Inventur am 31. Mai 2020 – Mit der Wunderbar in Regensburg schließt ein Urgestein & Bar Convent Berlin wird digital
An gleicher Stelle haben wir vor einer Woche über die Ankündigung einer möglichen Ausgleichszahlung für Wirte von Bundesfinanzminister Olaf Scholz geschrieben. Von den 150 Milliarden Euro, die das Hilfspaket insgesamt umfasst, sollten auch Gastronomen einen Ausgleich für den Umsatzausfall erhalten, den sie aufgrund der angeordneten Schließungen erlitten haben.
Wir haben seither versucht, aus dem Bundesfinanzministerium zu erfahren, wie diese Hilfe für Gastronomen konkret aussehen kann. Details konnte das Pressereferat des Bundesministerium für Finanzen jedoch noch nicht mitteilen. „Die Bundesregierung befindet sich aktuell in der Abstimmung des Konjunkturpakets, das sie Anfang Juni vorlegen wird, um die Wirtschaft schnell wieder anzukurbeln. Details des Konjunkturprogramms werden wir zeitnah bekanntgeben. Bundesfinanzminister Scholz ist dabei wichtig, dass gerade den Branchen geholfen wird, die besonders hart von der Krise getroffen sind. Dabei nennt er ausdrücklich Gaststätten. Gerne möchte ich Sie auf das entsprechende Statement des Ministers zum Konjunkturpaket hinweisen: https://mobile.twitter.com/BMF_Bund/status/1263368007247695876“, hieß es in einer schriftlichen Stellungnahme an MIXOLOGY.
Zumindest für Berlin, wo nach langem Zuwarten ab Dienstag, dem 2. Juni, die Bars ebenfalls wieder öffnen dürfen, werden wir Genaueres aus der Politik in Erfahrung bringen: Dort hat uns Wirtschaftssenatorin Ramona Pop ein Interview gewährt. Davon nächste Woche mehr.
Die Wunderbar in Regensburg schließt
Martin Stein ist in den letzten Jahren zu einem geschätzten Autoren bei MIXOLOGY geworden, der dem Geheimnis des Naked & Famous ebenso auf den Grund geht wie der Wirkung des Zestens im Fliegen von Agostino Perrone. Vornehmlich aber war Martin Stein immer auch Gastronomen und Barbetreiber, und dieses „war“ bekommt nun einen tatsächlich realen, traurigen Beigeschmack: Er wird nämlich den Betrieb seiner Wunderbar in Regensburg einstellen. Seit 1988 gibt es den Ort, wo man sich damals auch durchaus am Buch von Charles Schumann orientierte. Ein Ansatz, der mit den Jahren etwas verloren ging und durch den Cocktail-Enthusiasmus von Martin Stein wieder belebt wurde. Bekannt war die Wunderbar nichtsdestotrotz stets als traditioneller Late-Night-Spot, was, wie er nun selbst schreibt, Segen und Fluch zugleich war.
„Seit Mitte März ist die Bar nun geschlossen. Wie bei allen anderen. Und wie bei allen anderen Bars fehlt auch bei mir im Moment jegliche Perspektive, wie das überhaupt irgendwann weitergehen soll. Es kommen noch ein paar verschärfende Umstände hinzu: über die vergangenen Jahrzehnte hinweg hat sich die Wunderbar den Ruf einer Spätkneipe erworben, wo man halt hingeht, wenn die anderen zusperren. Mir ist es leider genauso wenig wie meinen Vorgängern gelungen, dieses Klischee zu ändern, wodurch schon von Haus aus das Wirtschaften nicht gerade erleichtert wird. Wenn nun die Corona-Lockerungen entsprechend der bisherigen Logik weitergehen, dann werden wir im Juli für 30 Leute bis 24:00 aufsperren dürfen. Und das ist halt völlig für die Katz“, schreibt er in einem Abschiedsbrief auf Regensburg Digital.
Es wäre aber nicht Martin Stein, wenn selbst dieser Abschiedsbrief neben einem wehmütigen Abgang nicht auch einen humorvollen Einstieg hätte.
