Zwischen Beat-Keller und Tropen-Terrasse: Die doppele Barwelt des Hoxton in Wien
Das wird jetzt länger dauern. Denn um die Aufbruchsstimmung im Dritten Wiener Gemeindebezirk zu verstehen, muss man zunächst in London starten. Regelmäßige Themse-Besucher erinnern sich sicher noch, wie plötzlich Shoreditch als das Trendviertel ausgerufen wurde. Der dröge Stadtteil an der Hochbahn-Strecke verdankte dies neben dem „Boxpark“ mit seinen eklektischen Schuhschachtel-Geschäften für Hipster vor allem zwei Hotels: dem Ace und dem Hoxton. Den etwas anderen Spirit hat sich die Design-Speerspitze unter dem Dach des Zimmergiganten Accor erhalten. In Berlin-Charlottenburg widmete man das Hotel-Restaurant ausgerechnet der indischen Küche. Und ähnlich mutig widmet man sich der kulinarischen Mängelbehebung im zweiten Haus im deutschsprachigen Raum. Während das Hamburger Hoxton am Alten Wall noch eine Baustelle darstellt, eröffnete im Frühjahr das Outlet in Wien.
Die Location war dabei Glücksfall und Horror zugleich. Denn allein schon die Adresse lässt beim gelernten Österreicher Verstaubtheit ersten Ranges mitschwingen: Rudolf-Sallinger-Platz. Der langjährige Wirtschafskammer-Präsident („Mister Mittelstand“) war quasi das Synonym für die „Sozialpartnerschaft“, die im hippen Wien heute so modern klingt wie „Bonner Republik“ ein Land weiter. Doch das sind nur Namen. Die kann man ändern.
Schillerndes Konzept statt Fadgas
Schwieriger ist es, einem zehn Stockwerke hohen Kasten aus der architektonisch schwierigen Periode 1952-54 Leben einzuhauchen, wenn davor Jahrzehnte die Kammer der gewerblichen Wirtschaft hier ihr „Gewerbehaus“ führte. Das mag man sich als „Mid Century“-Charme oder Objekt „aus der zweiten Gründerzeit“ (letzteres ein Zitat der Planer von BWM Designers & Architects) schöner reden. Für die gastronomische Seite zahlt derlei Tintenburg-Vergangenheit allemal auf das Fadgas-Konto ein. Und mit dem lässt sich kein Highball karbonisieren.
Dass das dennoch gelingt, liegt zum einen an einer mutigen Entscheidung, die man abseits der Architektur-Ästhetik-Lingo einfach zusammenfassen kann: „Machen wir gleich was Anderes!“ Denn auf die Idee, eine kubanisch inspirierte Rooftop auf diesen steinernen Kobel, wie der Österreicher sagt, zu packen, muss man erst kommen. Wobei das Cayo Coco nur eine von drei Bars des Hoxton Wien darstellt. Die Kleinste heißt Bouvier und bespielt neben dem Speisesaal auch die Terrasse vor dem Hotel, die mit ihrer platzartigen Weite einen echten Trumpf darstellt. Hier wird mit Highballs dem Day Drinking gefrönt, doch der Esprit der Betreiber lässt sich eine Etage tiefer erkennen: Salon Paradise widmet sich der Beat Generation.
Der typische Gast muss die Namen von Jack Kerouac, Allen Ginsberg oder William S. Burroughs (der Anno 1936 sogar in Wien studierte) und erst recht des erst 2021 verstorbenen, letzten bedeutenden Beat-Poeten Lawrence Ferlinghetti wohl ergooglen. Doch eine neue Staffel von Mad Men könnte man in der Keller-Location jederzeit drehen. Die Kids aus Riverdale könnte hier ebenso ihr Cream Soda schlürfen. Doch davon später.
Das Gewerbehaus macht „La Guarida“
Denn um die unmoderne Art dieses Platzes zu würdigen, reicht schon ein Wort: Sitznischen. Wie gemacht, um einen Three-Martini-Lunch hier ausufern zu lassen, hinkt der Vergleich nur in einem Detail. Das Salon Paradise hat zur Mittagszeit nicht geöffnet. Ansonsten hat das Design-Team großartige Arbeit geleistet. Wie ein verfliester Schiffsbug teilt die Bar selbst den Raum, während in den angenehm unzeitgemäß kolorierten Fauteuils gemauschelt werden kann.
