Jared Brown im Interview: „Gin ist kein Trend. Vodka war einer.“
Wo steht Gin in fünf Jahren? Und welcher spätere Hollywood-Star servierte als Bartender am liebsten Kamikaze Cocktails? Drinks-Historiker und Sipsmith-Mastermind Jared Brown gewährt in einem unterhaltsamen Interview Einblick in Vergangenheit und Zukunft. Und hat auch einen Rat parat: Weg mit dem Strohhalm!
„Die letzte Brenn-Lizenz für London wurde 1820 erteilt, es lebte also niemand mehr, der wusste, wie das geht.“ Reichlich skurril begann das Gin-Projekt Sipsmith von Sam Galsworthy und Fairfax Hall im Jahr 2006. Selbst dass man die 300 Liter-Destille im Büro des Whisky-Autors Michael Jackson aufbauen wollte, erweichte die royale Behörde nicht. Denn unter der Quantität von 1.800 Litern gab es keine kommerzielle Brenngenehmigung. Zweieinhalb Jahre dauerte es, bis Premier Gordon Brown das Gesetz änderte, erinnert sich Jared Brown, „und selbst dann waren wir neun Monate Moonshiner, die Beamtin hatte den Stempel falsch eingestellt“.
Jared Brown kam als beratender Cocktailhistoriker zum Sipsmith-Gründer-Duo, das Gin „wie früher“ destillieren wollte. Und immerhin ist der Amerikaner kein Schreibtisch-Täter, denn „meine ersten Destillationsexperimente machte ich mit zehn Jahren; aus Apfelcider sollte ein Brandy werden“. Was der Retro-Ansatz technisch bedeutet, erklärte er anlässlich der Vorstellung der Gin-Range mit dem Schwanenlogo durch den neuen Eigentümer Beam-Suntory.
Bei Deinem Gin betont ihr stark die „Single Shot“-Methode. Was bringt die eigentlich technisch genau?
Jared Brown: Bis 1880 war das eigentlich die einzige Art, erst dann kam das „Gin-Konzentrat“. Dieses Verfahren ist ökonomischer, denn man braucht nicht so viele Destillen dafür. Mit einer 7.000 Liter-Brennblase bei Plymouth kannst du im Single Shot eben keine 250.000 Liter pro Jahr erzeugen. Was wir machen wollten ist aber, in jene Zeit zurückzugehen, als der Gin am besten war.
Das ist aber letztlich eine Projektion. Wir haben ja keine Ahnung, wie der damals geschmeckt hat…
Jared Brown: Oh, doch! Ich habe 120 Jahre alten Gin schon gekostet.
Wo kommt der historische Ansatz also noch durch in der Produktion?
Jared Brown: Ich würde eher sagen, dass meine Ausbildung als Koch eine Rolle spielt. Etwa, wenn es um das Abtrennen des „Herzstücks“ im Brand geht. Ich suche das im Spirit Safe aus und nicht nach Kennwerten. Sobald es nach „Orange Candy“ riecht, passt das. Der nächste Geruch ist der von warmem Jahrgangschampagner. Meist wartet man zu lange, weil man viel vom hohen Alkohol mitnehmen will. Da habe ich auch schon Diskussionen geführt mit Mitarbeitern. Denn wir werfen keinen guten Alkohol weg, wie sie glauben, sondern schlechten Geschmack.
Viele Kollegen suchen als Geschmacksträger besonders exotische Botanicals. Etwa Früchte, von denen man oftmals nicht mal den Geschmack kennt. Wie siehst Du das?
Jared Brown: „Exotisch“ funktioniert nicht. So einfach ist das. Es geht hier um ein Erbe, es geht um Generationen von Destillateuren. Wer bin ich denn, dass ich das ändere? Denk an ein Konzert von Placido Domingo. Da steht am Plakat ‘Domingo’ und das erwarten die Leute, da steht nicht einmal, was er singt. So ist es auch mit der Erwartung an Gin. Mich erinnert das auch an meinen Lieblingskoch Pino Luongo. Von ihm gibt es ein großartiges Toskana-Kochbuch, da wirst du keine einzige Mengenangabe finden. Aber natürlich sollte man seine Botanicals kennen. Ich frage die Destillateure gerne, ob sie schon einmal eine Süßholzblüte gesehen haben? Bei uns pflanzen wir die nebenan im Garten. Ich muss die Pflanzen ja in ihrer Entwicklung kennen. Das ist wie beim guten Wein: Auch Gin beginnt eben mit den Händen im Dreck!
Apropos Gin, bedient euer V.J.O.P. den neuen Trend zum Overproof-Gin?
Jared Brown: Der passierte bei uns aus Zufall. Es ging eigentlich darum, alle drei Arten des Wacholdergeschmacks in einen Gin zu bringen. Also den mazerierten, den frisch destillierten und den im Geistrohr „gedämpften“. Um die Balance beim ‘very junipery’ Sipsmith zu erhalten, mussten wir den Alkohol erhöhen. Denn es muss gut sein und das war es dann erst bei 57,7,% Vol. Daher wurde es ein V.J.O.P., also Very Junipery Overproof.
Fragen wir es anders: Werden wir nach den exotischen Botanicals jetzt verstärkt Overproof Gin sehen?
Jared Brown: Das kann durchaus sein. Wobei die klassischen Botanicals ihre Aromen optimal bei einer Gradation zwischen 40 und 43 Prozent entfalten.
Das heißt, dass Abfüllungen, die aus Steuergründen unter 40% bleiben, bewusst das Produkt verschlechtern?
