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We don’t need another Ihro – eines reicht uns völlig

Das Ihro in Mannheim trägt seinen japanischen Namen nicht von ungefähr. Minimalistisch im Aussehen, konsequent in der Philosophie und kompromisslos in der Umsetzung, führen Felix Wenzel und Jonathan Morten Keßeler hier eine der interessantesten Bars des Landes. Ein Besuch.

Ein Freitagabend im September. Ich laufe die Jungbuschstraße entlang, die als Schlagader des bunten und pulsierenden Szeneviertels in Mannheim gilt, und biege an ihrem Ende, kurz vor den blauen Lichtern der Tankstelle, nach links ab.

Als ich vor dreieinhalb Jahren Mannheim in Richtung Berlin verlassen hatte, hörte genau hier, am Ende der Straße, der Spaß auf; man stand im gastronomischen Mordor des Stadtteils. Und auch wenn mich ab und an beim Besuch ins Mannheimer Nachtleben geschmissen hatte, kann ich an einer Hand abzählen, wie oft ich dabei die Jungbuschstraße verlassen habe.

Aber seit meiner Rückkehr hat sich einiges getan. Ich laufe an das Ende des Blocks und stehe vor dem Ihro – an dem ich durchaus auch vorbeilaufen hätte können, wenn da nicht die schwarzen Markisen wären, oder die Außenbestuhlung. Das dezent beleuchtete Schild ist sonst der einzige Hinweis, der darauf schließen lässt, dass sich hinter den Sandsteinmauern eine Bar befindet. Eine der spannensten Bars des Landes noch dazu. Denn gerade als ich dachte, ich sei angekommen, beginnt für mich erst eine Reise durch den Abend mit allen Sinnen.

Klar und minimalistisch

Abgezogene Wände im grau verwaschenen Beton-Look, klare Linien, ein schwarzer Dielenboden in Shou-Sugi-Ban-Optik, der Tresen, der einer langen Tafel gleicht, mit Stühlen in normaler Sitzhöhe; wohlige Düfte, eine Melange aus Duftkerzen und Aromen, die beim Zubereiten der Drinks versprüht werden, erfüllen den Raum, kitzeln die Nase. Schlicht, unaufdringlich und angenehm präsentiert sich das Ihro im japanischen Stil und lässt nicht nur Herzen der Freunde des minimalistischen Interior-Designs höher schlagen.

Trotz der klaren Strukturen wirkt die Atmosphäre alles andere als kalt, bietet vielmehr die Möglichkeit, sich auf das zu fokussieren, was vor einem und um einen herum passiert – sowie in einem selbst.

Als ich an der Bar Platz nehme, habe ich das Gefühl, mich an einen Tisch zu setzen, um den man auch herum spazieren könnte. Ich habe Bilder von Teppanyaki im Kopf, ersetze gedanklich das Essen durch Drinks und suche vergeblich nach einem Backboard, auf das hier ganz bewusst verzichtet wird. Nicht nur, weil man keine Brand Calls betreiben möchte. „Es würde auch dem optischen Konzept im Wege stehen, das wir verfolgen“, erklärt Co-Gründer Felix Wenzel, der gemeinsam mit Jonathan Morten Keßeler das Ihro betreibt. Außerdem führen die beiden noch gemeinsam eine Agentur, die sich auf Bar- und Lifestyle-Consulting spezialisiert hat.

Felix Wenzel (links) und Jonathan Morten Keßeler, Betreiber des Ihro
Drinks mit Detailversessenheit: im Ihro ist alles handgemacht

Schlicht und mit eigenem Twist

Im Ihro stellen die beiden den Geschmack in den Mittelpunkt, sie verfolgen die komplette Symbiose aus Olfaktorik und Gustatorik. Ich nehme mir die Karte vor, die sich inhaltlich in das schlichte Konzept einreiht. Anstatt sich fancy oder gar witzige Namen für die Drinks zu überlegen, werden die auf der Karte hinterlegten Signature Drinks anhand der drei jeweiligen essentiellen Kopfkomponenten beschrieben. Die zugrunde liegende Basisspirituose wird nicht genannt. Eventuelle Vorurteile oder Hemmnisse sollen so dem Gast bei der Auswahl genommen werden

Bier, Wein oder Softdrinks? Fehlanzeige. Das Ihro ist eine reine Cocktailbar, in der Gäste zum einen die Klassiker kennen und lieben lernen sollen; zum anderen möchte man mit den hauseigenen Signature Drinks auf zeitgenössisches Drinkdesign und Geschmack aufmerksam machen. Ein Gin & Tonic lässt sich trotzdem bestellen, ohne dabei gleich mit dem Schlimmsten rechnen zu müssen, weil es dem Bartender zu schnöde erscheint. Allerdings wird auch diese Bestellung mit einem Ihro-Twist versehen, mit dem man sich abgrenzen möchte.

