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Russischer Barmann im Interview

Ein russischer Barmann im Interview: „Mein Land ist die erste Weltbedrohung in diesem Jahrhundert.“

Valentin, so heißt er nicht, ist Barperson in St. Petersburg, auch das stimmt nicht. Er ist aber eine real existierende Person, die unser Autor Manfred Klimek persönlich kennt. Er fragt ihn: Wie lebt es sich im Krieg, der nicht so heißen darf? Wie ist die Stimmung in der Gesellschaft? Wie geht das Geschäft in der Bar? Und wie geht es Dir?

Ich nenne ihn Valentin. Ich traf Valentin 2016 an der Bar des Grill Royal. Wir kamen schnell ins Reden, er spricht gut englisch. Dann traf ich ihn im selben Jahr erstaunlicherweise in Mailand wieder, in einer Hotelbar, im Hotel, in dem wir beide wohnten. Die Stellung „Barperson“ interessierte mich weniger als der Mensch, der Teil der neuen russischen Menschewiki ist – also jene Personen, jetzt um die 40, die den Sowjetkommunismus kaum mehr inhalierten und im kaputten Russland Jelzins aufwuchsen, das Putin sicherheitstechnisch stabilisierte. Menschen, die allesamt Russland als Teil Europas und sogar des Westens erkennen. Oder besser: erkannten.

Valentin sagte schon 2016, dass da ein großer Plan Putins und seiner Geheimdienstclique dahinterstehe, hinter allem, was in Russland in Sachen Macht und Kontrolle geschieht. Und darüber durfte er damals in Russland auch in Cliquen diskutieren oder monologisieren. Es war eine Diktatur, in der freie Rede die Macht nicht beunruhigte. Denn obwohl die Wahlen manipuliert waren, hätte Putins Partei auch so alle Wahlen gewonnen. Wahrscheinlich auch heute noch.

Darob ist Valentin manchmal „fröhlich verzweifelt“. Dennoch ist er dieses Jahr nicht in den Westen gegangen, hat nicht rübergemacht, obwohl er Leute in Berlin und in London kennt, die ihn aufnehmen würden. Barmann wurde Valentin eher zufällig. Neben dem Studium in der Nachtgastro gejobbt, dann viel Kohle gemacht und das Studium ad acta gelegt. Er sagt, er wollte harte Spiritousen auch kultivieren, also Vodka und Co. in geilen Cocktails zu Erlebnisgetränken machen. Dahinter stand der Wille, Kultur generell zu beflügeln und zu installieren, im, wie er sagt, „frustrierend kulturlosen Russland“. Liebt er sein Land? Ja und nein, wie jeder gute, wache Bürger einer zwiespältigen und in den Städten auch gespaltenen Nation.

Ich weiß freilich, wo Valentin arbeitet und lebt. Und ich weiß auch, dass das keiner wissen muss – obwohl es ihm egal ist, ob sein richtiger Name dasteht oder nicht. Mir ist das aber nicht egal und ich Teile Valentins Fatalismus in der Sache nicht. Er sieht sich selbst als Redeperson seiner Clique, die allesamt dran glauben, dass nach Putin, sollte dieser gar gestürzt werden, das eigentliche, weltbedrohende Chaos erst kommt – wenn dann noch extremere Nationalisten, die sich im Untergang wähnen, die Welt anzünden. „Mein Land“, sagt Valentin,„»ist die erste Weltbedrohung in diesem Jahrhundert.“ Und er sagt auch: „Russland wird untergehen. In einem Rausch voll Blut.“ Hoffen wir, dass er sich irrt. Und nun zum Interview, das aus einem Telefonat Anfang Dezember entstand.

MIXOLOGY: Valentin, hat Dich Putin überrascht?

Valentin: Womit? Mit dem Einmarsch in die Ukraine?

MIXOLOGY: Ja!

Ja und Nein. So zehn Tage davor war klar, dass er es macht. Es gab ja dann keine Gespräche mit dem so genannten Westen mehr und das Staatsfernsehen schwenkte total auf Kriegspropaganda um. Das war also klar, dass er einen Bruderkrieg beginnt. Überrascht hat mich und meine Freunde nur, dass er tatsächlich Sachen glaubt, die es nicht gibt. Seine Theorien über Transhumanismus gehen ernsthaft davon aus, dass der Westen die Geschlechter abschaffen will und dass Transen, Schwule und Frauen die Weltherrschaft an sich reißen wollen. Hätte er auch die Juden genannt, dann wäre das Paket des Grauens perfekt. Aber sei dir sicher, Putin ist auch Antisemit. Nur ist er klug genug, das nicht auszusprechen. Ja, er hat uns alle überrascht. Mit der Tatsache, dass er und seine Leute offenbar tatsächlich verrückt sind – im Sinne von erkrankt.

MIXOLOGY: Gut, trinken die Leute mehr seit dem 24. Februar 2022?

In den Anfängen blieb alles gleich, weil ja alle dachten, Freunde wie Feinde, dass die Ukraine maximal eine Woche durchhält. Als dann die Rekrutierungsbescheide kamen, da blieben alle unsere Gäste und ihre Freundinnen zuhause. Wir hatten Tage keinen einzigen Gast und haben dann auch für vier Wochen zugesperrt.

