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An apple a day: der Jack Rose Cocktail

Die Crux mit dem Applejack: Ohne ihn kein Jack Rose. Oder doch? Nein, der leicht derbe amerikanische Apfel-Brandy muss schon sein, sonst klappt das nicht. Leider gab es ihn auf dieser Seite des Atlantik seit Ewigkeiten praktisch nicht zu kaufen. Über einen grandiosen Cocktail, den Generationen europäischer Barleute eigentlich nur als pinken Calvados-Sour kennengelernt haben.

Angehörige einer bestimmen Generation sowie Menschen mit einem Faible für monumentale Liebesfilme mögen beim Cocktailnamen Jack Rose vielleicht vermuten, dass es sich um einen Drink handelt, der den beiden großen Liebenden Jack und Rose aus James Camerons Titanic von 1997 Tribut zollt. Diese Menschen muss man leider enttäuschen, obwohl der Jack Rose – wie wir gleich noch näher betrachten werden – offenbar wirklich nur ein Jahr nach dem Untergang der Titanic erstmals in seiner heute üblichen Form aufgeschrieben wurde.

Der Jack Rose: Gibt’s den eigentlich noch?

Gemein hat der Jack Rose mit der Titanic jedenfalls, dass er alt und versunken ist. Zumindest größtenteils und – mit Blick auf den Raum außerhalb Nordamerikas – in seiner originalen Form praktisch sogar komplett, außer vielleicht in ein, zwei dutzend Bars. Denn die Geschichte ist bekannt: Der an sich so simpel modifizierte Sour besteht eben nicht nur aus Zitronensaft und Grenadine, sondern verlangt nach Applejack als Basis. Und den gab (und gibt) es außerhalb der USA nur sehr bedingt zu kaufen.

Jener Applejack, also ein Brandy aus Äpfeln oder Apfelmost, ist nach übereinstimmender Auffassung der einschlägigen Fach-Historiker die erste eigene Spirituosengattung des jungen, europäisch kolonisierten Nordamerikas gewesen. Entstanden im Nordosten der heutigen USA (wo er derzeit unter Craft-Brennern auch eine Renaissance erlebt), sind die Wurzeln recht eindeutig. Applejack hat seinen mutmaßlichen Ursprung in den Obstbrand- und Cidre-Traditionen, die von Immigranten aus Mitteleuropa mitgebracht worden waren. Insofern hat Applejack seine wichtigste Ahnenlinie natürlich zum nordfranzösischen Calvados, allerdings ist er in seiner klassischen Form wesentlich kantiger, spitzer, derber. Schlicht weniger elegant im Sinne eines Cognacs, sondern eher mit einem jungen Rye vergleichbar.

Jack Rose Cocktail

Zutaten

6-7 cl Applejack (optional 1 cl ersetzt mit Apfelbrand) oder Calvados
2,25 cl frischer Zitronensaft
1,5 cl Grenadine

Applejack: Eine Spirituose, die oft nichtmal gebrannt wurde

Schnell wurde Applejack schon im Lauf des 17. Jahrhunderts in weiten Teilen der Kolonien (und später in den jungen Vereinigten Staaten) zu einer klassischen Volksspirituose, die – in gereifter oder auch ungelagerter Form – den teuren Cognac oder sonstigen Weinbrand ersetzte, den sich nur Wohlhabende leisten konnten. Getreide wiederum diente primär zur Erzeugung von Brot und Bier, die Whiskeygeschichte der USA begann erst später. Und die Kolonisierung der Karibik brachte mit ihrem Zuckerrohr-Boom zwar schnell eine Rum-Industrie hervor, doch bis Rum als wirklich verfügbares Produkt in den Norden von Kontinentalamerika vordrang, brauchte es noch viel Zeit.

Umso mehr kam Applejack seine Herkunft zupass, denn vielfach musste er noch nicht einmal destilliert werden: Die Ethnologie geht heute davon aus, dass viele Menschen ihn vielmehr sozusagen durch Kaltfiltration von vergorenem Apfelmost erzeugten. In den strengen Wintern Neuenglands genügte es, den Apfelwein draußen zu lagern und das gefrorene Wasser vom Alkohol abzuschöpfen. Brauer kennen dieses Verfahren heute noch vom „Eisbock“, einem Starkbier, dem auf gleiche Weise ein gewisser Wasseranteil entzogen wird.

