Hör nie Coltrane! Trink Underberg! Vom Meister des „metaphysischen Katers“: Der Hot Rum Cow
Superintendent Parrot aus dem berühmten Monty Python-Sketch „Crunchy Frog“ hätte seine helle Freude mit diesem Drink. Der „Hot Rum Cow“ reiht sich nicht übel ein in die Reihe der Pralinen, die er aus dem Verkehr zieht: Cherry Fondue, Ram‘s Bladder Cup, Cockroach Cluster usw.
Tatsächlich ist sein Rezept so britisch wie schwarzer Humor oder auch Minzsauce, führt aber zugleich in die Literaturgeschichte. Immerhin gehört der Schöpfer des Cocktails aus Milch und Rum zum Pantheon der satirischen Autoren Englands, wie es der Nachruf auf Kingsley Amis im „Guardian“ 1995 formulierte.
Hot Rum Cow
Zutaten
3,5 cl dunkler Rum
12,5 cl Milch
1 Teelöffel Rohrzucker
3 Dashes Angostura
2 Dashes Vanille-Essenz
Fetter Engländer mit großem Durst
Kingsley Amis’ Roman „Lucky Jim“ (1954) traf das Lebensgefühl der Nachkriegsaufsteiger aus der Arbeiterklasse – Amis‘ Vater arbeitete für den knallgelben „Colman’s“-Senf – und ihre Unsicherheit gegenüber dem Establishment. Der frühe Ruhm, der bis zu einem späten Ritterschlag für Sir Kingsley ausaperte, ist wichtig, um ihn nicht nur als Saufkopf mit schrägen Hervorbringungen wie dem Getränke-Quiz „How’s your glass?“ in Erinnerung zu behalten.
Geistige Getränke gehörten für den Briten allerdings zeitlebens dazu. Und das in beängstigender Menge. Die berühmteste Anekdote dazu spielt im ehemaligen Jugoslawien. „Ein fetter Engländer. Bespringt alles“, malte ihm seine Frau mit Lippenstift auf den Rücken, während der notorisch untreue Amis am Strand seinen Rausch ausschlief.
Auch in praktisch jedem englischen Blog, in dem es ums Verkatert-Sein geht, wird seine Analyse des „Tags danach“ zitiert. Von Amis stammt nämlich die Zweiteilung in den „physical hangover“ und „metaphysical hangover“, die ganz unterschiedlich zu bekämpfen sind. Unter anderem mit Geschlechtsverkehr. Oder einer halben Stunde im offenen Flugzeug. Ratschlägen wie „Bleiben Sie im Bett, bis Sie es nicht mehr aushalten“ folgt der Hinweis, lieber Underberg als Fernet zu trinken. Wer noch einen Soundtrack braucht zum Wunden-Lecken und Nüchtern-Werden, soll NIEMALS John Coltrane hören. Miles Davis geht. Sagt Amis. Die in Moll gehaltene Sechste Tschaikowsky-Symphonie „Pathétique“ empfiehlt er ebenfalls als Hühnersuppe zum Hören.
007 in Griechenland und ein „trojanisches“ Heft
Um es kurz zu machen: Vom Alkohol und seinen Folgen schreiben konnte Sir Kingsley jedenfalls. Das erkannte selbst Sohn Martin Amis, als Autor längst selbst weltberühmt und notorisch für sein ambivalentes Vater-Verhältnis, an: „He is, of course, the laureate of the hangover”. Dass Amis Senior nicht nur mit Ian Fleming befreundet war, sondern 1968 auch die erste James-Bond-Fortsetzung „Colonel Sun“ schrieb – „M“ wird in Griechenland entführt – mag ihm weitere Martini-Credibility einbringen.
Zumal Vielschreiber Amis in den 1980ern auch eine Art Cocktail-Kolumne für den Daily Express verfasste. Und schon damals etwa Tequila lobte („can be one of the world’s most delicious drinks”). Menschliches war dem Autor, der in späten Jahren mit seiner Ex-Frau, der Lippenstift-Körpermalerin, und ihrem zweiten Mann unter einem Dach lebte, generell nicht fremd. Womit wir finally beim „Hot Rum Cow“ wären.
Vom Glas in den Index, aus dem Index ins Regal
Der findet sich in den gesammelten Alko-writings – im Original als „The distilled Kingsley Amis“ vermarktet! – ziemlich verborgen. Und wäre dort wohl mitsamt dem Autor auch langsam vergessen worden. Wenn da nicht die schottische Werbeagentur White Light Media wäre. Sie entschied sich 2012, ein unabhängiges Spirituosen-Magazin zu publizieren. Die Kunden aus dem Bankensektor waren nach der Finanzkrise 2008 weggebrochen. „So war das Magazin auch ein Trojanisches Pferd, das uns neue Märkte bringen und unser Profil schärfen sollte“, hielt Initiator Fraser Allen aber auch den Print-Markt – anders als bei Food-Publikationen – keineswegs für gesättigt. 13 Ausgaben im außergewöhnlichen Design wuppte sein Kreativteam in Edinburgh in den folgenden fünf Jahren. Und alle trugen den Namen von Sir Kingsleys Cocktail: Hot Rum Cow.
„Hopscotch“ oder „Chin Chin“ standen zwar ebenfalls zur Wahl. Doch das Blättern im Inhaltsverzeichnis von Amis‘ Kompendium „Everyday Drinking“ gab für Agenturboss Allen den Ausschlag: „Drei Wörter. Drei Silben. Was für ein seltsamer Ausdruck. Was für ein perfekter Name für ein Magazin, das sich abheben wollte“! Witzigerweise findet dieser Cocktail, technisch ein Twist des „Hot Buttered Rum“, nur ganz nebenbei Erwähnung auf Seite 148 von Amis Drink-Fibel: „Wenn man die Butter weglässt und Wasser durch Milch ersetzt, erhält man einen ‘Hot Rum Cow’“.
Der Milch-Drink ging Sir Kingsley persönlich noch dazu „ein bisschen zu weit“. Den Hot Buttered Rum hingegen hielt er für eine „erstklassige Entschädigung für das Aufkommen von kaltem Wetter“. Wobei auch die „Heiße Kuh“ mit Zucker, Vanille und Rum durchaus tropische Gefühle erzeugen kann.
Wie der Whisky „Hot Rum Cow“ killte
Aber was wäre ein Artikel über „Mr. Hangover“ Kingsley Amis ohne Nachwirkungen? Das knapp fünf Jahre währende Dasein des gedruckten Magazins „Hot Rum Cow“ endete nämlich kurz nach dem größten Erfolg: Bei den „Spirited Awards” 2017 in New Orleans wurden die schottischen Newcomer zur weltweit besten „Cocktail and Spirits Publication“ gewählt. Ironischerweise hatte das Ende des Magazins wenige Monate später auch mit einem Getränk zu tun.
Allerdings war es nicht der Rum. 2017 erwarb White Light Media die globalen Rechte am „World Whisky Day“ – und hatte Millionen Online-Kontakte zu betreuen. Und damit keine Zeit mehr für das Magazin-Hobby. Aber wer weiß, ob Fraser Allen in kalter schottischer Nacht nicht doch noch ab und an den Milchschäumer auf Sir Kingsley erhebt …
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