Ihro

Kirchenstraße 28
68159 Mannheim

Mo, Mi, Do 19 - 24 Uhr; Fr - Sa 19 - 2 Uhr; So & Di geschlossen

Das Ihro pflegt Ruhe und Gelassenheit

Meinen ersten Drink an diesem Abend wünsche ich mir auf der süßen Seite und bekomme einen Kokosöl Fatwash Rum Old Fashioned in einem geradlinigen Tumbler auf einem kristallklaren Cube. Dieser wird im eigenen Labor im Keller produziert und mit einem Ihro Ice-Branding versehen. Ich bin fasziniert von der harmonischen Arbeitsweise und der Ruhe und Gelassenheit, mit der Bartender Philipp den Drink zubereitet. Noch bevor der Cocktail serviert wird, erreicht der Duft des Grapefruit-Bergamotten-Parfums, welches als Finish über dem Drink zerstäubt wird, meine Nase.

Goldstaub sprüht aus einem alten Flakon. Im diffusen Licht macht es den Anschein, als falle er von der mit Origami behangenen Decke. Ein Bananenblatt durchkreuzt die Partikel und wird dem Drink als Verzierung zugesteckt, bevor er mir gereicht wird, und bildet damit einen gelungenen Abschluss der Zubereitung.

Industrieprodukte und -aromen finden im Ihro keinerlei Verwendung. „Essenzen, Destillate und Tinkturen stellen wir weitestgehend selbst her“, so Felix, „auch den Großteil der Rohstoffe wie Obst, Kräuter und Blüten kultivieren wir auf unserem eigenen Acker. Wir verfolgenen einen ganzheitlichen Ansatz, bei dem die Natur das zentrale Element darstellt.“

Das Ihro füllt sich währenddessen mit Gästen. Es wird darauf geachtet, dass nur vorhandene Plätze vergeben werden. Man möchte, dass jeder Gast die Aufmerksamkeit und den entsprechenden Service erhält, den er verdient – was den ganzen Abend über sehr gut gelingt. Die reduzierte Karte und das Konzept verlangen nach einem Austausch zwischen Gast und Gastgeber. Oftmals vergessene Umgangsformen wie eine Begrüßung, Freundlichkeit und Respekt sind nicht nur erwünscht, sondern werden auch geschätzt.

Ein weiteres Highlight: Hausgemachte Dim Sum

Dann ist der Moment gekommen, in dem ich mir meinen nächsten Drink in einen Flakon abfüllen lassen möchte. Vor mir steht ein Bourbon Old Fashioned, der mich umhaut. Bevor ich den ersten Schluck nehme, hängt meine Nase minutenlang über dem Glas. Der Old Fashioned vereint zwei Aromen, die zu meinen Favoriten in der Welt der Gerüche zählen: Zedernholz und Tonka-Bohne. Beides findet sich als Zedernholz-Tonka-Zucker in der Rezeptur wieder. Zusätzlich wird der Drink als Finish mit einem hausgemachten, roten Zedernholz-Parfum parfümiert. Ich lasse es mir nicht entgehen, den Zedernholz-Tonka Zucker gesondert zu probieren.

So schafft das Ihro mit Hilfe von Emotionen und Erinnerungen – in Verbindung mit ausgewählten Aromen – neue, sensorische Kompositionen. Gezielt werden Aromen gesucht, die im Allgemeinen wenig bis kaum geschmackliche Repräsentanz haben, wie z. B. Zedernholz, Patschuli, Osmanthus-Blüten, Fichte u.v.m. Der Genuss dieser Kompositionen wiederum kann ein Moment sein, der in Erinnerung bleibt bzw. Emotionen weckt. Ein weiteres Highlight im Ihro sind hausgemachte Dim Sum. Angeboten werden vegetarische Dumplings, die sich hervorragend zu meinem dritten und letzten Drink gesellen, einem Peanutbutter Fatwash Bourbon Old Fahioned mit Pandan und Orangenöl.

Kritikpunkte? Fehlanzeige

Das Ihro ist jedenfalls ein Room Of Senses durch und durch. Eine Bereicherung für die Barlandschaft in Mannheim, abseits vom Trubel der Jungbuschstraße. Unaufdringlich mit einem Hang zur Perfektion, ohne dabei arrogant zu wirken. Offen für alle, die neugierig sind und sich auf eine Genussreise begeben wollen. Eine Bar, deren selbst ausgedachter Name keine tiefere Bedeutung hat, der sich aber wie alles andere hier in ein schlüssiges Konzept einreiht, in das eine Menge Herzblut geflossen ist.

Ein paar mal bin ich versucht, etwas zu finden, an dem ich Kritik üben kann – verdränge das Bedürfnis aber schnell mit einem weiteren Schluck. Ich habe einen tollen Abend im Ihro erlebt, wie ich ihn in dieser Art und Weise schon lange nicht mehr hatte. Und in verrückten Zeiten wie diesen, sollten wir die positiven Dinge noch viel mehr hervorheben und schätzen als sonst …

Credits

Foto: Felix Zeiffer (Bar & Cocktail); Elmar Witt (Porträt)

Comments (2)

  • Gabriele Schlerka

    Besuch imIHRO ist wie eine Reise der Sinne! Unvergesslich auch ein Workshop in dem ich so viel Neues genießen durfte und grundsätzliches über Cocktail Kreationen gelernt habe. Immer wieder einen Besuch wert

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  • Barbara Böttcher

    Außergewöhnlich… Nicht dass was mann/frau sich unter Cocktail bar vorstellt. Tolle Workshops. Bin immer wieder gern da….

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