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Warum der Canchánchara kein Rum-Cocktail ist – oder Honeysuckle heißen müsste

Der Canchánchara gilt als historisches kubanisches Getränk, in dem Rum, Honig und Limette vermischt werden. Die Wahrheit aber ist anders: Zu einem alkoholischen Getränk wird der Canchánchara erst in den 1980er-Jahren durch eine prosaische Erzählung sowie der kubanischen Tourismusbehörde. Zuvor findet man die Rezeptur unter vielerlei Namen, am häufigsten als Honeysuckle Cocktail. Den historischen Canchánchara gibt es trotzdem. Nur eben ohne Rum. 

Der Canchánchara, eine Mischung aus Rum, Wasser, Honig und Limette, gilt vielen als ein Getränk der kubanischen Freiheitskämpfer, die es zwischen 1868 und 1878 an ihrem Sattel mit sich führten, um damit ihren Durst zu löschen oder um es als Schmerzmittel für Verletzte einzusetzen. Man streitet sich lediglich darüber, ob Honig oder Melasse zur Süßung verwendet wurde. Auch sagt man, es sei ein Getränk der Feldarbeiter auf karibischen Zuckerrohrplantagen gewesen.

Canchánchara aka Honeysuckle

Zutaten

7 cl Rum Havana Club 3 Jahre
3 cl Limettensaft
2 cl Honigsirup

Am Anfang stand das Cuba Libre

Dieses im Sinn habend, gehen manche sogar so weit und sehen im Canchánchara den direkten Vorgänger des Daiquirís, muß man doch nur Honig durch Zuckersirup ersetzen und – voilà! – fertig ist der Daiquirí. Bei diesen Geschichten entstehen natürlich Bilder in der Phantasie, die einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Doch leider ist die Wahrheit viel weniger spektakulär.

Begeben wir uns zurück nach Kuba in die Jahre der Freiheitskämpfer. Damals trank man ein Getränk namens „Cuba Libre“. Wer aufmerksam ist, wird nun Zweifel bekommen – ist Cuba Libre denn nicht eine Mischung aus weißem kubanischen Rum, Limettenvierteln und Coca Cola? Wurde Coca Cola nicht erst 1886 zufällig erfunden? Wie kann man dann schon vorher Cuba Libre getrunken haben?

Heißes Fasser ist nicht gleich „Feuerwasser“

Nun, es gab damals ein anderes Getränk mit diesem Namen. Es war nichts anderes als heißes Wasser, gesüßt mit Honig, und es wurde am 19. Dezember 1872 im New York Herald davon berichtet: „Die Mahlzeit bestand aus einem Gericht – Roastbeef – und sonst nichts, und als Flüssigkeit wurden wir zu heißem Wasser eingeladen, gesüßt mit Honig – ein Aufguss, der als „Cuba Libre“ bekannt ist.“

Das ist natürlich alles andere als ein alkoholisches Getränk, und so versuchen manche, diesen Widerspruch dadurch aufzulösen, dass sie „heißes Wasser“ kurzerhand als „Feuerwasser“, nämlich Zuckerrohrschnaps, aguardiente de caña, interpretieren. Doch sie irren, denn die Wahrheit ist viel ernüchternder.

Canchánchara ist ursprünglich geschmorter Honig und Wasser

Denn es gibt weitere Quellen, die Ähnliches berichten. Beispielsweise wird dem Senat in Washington im Jahr 1897 über Kuba berichtet: „Alle Nöte, Entbehrungen und Gefahren des Krieges wurden von Präsident Cisneros von Anfang an mitgeteilt. Solche Luxusgüter wie Brot und Butter sind absolut unbekannt. Ein armseliger Ersatz für ersteres, „casabe“ genannt, kommt gelegentlich ins Lager, reicht aber selten länger als für einen Tag aus. Kaffee ist fast sein Gewicht in Silber wert, und nur schwer zu bekommen, egal um welchen Preis. An seine Stelle tritt gewöhnlich ein Getränk namens „canchanchara“, das hergestellt wird, indem Honig über dem Lagerfeuer leicht verschmort und danach kochendes Wasser hinzugefügt wird. Wenn Honig nicht erhältlich ist, kann man sehr gut auch braunen Zucker im Block („raspadura“ genannt) verwenden. Frisches Rindfleisch und grüne Bananen („platinas“) sind fast immer und im Überfluss vorhanden. Süßkartoffeln („boneatas“) sind in einigen Teilen der Insel reichlich vorhanden.“

Ähnliches berichtet man 1899, als es um die Nachwirkungen des Krieges geht: „In Ermangelung von Kaffee gab es verschiedene Ersatzstoffe. Der vielleicht beste davon wurde aus Bohnen hergestellt, die auf einem wilden Busch wachsen, Palmarillas … Ein anderer Ersatz für Kaffee heißt Canchanchara. Der Kubaner kocht etwas Honig, entfernt den nach oben aufsteigenden Schaum, fügt Wasser und ein paar Orangenblätter hinzu, um ihm Geschmack zu verleihen, und serviert ihn heiß.“

Auch 1921 wird in einem kubanischen Lexikon bestätigt, dass es sich um Wasser handle, das mit Zucker (raspadura) oder Bienenhonig gekocht wurde. Es gibt in den Folgejahren noch zahlreiche andere seriöse Quellen, die gleiches berichten, bis in die 1980er Jahre.