»Über 90% der Russen haben Russland noch nie verlassen, kennen also den Westen gar nicht. Denen kann man alles einreden, die glauben alles.«

— Valentin, Barmann (Name geändert)

MIXOLOGY: Und sind die Leute wiedergekommen?

Nein, nicht wirklich. Natürlich sind einige wieder da und kommen auch mit der Clique. Aber viele haben Angst bei uns, an einem für Regimegegner bekannten Ort, willkürlich festgenommen und zwangsrekrutiert zu werden. Das droht selbst mir, obwohl ich 45 Jahre alt bin (Altersangabe durch d. Red. geändert).

MIXOLOGY: Ich wusste gar nicht, dass deine Bar eine Regimegegner-Bar ist.

Ist sie ja auch nicht. Das war nicht die Idee der Gründung der Leute, die sie besitzen – ich bin bloß Angestellter. Aber wir haben von Beginn an eine sehr westliche Kultur ausgestellt. Es läuft keine russische Musik. Wenn wir Filme zeigen, was wir immer noch tun, dann keine russischen Filme neueren Datums. Keiner unserer Mitarbeiter ist in einem Verein für Putin und auch nicht Parteimitglied seiner Partei. So gelten wir also als Personen, die dem wahren Russland nicht angehören. Und du kannst sicher sein, dass die Polizei das weiß und uns beobachtet oder die Telefone abhört. Dazu braucht es keinen Geheimdienst, dazu reicht die politische Polizei, die nicht gerade menschliches oder kluges Personal hat.

MIXOLOGY: Wie hoch ist der Gästeschwund?

Ich schätze mal gut 70 Prozent. Hin zum Jahreswechsel und Weihnachten wird es besser werden, da bin ich sicher (das Interview fand im Dezember 2022 statt, Anm. d. Red). Aber die Klientel, die bei uns ein Stück westlicher Kultur findet, die bleibt aus Furcht weg. Wir sind ja in der Stadtmitte, wo generell viel Polizei rumfährt. Touristen gibt es auch keine mehr. Und ich fürchte, diese Phase wird lange andauern. Was danach kommt, nach Putin, nach diesem Krieg, der, egal wie er ausgeht, für Russland schon verloren ist, kann noch schrecklicher sein. Menschen wie ich sind in diesem Land eine recht kleine Minderheit. Über 90% der Russen haben Russland noch nie verlassen, kennen also den Westen gar nicht. Denen kann man alles einreden, die glauben alles.

»Jetzt ist es so, dass uns nicht die Anwesenheit der Polizei beunruhigt, sondern deren Abwesenheit, auf die man sich keinen Reim machen kann.«

— Valentin, Barmann (Name geändert)

MIXOLOGY: Ich gehe also davon aus, dass sich der Betrieb der Bar jetzt gerade nicht rechnet. Wie lange halten das die Eigentümer durch?

Ich habe das Glück, dass die Bar Leuten gehört, die im ganzen Land gehobene Restaurants und Bars unterhalten. Und sie haben Geld zur Seite geschafft, das wurde uns schon kommuniziert. 2023 sind wir sicher. 2024 stehen dann Entscheidungen an, wie und ob es weitergeht. Wir waren ja in den guten Jahren eine Cash-Cow mit bis zu 600 Gästen am Abend.

MIXOLOGY: Und haben deine Leute keinen Kontakt zu Leuten im Regime?

Na klar. Aber es ist nicht mehr sicher, ob der Kontakt noch was bringt. Stehst du auf der Liste, dann bist du dran – egal, ob du Putin und seine Partei unterstützt hast. Es ist aber auch so, dass die Polizei seit Monaten nicht mehr bei uns reinschaut. Die Jahre davor kam sie fast täglich einmal vorbei. Und jetzt ist es so, dass uns nicht die Anwesenheit der Polizei beunruhigt, sondern deren Abwesenheit, auf die man sich keinen Reim machen kann.

MIXOLOGY: Die Leute, die noch kommen, was trinken die?

Meist straight. Cocktails sind weg oder nur selten nachgefragt. Und es kommen fast nur Männer.

MIXOLOGY: Ich kann mich erinnern, dass du mir 2016 erzählt hast, dass bei dir im Lokal und in anderen Lokalen durchaus auch politisch diskutiert wird, weil das das Umfeld ist, wo so etwas stattfinden kann. Ist davon was geblieben?

Nein. Man weiß, wo die Leute stehen. Und Vodka geht zurzeit schlecht. Das bedeutet, dass sich viele Gäste, die jetzt Whisky und Rum kippen, von Russland verabschieden. Und das werde ich wohl auch machen. Aber du weißt ja: Familie wiegt schwer.

Dieser Beitrag ist erstmals in der Printausgabe MIXOLOGY 1-2023 erschienen. Für diese Wiederveröffentlichung wurde er formal adaptiert und mit einer neuen Headline versehen, blieb aber inhaltlich unverändert. 

Credits

Foto: Bild: pxhere/ CC0 Public Domain, Bearbeitung: Editienne

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