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Die Trilogie der Trauer, Nr. 2: Alter, neuer Hurricane

Der Hurricane Cocktail bestreitet den zweiten Teil unserer Expedition in dunkle Cocktailsphären. Wie aus einem einst klassischen Drink ein Abklatsch wurde. Und wie sich zwei Großstadthelden anschicken, ein wenig dagegen an zu arbeiten.

Die historisch bedeutsame Stadt New Orleans seinen Entstehungsort nennend ist der Hurricane Cocktail heutzutage oftmals nur ein Abglanz der einstigen Schönheit. Wilde Panscherei und minderwertige Zutaten sind die Ursache eines der Erfahrung wegen gemiedenen Drinks. Dass es auch anders geht, zeigen die beiden Fifty Cocktail Heroes um Karim Fadl und Michael Blair.

Vitamin C statt Hurricane Cocktail

Früher, als ich klein war und meine Oma besuchen durfte, da war mitunter eine der ersten Fragen, was ich denn trinken wolle. Kein Wunder, dass es mich früher oder später in die Welt der Bar verschlagen hat, mögen die einen sagen. Doch dachte meine Großmutter damals selbstverständlich nicht an alkoholische Getränke, sie zauberte vielmehr eine Flasche Saft aus dem Kühlschrank, präsentierte sie mir wie den heiligen Gral untermalt mit den Worten: „Das ist Multi-Vitamin“

Das denke ich heute zwar nicht mehr, wenn ich mit meiner Oma durch die Bars dieses Landes streife, aber wenn ich mich darauf einlasse, mit Freunden in franchisegeführte Bars zu gehen und eben diese – nennen wir sie ruhig: falsche Freunde – dort Klassiker bestellen. Man sieht aus weiter Ferne bereits das Grinsen und die strahlenden Augen des Granini-Markenbotchafters (gibt es da schon jemanden?), der sich auf seinen neuen Platzierungserfolg erst einmal einen Hurricane Cocktail bestellt.

Serious Business

Aber: Zurück zur abhandengekommenen Ernsthaftigkeit! „Der Hurricane ist ein exotischer Rum-Cocktail, der auch als Aperitif ein Erfolg bei jeder Party ist“, heißt es etwa in den schnörkellosen Unweiten des World Wide Web. Man kippe, so steht es in der Anleitung geschrieben, zwei Sorten Rum – nicht klar definiert, welcher Reifungsgrad – mit Orangen- und Ananassaft sowie Maracujasirup zusammen mit Limettensaft und Eiswürfeln in einen Shaker. Natürlich serviert man anschließend in einem Longdrinkglas mit Mango und Minze am Glasrand, weil beide wohl grandiose Pairing-Optionen sind. Irony off.

Nicht nur werden hier zwei der wohl mit Abstand geschmacklich potentesten Säfte zusammengekippt, die das Aroma – ja den Geschmack! – der Rumsorten vollends überdecken und aushebeln. Ebenso erweist sich die Idee hinter der DNA in einer Zeit von „Qualität statt Quantität“ und „weniger ist mehr“ als Auslaufmodell. Und so stellen wir hier an dieser Stelle mal wieder die Frage: Ist der Hurricane per se ein schlechter Drink oder oftmals einfach nur falsch gemacht? Wie katapultiert man ihn in die heutige Zeit und worauf kommt es dabei an? Getreu dem Motto: Panscherei oder Puristik?

Als Held geboren…

…so und nicht anders geschrieben steht es in Karim Fadls Autobiographie, deren Veröffentlichungsdatum mal wieder verschoben wurde. Und da zwei Helden ja bekanntlich besser sind als einer alleine – man frage bei Marvel nach – zelebrieren er und Mastermind Michael in ihrer kleinen aber feinen Bar Fifty Cocktail Heroes im Prenzlauer Berg wahre Heldenstücke.

Sie gehen nämlich dahin, wo es schmerzt. Ihr Hurricane Cocktail ist im Grunde eine Reise durch die Geschichte eines Drinks, der in seiner ursprünglichen Version das Gegenteil dessen gewesen ist, was man heutzutage mitunter serviert bekommt. Es war Mitte der 1940er-Jahre, als im Pat O’Brien’s in New Orleans plötzlich der Bourbon und Scotch ausgingen. Dieser regelrechten Versorgungsknappheit lag ein Deal zugrunde. Saßen amerikanische Produzenten nach dem zweiten Weltkrieg auf Fässern von Rum, so war die Bourbon-Produktion gänzlich eingebrochen. Jeder Bartender also, der Whiskey Sours mixen wollte, musste dafür eine Case Rum kaufen. Und irgendwas musste Pat O’Brien’s Headbartender damals ja mit dem eine miserable Reputation innehabenden Rum anstellen. Er baute den Hurricane und benutzte den Passionsfruchtsirup mutmaßlich, um die mindere Qualität des Rums zu überspielen.

Fadl merkt mit erhobenem Zeigefinger an, heutzutage gebe es ganz hervorragende Rums, Blair nickt das ab und dörrt derweil das Garnish für einen Hurricane-Twist der Extraklasse. „Schlüsselfigur ist natürlich der Rum. Wir haben uns dazu entschieden, einen stabilen Rum-Blend zu schaffen, der das volle Aromenspektrum abdeckt“, so der ehemalige Bacardi Brand-Ambassador Fadl.

Blenden ohne Blender

Und so habe man sich dazu entschieden den Rum-Blend auf Basis zweier kräftiger jamaikanischer, gut gereifter Rumsorten aufzubauen und nutzt dafür zunächst Appleton Single Estate und den 8-jährigen Appleton Reserve. Um dem Blend die nötige Wucht für den Hurricane Cocktail mitzugeben, gleichermaßen aber eine aromatisch leichtere und agricole-artige Note zu geben, entschied man sich dazu, ebenfalls Felix Kaltenthalers Revolte Overproof reinzunehmen. Abgerundet mit dem spannenden ungereiften Avuá Cachaça, schwankt der Rumblend zwischen den Stilen und derjenige, der ihn trinkt, zwischen den Barhockern. „Eine geheime Zutat ist auch noch drin“, entfährt es dem mysteriös-grinsenden Tausendsassa Fadl.

Was auf den Rum-Blend folgt, ist nichts als die Rückbesinnung auf einen Cocktail, der vor allem mit der Rumauswahl steht und fällt. „Natürlich ist weniger auch hier mehr“, so Blair, der die Säfte ausgelistet hat und nur noch karg den Passionsfruchtsirup in der Hand hält. Wahrlich ist das ja keine Zutat, die es per se zu verteufeln gilt, vielmehr eine dieser Zutaten, die vor allem durch die überfrequentierte Nutzung in militärischen Dosen in echten Barkreisen unmöglich geworden ist. Zumal man natürlich mit einem auf frischen Früchten basierenden, hausgemachten Sirup ganz andere Sphären betritt.

It’s magic

Und so ist der von den Fifty Cocktail Heroes dargebotene Twist auf den Hurricane Cocktail nichts als ein angenehm alkoholischer Drink mit einem hervorragenden Rumblend, der durch Hinzugabe von Passionsfrucht einem zarten, gesunden Tiki-Flair gerecht wird, optisch schlicht sowie auf Frische und Reduktion bedacht. Erdacht von zwei Tausendsassa-Helden. Heroes, wie sie wohl auch Bowie geliebt hätte, wäre da nicht die Mauer gewesen…

Credits

Foto: Foto via Tim Klöcker.

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