Vom Evergreen zum Underdog

Genau jener Status als einfache Spirituose für einfache Leute wurde dem Applejack dann wahrscheinlich zum Verhängnis, und zwar in Tateinheit mit der dann doch irgendwann steigenden Verfügbarkeit anderer Produkte. Im Laufe des 19. Jahrhunderts setzten sich Rum und Whiskey immer mehr am US-Markt durch, etwa ab den 1880ern stieg auch der Import von Genever bzw. Gin und weiterer europäischer Spirituosen an, die weniger teuer, aber dennoch leicht trinkbar waren. Applejack wurde sozusagen fallengelassen, weil es nun Anderes gab, das nicht seinen Ruch hatte. Der finale Genickbruch war die Prohibition: Die Familie Laird, seit Jahrhunderten der größte Applejack-Hersteller, sattelte auf Saftproduktion um. Nach dem Ende des Alkoholverbots ging der zuvor nur mäßig populäre Bourbon als langfristiger Sieger aus der Schlacht um die Marktneuordnung hervor. Rye Whiskey brauchte Jahrzehnte, bis er wieder Beachtung fand. Applejack gelang auch das nicht.

Jack Rose, der pinke Bad Boy

Bühne frei also für den Jack Rose Cocktail, der tragischerweise genau in dieser Zeit entstand, als zwar das erste goldene Cocktail-Zeitalter in voller Blüte stand, aber längst andere Spirituosen in Mode waren: Seine offenbar erste Erwähnung in Jack’s Manual von Jack Grohusko (1908) liest sich noch eher wie ein fizzy Frappé und verlangt statt Grenadine nach Himbeersirup. Die oben erwähnte erste Verschriftlichung des Jack Rose nach heutigem Verständnis wiederum lieferte 1913 der Barmann Jacques Straub in seinem damals sehr bekannten Straub’s Manual: Er listet eine Rezeptur auf, die im weitesten Sinne einem auch heutzutage gängigen Sour-Konzept entspricht. Wie Gabriel Daun schon in MIXOLOGY 6/2020 schrieb, ist die Verwendung von Limette – entgegen dem heute üblichen Zitronensaft – gut nachvollziehbar. Um 1910 waren Limetten einfach gängiger, erst einige Zeit später verschob sich die Präferenz in Fachbüchern in Richtung der Zitrone. Doch wir schweifen ab!

Jedenfalls kam der Jack Rose als eigentlich zeitgemäßer (heute würde man glatt sagen: regionaler) Sour bzw. Punch daher, und das in einer Zeit, in der die Cocktailkultur der Großstädte florierte. Doch schon die zwei, drei Jahrzehnte davor hatten mit Impulsgebern und Buchautoren andere Spirituosen in die Gunst der Trinker gerückt: Die sich etablierende, überregionale Barkultur fußte in ihrer Breite auf Whiskey, Cognac, fortifizierten Weinen, allerlei Bitterem, auf Likören europäischer Herkunft sowie vermehrt auf Genever und später Gin. Für den Jack Rose aus rustikalem Applejack war da eigentlich kein Platz mehr. Sicher, er wurde getrunken. Aber er wurde alles andere als ein globaler Barklassiker.

Danke, David.

Dass wir heute noch ab und zu auf den Jack Rose stoßen, scheint zu einem guten Teil begründet in der Tatsache, dass der Rechtsanwalt und Buchautor David A. Embury den Jack Rose in seinem The Fine Art of Mixing Drinks (1948) als einen der „Six Basic Cocktails“ klassifizierte. Emburys Buch, das sich ursprünglich nie als Fachbuch verstand, gilt unter Barleuten heute als eines der wichtigsten historischen Referenzwerke – und Embury stellte darin den Jack Rose sozusagen als dem Sidecar und Daiquiri ebenbürtig dar. Bei genauerem Hinsehen wird zwar klar, dass Embury den Jack Rose eher als Derivat der beiden anderen genannten Sours nennt. Dennoch stellt er ihn im Gegensatz zu vielen heute wesentlich populäreren Cocktails heraus und erwähnt zudem: „Out of the various applejack cocktails, the Jack Rose is the best known and, apparently, the best liked.“

Europa – wo der Jack Rose erstmal hinkommen musste

Anders sieht es bis heute in Europa aus. Zwar ist z.B. der erwähnte Laird’s Applejack mittlerweile auch hierzulande regulär erhältlich, doch Generationen von Bartenderinnen und Bartendern haben ihn in ihrer Ausbildung, wenn überhaupt, als einen Cocktail mit Calvados kennengelernt. Bestenfalls wurde in Rezepten aufgelistet: „Applejack (ersatzweise Calvados)“, was nichts anderes meint, als dass es die nicht eingeklammerte Zutat praktisch nicht gibt. Das Gleiche galt bis vor gut zehn Jahren für den Moscow Mule und Ginger Beer. Doch wir schweifen schon wieder ab!

Eckig oder rund?

