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The Home Bartender’s Guide and Song Book: ein Cocktailbuch trotzt der Prohibition

Wie „The Home Bartender’s Guide and Song Book“ der Prohibition mit Humor trotzte

Das 1930 veröffentlichte Werk ist laut den Verfassern Charlie Roe und Jim Schwenck das beste Cocktailbuch, das je geschrieben wurde. Das ist vielleicht etwas weit gegriffen. Aber die Kombination aus Karikaturen, Liedern, launigen Sprüche und Rezepturen ist tatsächlich ein besonderes Stück Zeitgeschichte.

Ganz klar: In der Rangliste der erfolglosesten Verbote der Weltgeschichte nimmt die US-amerikanische Prohibition einen Spitzenplatz ein; womöglich nur noch von dieser religiösen Enthaltsamkeitssache und dem Schweizer Nachtpinkelverbot auf die Ränge verwiesen. Viel wurde schon geschrieben über das edle, wenn auch grandios gescheiterte Experiment, das von 1920 bis 1933 den Amerikanern das Saufen abgewöhnen sollte, und letztlich nur dazu geführt hat, dass mehr vom Schlechten getrunken wurde.

Verleger wie Bootlegger profitierten von der Prohibition

Der Schnaps wurde also nicht weniger – die Bücher über den Schnaps übrigens auch nicht. Eher mehr, wie es scheint. Verleger wie Bootlegger profitieren gleichermaßen; oft genug liefern Erstere in ihren Werken Letzteren noch die Bastelanleitungen zum Ansetzen der haarsträubendsten Badewannen-Bouquets. Die Cocktail-Rezepte selbst sind dabei oft genug die immer Gleichen, unverdrossen voneinander abgeschrieben und neu zwischen zwei Buchdeckel gepackt; die Prohibition unterband immerhin die Innovation, wenn schon nicht den Konsum.

Eine sehr schöne Ausnahme ist „The Home Bartender’s Guide and Song Book“ von 1930, „Concocted and shaken up“ von Charlie Roe und Jim Schwenck, „veröffentlicht im heiligen Angedenken an jene gute alte Zeit, als das Bartending eine exakte Wissenschaft war und man an jeder Ecke seine Sorgen zu vergessen vermochte.“ Rezepte, Karikaturen, Lieder, launige Sprüche und Beschreibungen der Drinks, unter denen sich auch etliche unbekannte befinden: Dieses Werk ist „das beste Buch, das je zu diesem Thema erschienen ist.“

Das sagen die Autoren, und die müssen das schließlich wissen, denn lügen würden diese großartigen Menschen ja niemals, die sich schon bei den Quellenangaben zu ihren Cocktails extremster Wahrhaftigkeit unterworfen haben: Jede Referenz sei so wahrheitsgetreu wie ein Bootleggerversprechen.

Cocktailbuch aus der Prohibition: Von Sandy MacDonald zu Baby Fingers

So finden wir neben vielen Klassikern wie dem unvermeidlichen Tom & Jerry, den Collins-Brüdern John und Tom, den Rob Roy, den Bijou oder den Gibson (in teils interessanten Varianten) auch einiges, das relativ bis nahezu völlig unbekannt blieb. Der „Old Man Cocktail“ etwa wird einem C. Pasquil aus einem Hotel nahe der Somme zugeschrieben, der damit die Schlachtfeldtouristen versorgte: 1 Teelöffel Anisette, 1/2 Green Stripe, 1/2 italienischer Wermut. Falls es jemand nicht weiß: Bei Green Stripe handelt es sich um einen Blended Scotch, dessen Verschwinden völlig unverständlich ist, angesichts der brillanten PR, die diese Marke seinerzeit befeuerte: „Drinking is fun. Try this!“

Überhaupt wird viel Wert auf Marken gelegt; die oft behelfsmäßige Ersatzbankmixologie jener Zeit fehlt völlig. Natürlich benötigt der Sandy MacDonald Cocktail auch den gleichnamigen Whisky. Bacardi ist Bacardi, auch wenn der in den USA schon vor der Prohibition hauptsächlich gefälscht getrunken wurde („Falls Sie jemals nach Havanna kommen, probieren Sie auf jeden Fall die dortigen Bacardi-Mischungen. Vielleicht kommen Sie dann nicht mehr zurück, aber das dürfte Ihnen egal sein.“). Und die Baby Fingers fordern zusätzlich zum Sloe Gin (der an sich schon nicht so häufig anzutreffen ist) explizit Plymouth Gin sowie drei Dashes der ebenfalls nicht alltäglichen Calasaya-Bitters.

