Inventur am 6. Dezember 2020 – Naren Young über „dunkle“ Awards & eine Tequilla-Bar wird zur Kirche
Lasst uns froh und munter sein. Oder so ähnlich, schließlich ist ja Nikolaustag. Ob der gutmütige alte Bischof letzte Nacht die Stiefel der Kinder auch wirklich kontaktlos befüllt hat, wissen wir nicht. Und noch eine Antwort entzieht sich unserer Kenntnis: Hat der Nikolaus die Süßigkeiten vielleicht bei Lidl gekauft? Aus unserer Sicht schwierig, denn der Discount-Riese hat die Bar-Community im Laufe dieser Woche heftig erzürnt. Was war geschehen?
In einem Social-Media-Post vom vergangenen Wochenende hatte Lidl unter dem Slogan „Bar war gestern“ aktiv Gastronomiemitarbeiter angesprochen und umworben, lieber in einer seiner Filialen anzuheuern, um dort für garantierte 12,50 Euro „Cash“ pro Stunde Regale zu befüllen oder an der Kasse zu arbeiten. An sich kein verkehrtes Angebot, benötigen doch viele Bartenderinnen und Bartender derzeit dringend eine alternative Einkommensquelle. Die Art und Weise der Ansprache sorgte jedoch in Anbetracht des aktuellen Zustands im Gastgewerbe für Entrüstungsstürme in der Szene – nicht ganz zu Unrecht, aber in ihrer Heftigkeit auch für uns unerwartet. Wie sehen Sie das? Soll man derartige, flache Kampagnen wirklich mit einem Shitstorm „würdigen“ oder nicht doch am besten einfach links liegen lassen? Wir freuen uns über Ihre Meinung in den Kommentaren! Unterdessen schauen wir, was sich in der Bar- und Gastronomie-Branche diese Woche noch getan hat.
Naren Young über die Schattenseite von Awards
Er weiß, wovon er spricht: Der Bartender, Unternehmer und Autor Naren Young gehört zu den bekanntesten Gesichtern im globalen Bar-Karussell, den bisherigen Höhepunkt seiner Karriere erreichte er im Herbst letzten Jahres, als sein Dante in New York zur „World’s Best Bar“ gekürt wurde. Kurz darauf zog sich Young allerdings aus der Firma, die er mit mehreren Partnern führte, zurück.
Für das Australian Bartender Magazine beleuchtet der Bartender nun gut ein Jahr nach seinem größten Erfolg etwas, das er die „dunkle Seite“ von Awards nennt: Er bemängelt, dass offenbar immer mehr Barbetreiber zu viel Arbeit in ihr Streben nach Awards stecken anstatt sich um den eigentlichen Inhalt ihrer Tätigkeit zu kümmern. Ebenso hat er mit Personen aus dem Awards-Business gesprochen, die berichten, dass es eine stetig wachsende Zahl an Barleuten gibt, die bei den jeweiligen Juroren offensiv Werbung machen. Ein lesenswerter, kompakter Beitrag von einem reflektierten Kopf. Denn auch wir, die wir selber Preise verleihen, betonen immer wieder: Ein Award kann und darf nur das i-Tüpfelchen nach getaner, großartiger Arbeit sein, kein Selbstzweck.
Ziviler Ungehorsam? Bars in den Niederlanden wollen trotz Lockdown öffnen
Was eigentlich nur das Parlament kann, wollen nun auch viele niederländische Wirte tun: der Regierung das Vertrauen entziehen, und zwar in Form von zivilem Ungehorsam. Wie die Kollegen von Tageskarte berichten, hat eine recht große Gruppierung von Bar- und Restaurantbesitzern angekündigt, nach Ablauf des aktuell geltenden Lockdowns in jedem Fall ihre Betriebe wieder zu öffnen.
Derzeit herrscht in unserem westlichen Nachbarland die Order, dass die Gastronomie bis Mitte Januar geschlossen bleibt, eine Verlängerung dieser Schließung steht aber bereits zur Disposition. Das wollen sich die Wirte der erwähnten Gruppierung nicht gefallen lassen und nach dem Ende der Lockdown-Frist am 17. Januar 2021 definitiv wieder aufsperren. Ob diese Absicht in die Tat umgesetzt wird, steht noch in den Sternen – nicht nur, weil die einschlägigen Behörden darauf sicherlich reagieren würden, sondern auch, weil sich ausgerechnet jene Wirte aus den größten Städten Amsterdam, Den Haag und Rotterdam der Bewegung nicht angeschlossen haben. Und auch der niederländische Gaststätten-Dachverband hat sich gegen derlei Bestrebungen ausgesprochen. Es könnte also am Ende auch schlicht an Tempo und Kraft fehlen, um die Ankündigungen durchzuziehen.
Wo alles begann: Die große Serie zur Cocktail-Renaissance
Wo der Autorenname Robert Simonson steht, darf man beherzt hinlesen. Der Journalist und Buchautor, der u.a. seit Ewigkeiten für die New York Times über Bars schreibt, ist einer der profundesten Kenner besonders der US-Barszene und ein hoch angesehener Cocktailhistoriker. Für das Punch Magazine liefert Simonson nun zum Jahresende eine große vierteilige Serie, die sich dem Verlauf der Cocktail-Renaissance in ihren einzelnen Stufen widmet.
Den Anfang macht sein erster Text, der einen dezidierten Blick auf die späten 1990er Jahre wirft, als Personen wie Dale DeGroff, Dick Bradsell und Julie Reiner die ersten, fundamentalen Grundsteine für die heutige Vitalität und fachliche Weiterentwicklung des Bar-Handwerks legten. Nach Simonson damals die wichtigsten Themen: die Wiederentdeckung frischer Zutaten und der Neu-Erwerb des alten Fachwissens, das jahrzehntelang verschollen war. Unbedingt lesen und sich auf die weiteren drei Teile freuen!
Den Tequila anbeten: das 400 Rabbits in Nottingham macht sich selbst zur Kirche
Auch so kann man’s machen: Weil er seine Bar nicht mehr öffnen darf, hat der Besitzer der Bar 400 Rabbits im englischen Nottingham für seinen Betrieb nun die Anerkennung als Gotteshaus der neu gegründeten Glaubensgemeinschaft „Church of 400 Rabbits“ beantragt, so berichtet es u.a. der Sender CNN.
Wie auch anderswo, gelten in Großbritannien spezifische, vergleichsweise lockere Corona-Regeln für religiöse Einrichtungen. Für James Aspell, den Inhaber der mexikanisch inspirierten Cocktailbar, war die Sache damit klar: Seine Bar wird zum Tempel, denn dann dürfen Personen aus einem bestimmten Kontaktkreis sich gemeinsam bei ihm treffen. In Großbritannien ist der zweite Lockdown seit Mittwoch zwar offiziell beendet, für die Gastronomie gilt jedoch ein Drei-Stufen-System der Beschränkungen, das sich nach der jeweiligen Infektionslage in einer Stadt oder Region richtet. Nottingham liegt in dieser Skala derzeit auf der höchsten Stufe, was bedeutet, dass alle Bars geschlossen sind.
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