Doch verlassen wir die Cocktailwelt im Keller des alten Gewerbehauses. Denn die schlagartige Bekanntheit des Hoxton verdankt sich der Dachterrasse. Hier einen Pool zu installieren, sorgt auch ohne Sonnenschein für sommerlichen Vibe, wenngleich Schwimmen nur den Gästen der 196 Zimmer vorbehalten ist. Für alle anderen liefert das Cayo Coco aber einen nahezu 360 Grad Blick auf Wien, der noch dazu in einem Sichtkorridor zwischen Stephansdom und – etwas versteckter – dem Belvedere liegt. Auch hier staunt man über die Qualität der Möblierung. Wer mit Havannas Altstadt vertraut ist, wird genau erkennen, dass das La Guarida mit seiner kleinen Dachterrassen-Bar Vorbild der bewusst rustikal gezimmerten Mixstation im Freien war. Auch das Fliesenmuster am Tresen kann einem bekannt vorkommen, er erinnert u. a. an die legendäre Tiki-Bar El Polinesio im Hilton Havanna, die mit Eröffnungsdatum 1958 in der Tat einen Zeitgenossen von Carl Appels Hochhaus am Sallinger-Platz darstellt.
Eine blaue Margarita „chez Basti”
Mojito (12,50 Euro), Daiquiri (13 Euro) und den Cuba Libre (der hier „Spider Libre“ heißt) darf man also als gesetzt erachten. Sie führen die pastellfarbene Karte auch an. Die mit Blue Curaçao ins Pool-Blau getauchte Margarita alias „Azul Azul“ (13 Euro) wiederum macht schon optisch neugierig. Diese Rezepte stammen großteils aus der Imagination Rory Shepherds, den man vor allem aus dem Little Red Door in Paris kennt. Vor Ort setzt sie aber ein bekanntes Gesicht der Wiener Barszene um: Sebastian Stahlschmidt hat sich gut eingelebt, „auch wenn der Fokus auf Struktur und Organisation etwas Anderes ist als meine Arbeit im Luster.“
Neben der Architektur ist es der Barchef des 17-köpfigen Teams, der den drei so unterschiedlichen Trinkstätten Seele und verleiht. Vor allem in der entspannten Atmosphäre der Dachterrasse, wo Ibrahim Ferrer und die anderen Buena Vista Social Club-Haudegen den Soundtrack prägen, hat „Basti“ sichtlich sein Habitat gefunden. Hier erläutert er dem Kundigen, das der Shot „I should Coco“ die Haus-Variante eines Pickleback darstellt: „Der ist ein Palate Cleanser mit tropischem Geschmack.“ Das passt gut nach den kubanisch inspirierten Snacks am Sallinger-Platz wie Maniok-Bällkchen, Kokosnuss-Shrimps oder Chicharrones!
„Spritz it up“ mit Cream-Soda!
Unerwartete Takes auf bekannte Rezepte wie dieses gibt es nicht nur bei den kleinen Drinks mit Pool-Blick. Die kurz angeteaserte „saure Margarita, auf Blue Curacao gerührt“ heißt offiziell „Azul, Azul“ (13 Euro) und ist ein Schmuckstück auf ihrem massiven Eis-Cube. Für Twists liefert auch der Hoxton-Rum-Blend viel Möglichkeiten, den Stahlschmidt aus J. M. Mauny, Eminente und Bacardi komponiert hat. Vanille und Gewürznelke wiederum peppen die ebenfalls eigen-kreierte Spiced Grenadine auf. Sie ist eine Frucht der Prep-Kitchen im Salon Paradise. Dort steht auch der Karbonisierer, mit dem 0,2 Liter-Flaschen befüllt werden. Sie kommen entweder als alkoholfreie Variante zum Einsatz, fungieren aber auch als Cocktail-Zutat. „Cream Sodas sind ja eher ein amerikanisches Ding und bei uns wenig bekannt, aber sie funktionieren echt gut“, ließ sich Stahlschmidt schnell überzeugen. Denn hier wartet viel Kreativ-Spielfläche.
Wenn etwa sein Mandel-Cordial in einem geklärten Milk Punch plötzlich als prickelnd-cremiger Filler auftritt, hat das schon was. Die acht Signature Cocktails lassen sich so auch noch erweitern. „Spritz it up“ steht als Option etwa beim „Negroni Tropica“ (13,50 Euro), dessen Gin mit Kokosnuss-Öl „fat washed“ wurde. So geht es dahin mit den tropischen Aromen auf der pastellfarbigen Karte der Rooftop; gezalzener Ananas-Cordial etwa verwandelt den steifen „Old Fashioned“ zu einem Hawaii-Hemdträger. Und wem das nicht genug Urlaubsvibes sind, der ordert „Spider Libre“ (13,50 Euro) – hier wird mit einem Zitronensorbet für Säure im Rum-Cola-Mix gesorgt.
Everybody Loves the Sunshine!
Credits
Foto: Julius Hirtzberger