Die zentrale Frage, die man sich bei der Zubereitung eines Jack Rose somit stellen muss, ist folgende: Will man einen Drink, der eher die obstigen Töne des Apfels sowie die Kantigkeit eines klassischen Apple Jack betonen möchte? Oder versucht man die Calvados-Spielart zu interpretieren, indem man eher die runde Eleganz eines im weitesten Sinne vom Cognac her gedachten Sours darstellt? Beides hat seine Berechtigung, die Resultate sind jedoch sehr unterschiedlich. Wir haben exemplarisch drei Basis-Spirituosen ausprobiert: Zum einen den Straight 86 von Laird’s Applejack, auf der anderen Seite den hervorragenden VSOP-Calvados von Drouin. Als ungereifte Basis kam außerdem der Apfelbrand von Studer in den Shaker. Ehrensache so kurz vor Weihnachten: Es wurde frische, hausgemachte Grenadine verwendet, denn Granatäpfel haben gerade ihren Saison-Höhepunkt.

Obacht mit der Säure!

Folgende Annahme muss beim Jack Rose in jedem Fall vorausgesetzt werden: Eine hochwertige oder gar hausgemachte Grenadine bringt neben der Süße auch eine gute Portion Säuerlichkeit mit. Das führt dazu, dass Vorsicht bei der Dosierung der Zitrone und somit bei der Balancierung geboten ist. Je nach Säure- und Reifegrad der Zitronen kann es daher gar nötig sein, Saft und Sirup beinahe zu gleichen Teilen zu verwenden. Für unsere Tests haben wir ein Verhältnis von 1,5 cl Grenadine und 2,25 cl Zitrone angelegt, das in allen drei Fällen einen eher säuerlichen Jack Rose ergeben hat.

Der Calvados von Drouin bringt einen Drink hervor, der in der Nase erwartet saftig-rund und karamellig daherkommt, garniert mit etwas Nelke und Kompott-Noten. Insgesamt ist er erwartungsgemäß elegant und vereint Süße und Säure sehr anregend. Mit seiner cremigen Textur und der deutlichen geschmacklichen Präsenz des Apfels wirkt er – gemeinsam mit der Tiefe des Granatapfels – beinahe weihnachtlich. Ein Anheben der Calvados-Menge von 6 auf 7 cl verträgt der Cocktail durchaus.

So geht der Jack Rose

Stark gegenteilig verhält sich der „klassische“ Jack Rose mit dem Straight 86 Applejack von Laird’s. Er duftet holzig und „spiky“, mit klarer Piment-Nuance, etwas Vanille, einer Spur sehr dunklem Karamell und zurückhaltender Tönung von gedörrtem Apfel. Eine aromatische Nähe zu so manchem Rye Sour ist nicht von der Hand zu weisen. Dieser Eindruck setzt sich auch auf der Zunge fort, der Laird’s kommt etwas besser mit der Säure klar und ergibt einen trockenen, crispen Jack Rose mit viel dunklem, kandiertem Apfel und feiner Beerigkeit. Das Finish ist leicht spitz-adstringent, aber gleichsam wärmend und dürfte wiederum Freunden von American Whiskey zusagen.

Einen ebenfalls komplett eigenständigen Jack Rose zaubert der Apfelbrand von Studer ins Glas. Basierend auf der alten Kultursorte Gravensteiner, liefert er einen sehr kernigen, trestrigen und frischen Drink, der eine satte Note von gekochtem Apfelmark und sogar leicht hefigen Duft verströmt. Besonders spannend ist er am Gaumen: Zwar filigran und schlank geraten, schmeckt er dennoch sehr komplex. Einerseits durch reintönigen, säuerlichen Apfel, andererseits flankiert durch vielschichtige Würze aus der Grenadine sowie leichte Brioche-Anklänge, die von der Hefe-Note rühren. Mit der Zeit und ein wenig Temperatur treten die mostigen Nuancen deutlicher hervor.

Einen Gewinner im eigentlichen Sinne des Wortes gibt es in diesem Vergleich nicht. Auf Anhieb überzeugt die Variante mit dem klaren Apfelbrand am meisten, denn sie ist komplex, mit extremer Präsenz der naturbelassenen Frucht – doch ist sie von ihrer DNA her recht weit von dem entfernt, was ein Jack Rose eigentlich darstellt. Dazu gehören Fassnoten. Den größten Eindruck macht diesmal also tatsächlich ein Hybrid mit so etwas wie einer eigenen Cuvée: Ein kleiner Teil Applejack wurde durch Apfelbrand ersetzt. So bleiben die „breiten Schultern“ bestehen, erhalten durch die Frische des Brandes aber die gewisse apfelige Finesse. Und wir bekommen einen Drink, der zu sehr vielen Gelegenheiten passt. Im Sommer wie im Winter. Hauptsache nicht in der Versenkung.

Credits

Foto: Sarah Swantje Fischer

Comments (1)

  • Erich Wassicek

    Eine perfekte Alternative zum Lairds apple brandy in Bond ist der Alte Apfel Edelbrand vom Gölles
    shop.goelles.at
    Lieben Gruß aus Wien
    Erich Wassicek / Halbestadt Bar

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