Bar Convent Berlin 2020 wird digital
Der Bar Convent Berlin ist nach wie vor die führende Veranstaltung der Barszene und findet traditionell im Oktober statt. Das ist noch lange hin – aber auch nicht lange genug, um in Zeiten der Corona-Pandemie wirtschaftlich und verantwortungsvoll planen zu können. Es war also im Grunde nur eine Frage der Zeit, bis bekanntgegeben werden würde, dass der BCB in diesem Jahr nicht in seiner gewohnten Form stattfinden wird können.
Diese Woche war es nun soweit. Wie man im Hause des Veranstalters Reed bekanntgab, wird der Bar Convent Berlin 2020 eine Art Übergangsmodell ins Jahr 2021 werden: „Pouring digital“ heißt das Konzept für 2020. Wie dieses Programm im Detail aussehen wird, steht noch nicht hundertprozentig fest, es soll aber eine Kombination aus Live- und digitalen Events sein. „Wenn unsere Aussteller und Besucher nicht zu uns kommen können, dann müssen wir zu ihnen kommen“, beschreibt BCB Director Petra Lassahn. Neben Online-Angeboten sollen auch Bars als Herzstück der Messe mit einbezogen werden, auch hier befindet man sich in der Konzeptphase. „Wir wissen ja, wie aktiv und kreativ die Branche ist und werden viele Best Practices zeigen. Und auch Trends und Neuheiten werden eine große Rolle spielen. Dementsprechend werden wir das Programm gestalten und sobald wie möglich konkrete Referenten nennen“, erklärt die BCB-Chefin weiter.
Hinter den Kulissen einer Wiedereröffnung
Bleiben wir kurz in Berlin. Hier hat man sich lange Zeit bedeckt gehalten, bis der Gastronomie relativ kurzfristig die Möglichkeit der Wiedereröffnung geboten wurde. Wie das in der Praxis aussehen kann, darüber hat man sich bei der New York Times ein Bild verschafft und beim Pauly Saal in Berlin hinter die Kulissen gesehen.
Die Fragen, die in der allgemeinen Öffentlichkeit natürlich etwas untergehen, aber Gastronomen als Anbieter spezieller und einzigartiger Konzepte und Produkte – wie in diesem Fall ein mit einem Michelin-Stern prämiertes Restaurant – durchaus beschäftigt: Wie kann man einen geöffneten Wein riechen, wenn man ständig Mundschutz tragen muss? Wie ein Gericht abschmecken? Wie ein Restaurant führen, das von menschlichen Sinnen wie Riechen und Schmecken abhängig ist, wenn man das Riechen und Schmecken verbergen muss?
„Es ist nicht angenehm“, so Sommelier Paul Valentin Fröhling, „es ist befremdlich. Aber wir werden uns daran gewöhnen.“ Wie vielerorts haben sich auch Mitarbeiter des Pauly Saals mit Arbeiten wie auf einem Bauernhof oder als Eisverkäufer über die Runden gebracht. Jetzt ist man vor allem froh, wieder loslegen zu können.
Hommage an Donn Beach
Zum Abschluss der Inventur soll es etwas Eskapismus sein, und was wäre dafür besser geeignet als die Mutter aller Cocktail-Eskapismen, die Tiki-Kultur? Im Punch Magazin widmet man sich nämlich einer ausführlichen Würdigung von Ernest Beaumont Gantt, besser bekannt als Donn Beach. Als solcher gilt der Amerikaner, der 1934 seine erste Bar eröffnete – das Don’s Beachcomber Cafe am North McCadden Place in Los Angeles – als Gründer von Tiki.
Es geht in dem Text jedoch weniger um einen bloßen historischen Blick zurück. Man würdigt den 1989 verstorbenen Abenteurer weniger für seine Tiki-Hardware wie Blumenkränze und Tiki-Mugs, sondern vielmehr für seine Tiki-Software, also die Drinks und Zutaten. Denn wie Chloe Frechette schreibt, hatte Gantt mit der Verwendung von mehreren Spirituosen für einen einzelnen Drink sowie seinen Pre-Batched-Blends in seiner kleinen, 24-Sitzplatz-Location einiges vorweg genommen, was erst sehr viel später wieder Einzug in die Barkultur gefunden hat. „Like a magician, Gantt awed his guests with flash and flamboyance. But the glitz obscured the mechanics of the trick. The complexity of his rum blends lay hidden behind a sculptural mug, provocative name and exotic garnishes“, so in dem kurzen Abriss um die vergessenen Verdienste des Tiki-Pioniers.
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