Inventur am 6. März 2022 – Ukrainischer Nemiroff Vodka stellt Produktion ein
Herzlich willkommen an diesem ersten Sonntag im meteorologischen Frühling. Reden wir nicht lange um den heißen Brei: Seit zehn Tagen gibt es kein anderes Thema mehr als den Krieg in der Ukraine. Auch wir bei MIXOLOGY verfolgen die dortigen Entwicklungen mit Sorge und bangen um die Millionen von Menschen, die einer ungewissen Zukunft entgegenblicken.
Dies gilt freilich in besonderem Maße für die ukrainische Barszene, die sich in den letzten Jahren immens weiterentwickelt hat und ihren Beitrag zum Fortschritt der internationalen Community geliefert hat. Aktuell gibt es auch unter deutschen Gastronom:innen Pläne und Bestrebungen, flüchtenden ukrainischen Barleuten aktiv Hilfe zu leisten, etwa durch Unterbringung, aber auch durch Jobangebote. Sollten sich in diesem Zusammenhang erste Initiativen ergeben, über die kommuniziert werden kann, werden wir über diese selbstverständlich auf unseren Social-Media-Kanälen informieren. Schauen wir unterdessen auf die News der Woche, die wir ebenfalls mit einem Thema aus der Ukraine beginnen.
Nemiroff Vodka stellt Produktion vorerst ein
Der Krieg in der Ukraine trifft nun auch den prominentesten dortigen Vodkahersteller. Wie The Spirits Business berichtete, haben sich die Betreiber der Nemiroff Distillery dazu entschieden, die Produktion in ihrer Brennerei vorerst einzustellen. Als Grund dafür nannte die Firma u.a., dass ein Teil der Belegschaft sich freiwillig den Streitkräften angeschlossen habe, um gegen die russischen Invasoren zu kämpfen.
Nemiroff ist nicht nur der größte und bekannteste ukrainische Vodka, sondern praktisch der einzige Vodka aus dem Land, der in Mitteleuropa flächendeckend vertrieben wird. Seit Beginn der russischen Invasion zeigten sich zahlreiche Angehörige der Barszene nicht nur solidarisch durch die Auslistung russischer Vodkas, sondern teilweise auch dadurch, dass sie sich demonstrativ mit einer Nemiroff-Flasche fotografieren ließen. Wie lange die Lagerbestände beim deutschen Importeur TeamSpirit noch halten werden, konnte MIXOLOGY leider noch nicht in Erfahrung bringen.
Ein Bericht von der Front: Bars in Kiew teilweise als Bunker genutzt
Es sind berührende und bestürzende Zeilen, die man diese Woche im britischen Magazin DrinksInternational lesen konnte. Redakteur Hamish Smith beleuchtet in einem kurzen Beitrag die Auswirkungen des russischen Angriffs auf die Barszene der ukrainischen Hauptstadt in einem Szenario, das sich wie aus vergangenen Zeiten liest.
So würden dort aktuell bei Raketenangriffen auch in Kellern oder Souterrains gelegene Bars als Luftschutzbunker genutzt, wie man es in den hiesigen Medien üblicherweise nur von U-Bahn-Stationen kennt. Überdies stellen Bars und Restaurants ihre Küchen und Back Offices zur Zubereitung und Ausgabe von Verpflegung zur Verfügung. Insgesamt seien aber, so schätzt der Artikel, rund die Hälfte aller Kiewer Barleute aus der belagerten Stadt geflohen. Die verbliebenen Barleute trügen sogar, heißt es weiter, teilweise zur „Rüstungsindustrie“ bei, wie Barmann Dima Shovkoplias zitiert wird: Durch die Fertigung von Molotov Cocktails.
Welche Leute profitieren eigentlich von Bars?
Für wen dreht sich die Barwelt eigentlich? So ist der Artikel von John Debary im Punch Magazine überschrieben. Und es ist eine wichtige Frage, die der Barmann damit stellt, denn er meint nicht die Gäste. Er meint die Menschen, die dort arbeiten. Seine Kernthese: Die Früchte und Erfolge, die die seit der Jahrtausendwende neu erwachte Barkultur erlangt hat, kommen bei zu wenigen Menschen an. Statt einer Fläche an Barleuten hätten nur wenige Glückliche profitiert.
Neben dem Aspekt, dass für eine auch monetär erfolgreiche Karriere auch schlicht das Glück bei der Wahl eines Jobs eine Rolle spielen kann, geht Debary aber auch und vor allem auf einen zentralen Punkt ein, der bereits lange bekannt ist: Die entsetzliche Bezahlung, die natürlich besonders in den USA ein immenses sozialpolitisches Problem darstellt. Vor der aktuellen Debatte um quasi weltweiten Personalmangel in der Gastronomie nur ein weiterer Beitrag, der klarmacht, dass Dumpinglöhne nicht der Weg der Zukunft sein können.
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