Inventur am 23. Oktober 2022 – Wirtschaftskrimi bei Two Schmucks & neue Regularien für Sherry
Ein Herbst, der sich eher wie ein Frühling anfühlt: Was man früher noch als schönen Altweibersommer beschrieben hätte, diesen verlängerten Arm des Sommers in die kalte Jahreszeit, hinterlässt angesichts der Klimaverschiebung eher beklemmende Gefühle. 20 Grad im Oktober, die neue Norm? Wir wollen es nicht hoffen, und auch Bars, deren Kerngeschäft sich eher in der kalten Jahreszeit abspielt, würden die Außenbestuhlung samt Decken wohl lieber mal bis zum Frühjahr einlagern. Und somit steigen wir ein in die wöchentliche Inventur, in der ein Kapazunder der internationalen Barszene vor den Scherben seines Erfolges steht …
Bitterer Abgang: Moe Aljaff legt nach
Bereits in der Inventur vor zwei Wochen hatten wir über den für viele überraschend gekommenen Umsturz beim bekannten Two Schmucks geschrieben. Kurz nach dem Ranking seiner Bar auf Platz Sieben der World’s 50 Best Bars gab Moe Aljaff bekannt, dass er nicht mehr Teil der von ihm mitgegründeten Bar in Barcelona sei, gleichzeitig legte die Belegschaft fast geschlossen ihr Amt nieder.
Die Überraschung war groß, die Gerüchteküche auch, die u.a besagte, dass Aljaff bei seinem Auszug die Bar zertrümmert habe. All das war es vielleicht auch, was ihn veranlasst hat, nun aufzuklären: In einem ausführlichen Instagram-Reel erklärt er den Hergang, der sich wie ein Wirtschaftskrimi anhört; in den schwierigen Zeiten der Pandemie sei ein millionenschweres Unternehmer-Ehepaar als Geldgeber eingestiegen, das weltweit Investitionen tätigt und selbst einen Flughafen in Kasachstan sein eigen nenne, und ehe er es sich versah, hätte er Verträge unterschrieben, die es diesen Investoren ermöglicht hatte, ihn aus seiner Bar zu verdrängen.
Abgesehen von dieser traurigen Geschichte, hinter der auch zerbrochene Freundschaften zu stehen scheinen, bleibt abzuwarten, wie sich Two Schmucks entwickelt, gibt es doch kaum eine Bar, deren Popularität sich so stark an der Persönlichkeit ihres Betreibers orientiert. Bitterer Beigeschmack für Aljaff: Mit Pom Modeste scheint eine Bartenderin an Bord zu bleiben, die er nach Barcelona geholt hatte. Und ihre Posts wirken alles andere als traurig.
Leiser Abschied: Behzad Karim Khani schließt seine Bar
Weiter geht es von einem unfreiwilligen Abschied zu einem freiwilligen Abschied: Behzad Karim Khani wird seine Lugosi Bar in Berlin-Kreuzberg schließen. Und das nicht nach Zerwürfnissen mit Geschäftspartnern oder Vermietern, sondern einfach weil die Zeit nach etwas mehr als zehn Jahren abgelaufen ist. Und natürlich: Weil er sich aktuell zu den Shooting Stars des deutschen Literaturbetriebs zählen darf.
Sein Debüt-Roman „Hund Wolf Schakal“ wurde wohl von jedem ernstzunehmenden Medium besprochen, ist sowohl Bestseller wie bereits Preisträger angesehener Auszeichnungen und bereits in der zweiten Auflage – anzunehmen, dass Karim Khani etwas mehr Zeit in sein bereits angekündigtes Nachfolgebuch stecken will als in Kreuzberger Nachtschwärmer. In einem klaren, elegischen Text für Stadtmagazin tip Berlin nimmt er die Leser:innen mit auf die Reise, wie sein Berliner Gastro-Abenteuer begann – und warum es sich wohl nun dem Ende zuneigt.
Das Comeback der Happy Hour?
Der Begriff löst unter vielen Barleuten Gänsehaut aus, allerdings kein Gribbeln der positiven Sorte: Happy Hour. Man assoziiert damit eher Gäste, die zu früh zu viel trinken, dabei mit einer Mentalität des Schnäpp(s)chenjägers auf jedem Groschen sitzen – und überhaupt Bars, die weniger Cocktailbars sind, sondern in bunten Buchstaben „Sex on the Beach“ auf den Aufstelltafeln neben dem Eingang stehen haben. Not so fast!, sagt das Punch Magazine, und beleuchtet in einem Beitrag die Frage, ob die Happy Hour gerade eine Imagekorrektur vollzieht.
Einen Grund sieht das Magazin in der auch in den USA popuäler werdenen, italienischen Aperitif-Kultur, eine andere Ursache ist hingegen wesentlich profaner: steigende Preise, Inflation und wirtschaftliche Unsicherheit. Die Prognosen über eine bevorstehende Rezession würden immer lauter, da komme die Ausbreitung der Happy Hour gerade rechtzeitig, wird ein Bartender aus Portland zitiert. Ein guter Cocktail koste heute immerhin mehr als 20 Dollar, und für viele sei der Drink vor dem Abendessen unerschwinglich geworden. Bars wiederum erlaube die Happy Hour, übrige Waren an den Mann bzw. die Frau zu bringen und schon mal für Geschäft zu sorgen. Das klingt schlüssig, gerade auch wenn man sieht, dass auch hierzulande die Öffnungszeiten kürzer und konzentrierter werden. Vielleicht braucht es ja nur einen anderen Begriff für das Phänomen?
Die neuen Regularien für Sherry
„Sherry ist einer der geheimnisvollsten Orte in der Weinwelt“, beschreibt André Tamers, Gründer von De Maison Selections Wine Imports in North Carolina. „Es ist wie das Schälen einer Zwiebel. Die ganze Zeit über schält man Schichten. Das ist natürlich sehr magisch, aber es bringt einen zum Weinen.“
Mit dieser schönen Allegorie beginnt ein lesenswerter Artikel auf SevenFiftyDaily über die veränderten Regularien für Sherry, die bereits 2021 eingeläutet, aber effektiv seit letzter Woche in Kraft sind. Und diese haben es in sich, denn es geht nicht nur um leichte Modifikationen, die sich gut auf Papier verkaufen– es geht tatsächlich um elementare Änderungen. Die Reifung von Wein wird im gesamten Gebiet der DO Sherry gewährt – und nicht mehr nur in den Gemeinden Jerez de la Frontera, Sanlúcar de Barrameda und El Puerto de Santa María. Jedes Weingut kann den Status Jerez Superior beantragen. Sechs vergessene lokale Rebsorten werden wieder zugelassen, die neue Kategorie Fino Viejo wird geschaffen und der Mindestzuckergehalt sowohl für trockene als auch für süße Weine wird geändert. Und – last but not least – wird die Notwendigkeit der Fortifizierung abgeschafft, was die Kategorie des Sherry noch näher an die Wein-Kategorie ran rücken soll. Wer ein Herz für Sherry hat – und das sollen nicht zuletzt durch diese veränderten Regularien global noch mehr Menschen werden – sollte diesen Beitrag lesen.
Credits
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