalt zählt
Damit kommen wir zum eigentlichen Problem und der eingangs erwähnten Geschichte: In einer Atmosphäre der Unsicherheit, wo allein die Gründung einer Brauerei ein erheblich Risiko für die eigene wirtschaftliche Existenz darstellt, versucht ein jeder (verständlicherweise) zunächst die eigenen Schäfchen ins Trockene zu bringen. Dadurch geht der griechischen Bierwelt allerdings der Kollaborationsgedanke verloren, der in anderen Ländern zumindest anfangs das Verhalten bestimmt (hat). Um bei der Schäfchenmetapher zu bleiben: Die großen, bösen Wölfe sind da draußen, also brauchen wir eine starke Herde, um Erfolg zu haben.
Griechenland bräuchte diese Mentalität dringender als andere Länder. Selbst die „Wölfe“ könnten integriert werden, sitzen sie doch bei der vergleichsweise winzigen Bierproduktion Griechenlands (ca. 3,8 Mio. Hektoliter, das macht Bitburger allein) eigentlich im selben Boot wie die Mikrobrauereien. Von einer gesteigerten Wertschätzung für Bier als Genussmittel, von der damit einhergehenden Profilstärkung und Zahlungsbereitschaft, könnten auch die „Großen“ der griechischen Brauindustrie nur profitieren. Doch momentan ruht die Verantwortung für das Zusammengehörigkeitsgefühl auf den Schultern weniger Idealisten, Menschen wie Radisis und Margaritidou von BeerBartender, dem Septem-Braumeister Sofoklis Panagiotou oder GeorgeAlexakis, dem Gründer des Hoppy Pub in Thessaloniki.
Schade, denn dass die Griechen bereit sind für griechisches Craft Beer, daran kann kein Zweifel bestehen: Moderne Craft Beer-Bars wie das Hops Beer n Burgers oder das Barley Cargo sind in ausgezeichneter Lage und auch unter der Woche gut besucht, trotz der wirtschaftlichen Schwierigkeiten. Das einzige, was jetzt noch fehlt, ist der Ruck, der durch eine darbende Bierkultur geht. Also vergießt den ersten Schluck Craft Beer und betet zu den zuvor bereits benannten Göttern des gärenden Trunkes! Für Bierenthusiasten in Deutschland fast historische Pflicht, schließlich haben wir den Griechen das mit dem Reinheitsgebot eingebrockt. Jetzt müssen wir die Malzsuppe auch auslöffeln.
Probierempfehlung für griechisches Craft Beer:
Biere erhältlich bei der Bierothek, in den Ladengeschäften und online
Siris Microbrewery: Voreia Beer
Santorini Brewing Company: Volkan Beer