Canchánchara tritt erst 1984 auf den Plan

Doch woher kommt nun die Legende, dass ein Canchánchara mit Rum, einem Daiquiri ähnlich, zubereitet wurde? Sie erschien erstmals im Jahr 1984, in einem Buch namens „Hemingway in Cuba“ von Norberto Fuentes. Die Erzählung wurde schnell populär und auch von der kubanischen Tourismusbehörde aufgegriffen. So erklärt sich vermutlich auch, dass man heute daran glaubt.

Einigen wir uns auf Honeysuckle

Somit kann der Canchánchara auch kein Vorgänger des Daiquiris sein, denn es gab ihn nicht als solchen. Nichtsdestotrotz gibt es so etwas wie einen „Honig-Daiquiri“. Dieser taucht jedoch erst rund 30 Jahre nach der Entstehung des Daiquiris auf. Seit 1929 kennt man diese Mischung als „Southern Honeysuckle“. 1930 wurde er als „Glorifier of the American Girl“ publiziert, und es folgten die Bezeichnungen Honey (1930), Ho-Hum (1933), My Honey (1935), Honeysuckle Cocktail (1940), A Pastiche of Passion (1940), Peter Vischer (1940), Honey Bee Cocktail (1943), Air Mail Cocktail (1945), Tahitian Honey Bee (1946), Jamaica Honey Bee (1948), Princess (1951), Bee’s Kiss (1952), Passion (1956).

Wie soll man diese Mischung nun nennen, wo doch ein Canchánchara nachweislich etwas ganz anderes ist und so viele Bezeichnungen verwendet wurden? Ich schlage vor, sie Honeysuckle zu nennen. Dieser Name, neben Honey Bee, wurde nämlich am häufigsten in den alten Büchern dafür verwendet.

Ein Vorteil ist nun, dass der sogenannte „Canchánchara“, besser gesagt der Honeysuckle Cocktail, kein kubanisches Getränk ist. Man darf deshalb nämlich jeden Rum bei der Zubereitung verwenden, es muss kein kubanischer sein. Dies zeigt sich auch in den überlieferten Rezepturen, in denen zwar kubanischer Rum vorgeschlagen wird, aber auch Rum aus Jamaika, aus Haiti, aus Puerto Rico oder von den Westindischen Inseln. Genauso ist man nicht auf Limettensaft angewiesen, sondern man darf historisch korrekt auch Zitronensaft verwenden. Ausschlaggebend für die Wahl sollte das geschmackliche Ergebnis sein.

Auch heiß oder kalt zu genießen

Ich persönlich finde die Kombination eines leichten kubanischen Rums mit Limettensaft am gelungensten. Übrigens wurde das erste Honeysuckle-Rezept schon mit heißem Wasser zubereitet. Die Rezepturen sind vielfältig und fließend, so dass man das Getränk heiß oder kalt, mit viel Wasser verdünnt als Punch oder mit weniger Wasser als Sour zubereiten kann, ganz wie es persönlich beliebt.

Credits

Foto: Sarah Swantje Fischer

Comments (3)

  • Moritz

    Mal wieder ein sehr interessanter Artikel. Vielen Dank dafür.
    Was mir jedoch in den meisten Büchern, Artikeln, Videos etc. in denen Honigsirup verwendet wird fehlt, ist eine Empfehlung welcher Honig zu verwenden ist. Gibt es hier allgemeine oder cocktailspezifische Tipps?

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    • Mixology

      Lieber Moritz,

      zumindest uns in der Redaktion sind keine gängigen spezifischen Sorten bekannt. Letztlich sollte ein Runny Honey einfach zu den eigenen Vorlieben oder zum jeweiligen Drink passen. Das Gute ist ja: Man kann in sehr kleinen Mengen immer mal wieder neue Sorten ausprobieren. Grundsätzlich würde ich persönlich keinen allzu kräftigen Honig (wie etwa Tannehonig oder Waldhonig) verwenden, sondern einen eher milden Blütenhonig. Aber das ist meine ganz eigene Auffassung. In jedem Fall sollte man aus dem Runny Honey kein Dogma werden lassen.

      Grüße aus der Redaktion // Nils Wrage

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  • Moritz

    Lieber Nils,
    danke für die schnelle Antwort und fürs Rumfragen in der Redaktion 😉
    Ich habe gerade nochmal nachgeschaut und auch Dave Arnold empfiehlt in Liquid Intelligence eher mildere Honigsorten und nennt als Beispiel Kleehonig. Der wird auch im Runny Honey Rezept im PDT-Buch verwendet.
    Aber nachdem wir hierzulande ja mit einer reichhaltigen Auswahl an Honig gesegnet sind steht dem Experimentieren ja nicht viel im Wege.
    Viele Grüße
    Moritz

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