Inventur am 1. November 2020 – es ist wieder Zeit für Liefer-Cocktails
Welch eine bittere Ironie: Der heutige Tag Allerheiligen, der Tage der Toten also, ist der letzte, an dem Gaststätten noch ihre Türen öffnen dürfen. Ab morgen gilt er dann bundesweit, der zweite Lockdown für das Gastgewerbe, von Teilen der Regierenden und Medien geradezu zynisch als „Lockdown Light“ tituliert.
Für die deutschen Bars bedeutet das, dass sie in jenen verfahrenen, unglückseligen Zustand aus März, April und Mai zurückfallen, in dem sie auf üblichem Wege keinerlei Umsatz generieren können – nur diesmal leider nicht mit der Aussicht auf absehbare Milderung der Lage durch eine nahende warme Jahreszeit, die aus virologischer Sicht traditionell Milderung der Lage verspricht. Zwar gilt der Lockdown vorläufig nur rund vier Wochen, doch man darf es als offenes Geheimnis betrachten, dass die Schließungen deutlich länger andauern werden. So sprach die Bundeskanzlerin in der einschlägigien Bundestagsdebatte am Donnerstag von „vier langen schweren Monaten“ – und somit vom kompletten Herbst und Winter.
Die Bars werden also wieder erfinderisch sein müssen. Vielen kommt es nun zugute, auf den Erfahrungsschatz des Frühjahrs zurückgreifen zu können, als hunderte Betriebe rasend schnell – und teils hochprofessionell – ein Konzept für Cocktaillieferdienste und/oder Bottled Cocktails entwickelt hatten. Unsere damalige Liste, die eine möglichst große Zusammenstellung der liefernden Bars, nach Bundesländern sortiert, versammelt, findet sich nun wieder auf unserer Startseite und wird so oft wie möglich aktualisiert. Schauen wir jetzt aber trotz der allgemein düsteren Lage wie auch sonst jeden Sonntag auf die wichtigen Bar-Themen der Woche.
Bund sagt umfangreiche Wirtschaftshilfe für Gastronomie zu
Zumindest einen kleinen Lichtblick lieferte die Bundesregierung nach der Bekanntgabe des zweiten Lockdown am Mittwoch dann doch mit: Unternehmen, die von den neuen Maßnahmen und Beschränkungen besonders stark betroffen sind (also automatisch alle Gastronomien), können die sogenannte „Außerordentliche Wirtschaftshilfe“ des Bundes beanspruchen.
Das Hilfskonzept sieht vor, dass berechtigte Unternehmen bis zu 75% ihres regulären Umsatzes erhalten können, somit soll im besten Fall die Zahlung aller laufenden Kosten sowie auch ein Unternehmerlohn gewährleistet werden. Die Berechnung erfolgt im Regelfall auf Basis der Zahlen aus dem Vergleichsmonat im Vorjahr, aber auch für jüngere Firmen gibt es Zusatzregelungen. Der Nachteil: Natürlich werden andere Leistungen wie etwa das Kurzarbeitergeld in eine Verrechnung einbezogen, so dass die 75% als solche wahrscheinlich nur in den seltensten Fällen ausgeschüttet werden. Eine Übersicht über die Mechanismen der Wirtschaftshilfe sowie einen weiterführenden Link zur Beantragung gibt es hier.
Großbritannien trinkt sich mit Rum durch die Krise
Es muss wohl mit der historischen, jahrhundertelang gepflegten Tradition der täglichen Rum-Ration in der Royal Navy zu tun haben. Denn ob ein täglicher Becher Rum nun wirklich gesund ist, gar antiviral wirkt, das Wohlbefinden steigert oder einfach nur den Kopf von schlechten Gedanken freimacht: Die Briten trinken in der Corona-Krise viel mehr Rum als sonst, das berichtet der Branchendienst The Spirits Business.
So haben sich laut der Meldung die Rum-Verkäufe auf den britischen Inseln im zweiten Quartal 2020, also großteils in den tiefsten Tiefen des ersten Lockdowns, um rund 53% (!) gesteigert – wohlgemerkt in einem Zeitraum, in dem die Alkoholverkäufe generell gesunken sind. Besonders explodiert ist dabei der Absatz von Produkten aus den Bereichen Spiced Rum bzw. Flavoured Rum. Die Vermutung liegt nah, dass viele Verbraucher so die Schließung der Gastronomie kompensiert haben: Wer keinen Mai Tai in einer Bar trinken kann, kauft sich gern eine Flasche Spiced als Instant-Basis für Cocktails an der Heimbar. Angesichts der aktuellen Entwicklungen dürften also zumindest die großen Rum-Produzenten, die in den Supermärkten gelistet sind, eher weniger Angst vor den kommenden Monaten haben.
Sexismus an der Spitze der Weinszene
Nicht nur das Whisky-Business hat als traditionelle Männerdomäne ein ausgeprägtes Sexismus-Problem, wie etwa die stürmische Debatte um Jim Murray in den letzten Wochen erneut eindrucksvoll demonstriert hat. Auch die Elite der Weinszene muss sich derartige Vorwürfe gefallen lassen, wie Julia Moskin in ihrem großen Dossier für die New York Times aufdeckt.
Demnach hat die Szene der US-Spitzensommeliers gewaltige Schwierigkeiten mit Sexismus. Nicht nur in der simplen Tatsache liegend, dass ein erschlagender Großteil der sogenannten „Master Sommeliers“ männlich ist, es berichten ebenfalls zahllose weibliche Master Somms oder ehemalige Anwärterinnen von sexueller Belästigung und Missbrauchsversuchen durch männliche „Kollegen“. Es geht offenbar um viel Geld, Einfluss, alte Seilschaften und sehr viel reaktionäre Sicht auf Frauen. Lesenswert!
World’s 50 Best Bars startet den Countdown
Eins muss man den Machern des „World’s 50 Best Bars“-Formats zugutehalten: Sie lassen sich von nichts beirren. Während durch den eintretenden Herbst zumindest auf der Nordhalbkugel rund um den Globus fast alle Bars wieder auf nicht absehbare Zeit geschlossen werden, wurde nun der traditionelle Countdown zur Bekanntgabe in der nächsten Woche eingeleitet.
Jedes Jahr veröffentlicht W50BB rund eine Woche vor der eigentlichen Top-50-Liste als eine Art Warm-Up eine weitere Liste mit jenen Bars, die in dem Voting auf die Ränge 51 bis 100 gekommen sind – so auch dieses Jahr. Wie schon vor ein paar Wochen fragen wir uns erneut, auf welche Weise eine solche Liste in diesem Jahr überhaupt repräsentativ sein soll. Schließlich hatten die Bars teilweise ein halbes Jahr lang geschlossen und auch die sonst so emsig um die Welt fliegenden Juroren dürften kaum die Gelegenheit für ausgedehnte Reisen gehabt haben. Und inwiefern es in diesen Tagen wirklich angebracht ist, Bars in eine Bestenliste zu setzen, während viele von ihnen vielleicht nie wieder öffnen, steht nochmal auf einem anderen Blatt.
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