The Home Bartender’s Guide and Song Book: ein Cocktailbuch trotzt der Prohibition
Die zwei Autoren sparen auch nicht an Selbstironie
The Home Bartender’s Guide and Song Book: ein Cocktailbuch trotzt der Prohibition
Der Hiawatha klingt nicht namentlich, wohl aber inhaltlich stark nach einem Rob Roy

Alkoholisches Überraschungsei aus Spiel, Spannung und Schnaps

Eine Zeichnung zeigt beide Autoren, von der harten Recherche gezeichnet, um einen Laternenpfahl geknotet. Wenn man sich Anzug, Fliege und Zylinder wegdenkt – auch heute noch ein nicht unzutreffendes Bild der Getränkejournaille.

Bei allem Spaß: Die Verfasser wussten wirklich, wovon sie sprachen. Dass die beiden „a couple of good mixers“ waren, wie sie sich selbst bezeichnen, ist unbestreitbar. Der Bar-Ausstatter Cocktail Kingdom zum Beispiel hat das Buch für wichtig genug empfunden, um es in die Reihe seiner hochwertigen, originalgetreuen Neuauflagen aufzunehmen und mit einem Vorwort von Jeff „Beachbum“ Berry zu versehen. Auch in der EUVS-Datenbank ist das Buch einzusehen, und so kann man sich ganz gemütlich dieses alkoholische Überraschungsei aus Spiel, Spannung und Schnaps genehmigen. Es ist ja sowieso eine sehr deutsche Einstellung, dass Lehrreiches und Unterhaltung einander ausschließen.

200 Rezepte und 30 Lieder im Bartender’s Songbook

Die Hinweise zu den Drinks etwa sind bisweilen auf eine sehr spezielle Art und Weise praxisorientiert: Das Rezept für die „Pink Lady“ etwa sei von einem derartigen Charme, einer derartigen Dichte, dass man sie keinesfalls alleine genießen solle. Weshalb das Rezept für vier Personen ausgelegt ist – inklusive einem Hinweis, dass aber auch drei schon einer zu viel sein könnten. Poetisch hingegen der Toast auf den Manhattan, „dessen Türme auf ewig den Himmel durchdringen und dessen Keller nie ganz trockenlaufen mögen.“ Der „Horse Guards“ wiederum ist eine derart potente Waffe aus dem Arsenal der Liquid Courage, dass er nur Männern in Uniform verabreicht werden darf. Wobei man, laut den Verfassern, einen Pyjama da schon auch gelten lassen kann.

Neben den über 200 Rezepten und zahlreichen Zeichnungen werden die Texte von etwa 30 Liedern abgedruckt, die, wenn man ihre heutige Verfügbarkeit auf YouTube betrachtet, damals wohl allesamt bekannt waren und deshalb auch keine Noten benötigten. Trinklieder, aber auch „Das Wehklagen der verheirateten Frau“ oder das Lied des Jungen, der seinen Papa aus der Kneipe zu holen versucht: „Father, dear Father, come home with me now.“ Das Buch schließt dann mit dem Text eines Liedes aus den 1870ern, in dem sich zwei legendäre Kriegerhelden – ein Türke, ein Russe – nach einer kleinen Rempelei auf der Straße einen epischen Schwertkampf liefern, wobei nach langem Hin und Her letztlich beiden gleichzeitig der tödliche Hieb gelingt. Wenn man es so nimmt, ebenfalls eine sehr gelungene Allegorie auf die Trinkkultur, auf die gute alte Zeit eben.

Raus aus der Zwangsjacke mit dem Cocktail-Songbook

Aber das macht eben auch den Charme dieses wunderschönen Buches aus – dass es sich selbst nicht zu ernst nimmt und mit allen Ecken und Kanten des Gewerbes spielerisch leicht umgeht. Ganz weit aus dem Fenster gelehnt: Die Prohibition und der damit einhergehende Reiz des Verbotenen haben den Alkohol nicht nur spannend, sondern auch spaßig gemacht.

Und so kann man dann als gelehriger Heim-Bartender mit seinen Gästen trinken und singen, und vielleicht wird ja sogar mehr als ein Hobby draus, ja, warum denn nicht: „Mögen auch Sie (…), wie wir, eines Tages als ein ausgereifter, anerkannter Barkeeper in der Blüte stehen. Und möge der Doktor Sie eher als uns aus der Zwangsjacke herauslassen.“

Credits

Foto: ©Martin Stein

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