Jared Brown: Es ist immer traurig, wenn die Buchhaltung eine Firma treibt. Ich war schon dabei, wenn Master Distiller die Anrufe bekamen: „Du, wir könnten den Profit erhöhen, wenn wir den Alkohol ein halbes Prozent runtersetzen“. Zum Glück war die Antwort oft genug: „Klar, nur wer wird dann den Gin machen? Weil ich gehe dann.“
Gehen ist ein gutes Stichwort: Wie lange wird denn der jetzige Gin-Trend noch so weitergehen?
Oh, diese Frage liebe ich! Einen Sommelier würde keiner fragen, ob wir weniger Wein sehen werden in den nächsten Jahren. Das liegt aber auch daran, dass das durchschnittliche Weinwissen heute dort ist, wo vor 20 Jahren die Sommeliers waren. Gin ist kein Trend. Vodka war einer. Da kam das Marketing und phänomenale Budgets dazu, die das trugen. Gin hingegen hatte 2006 den geringsten Prozentsatz an Premiumprodukten aller Spirituosenkategorien. Bei den Großen brachen damals jedes Jahr 2 bis 3 % vom Absatz weg. Das haben wir ihnen einmal in einer zweistündigen Fidel Castro-artigen Rede klar gemacht. Denn die Kategorie haben sie eigentlich selbst auf dem Gewissen gehabt!
Dennoch: Wo steht der Gin als Kategorie in fünf Jahren?
Die Herde wird sich sicher ausdünnen. Ein Freund von mir produziert z. B. Gin im Auftragsverfahren. Früher machte er 40 verschiedene, heute sind es 120! Das führt dann dazu, dass mir ein Bartender seine tolle Gin-Auswahl zeigte – und die kamen alle aus einer Destille. Was als Business-Modell funktionieren kann, sind die regionalen Gins, ja sogar lokale Abfüllungen. Also so etwas wie Duke, Adler oder Windspiel in Deutschland.
Setzt das auch regionale Botanicals voraus bzw. was wäre ein lokaler Gin?
Nicht unbedingt. Zunächst einmal ist viel wichtiger – es muss ein guter Gin sein! Das heißt, wenn jemand in die Bar kommt und einen klassischen Drink bestellt, den der Bartender mit diesem Gin macht, dann darf der Gast nicht sagen: „Als nächstes hätte ich gerne ein Bier“! Sondern er muss noch einen trinken, oder zwei. Das sage ich nebenbei auch immer den Bartendern. Haut den Strohhalm weg! Kostet einmal in der Freizeit drei Drinks von euren neuen Kreationen – wenn sie dann immer noch toll sind, erst dann passt das.
Aber zurück zum Gin: Wenn man als Firma auf den Verkauf von 60.000 cases in den USA angewiesen ist, dann matcht man sich dort heute mit Brooklyner Gin, mit Wisconsin Gin usw. Das wird nicht leichter werden.
Wenn wir schon bei der Bar sind: Wo wird sich das hin entwickeln?
Aus meiner Sicht geht es aktuell um Minimalismus und Einfachheit, ganz nach dem Zitat aus „Der Kleine Prinz“, das etwas erst perfekt ist, wenn man nichts mehr weglassen kann. In meinen Vorträgen verweise ich gerne auf minimalistische Architektur oder Ikebana als Inspirationen für die Bar.
Das könnte natürlich auch polarisieren als streng durchgezogenes Konzept?
Polarisierung wird in den nächsten Jahren auch Standard sein. Audrey Saunders etwa hat immer, wenn jemand zu ihr kam mit einem neuen Cocktailrezept, gemeint: „Ich mag den Drink, aber Du musst zwei Zutaten weglassen!“. Sonst kam er nicht auf die Karte. Das ist ein gutes Beispiel. Denn die Drinks mit 15 oder 16 Zutaten sind out. Auf der anderen Seite werden auch Cocktails verschmelzen zu neuen Rezepten. Ich habe etwa einen Boulevardier-Negroni gemacht, in dem Bourbon und Gin zusammen kamen. Oder einen Gin Mai Tai mit unserem Overproof V.J.O.P..
Was sagt der Cocktail-Historiker Brown eigentlich zur These, dass ein Revival der 1980er-Cocktails überfällig wäre. Als einzige Ära haben diese Drinks noch keine Renaissance erlebt…
…und das hat auch einen Grund! Denn wir haben bis heute keinen besseren Cranberry-Saft als damals. Davon leben aber viele der bunten Drinks, wenn man sie schon mit besseren Zutaten machen möchte. Ich glaube eher, dass die Rezepte der 1970er wieder kommen werden. Nur halt mit der neuen Rezeptur von Galliano und bitte frischem Orangensaft. So etwas wie der Kamikaze etwa – im Grunde ja auch ein Cosmopolitan, aber ohne Cranberry. An den erinnere ich mich gut. Den hat der Barkeeper Bruno im Café Central dutzendweise eingeschenkt, nachdem er auf die Theke gesprungen ist. Später wurde er dann als Bruce Willis weltberühmt – und sein Barback war zeitweise ein gewisser Ben Stiller.
Wie sieht es mit neuen Produkten von Sipsmith aus – irgendwelche Pläne?
Für mich ist unser Green Label der Referenzpunkt. Aber klar spiele ich privat rum. Dann gibt es etwa einen eisgekühlten Gin, der mit dem Rehrücken auf die Glut von Kirschholzspänen kommt. Der erwärmt sich dann langsam von seinen minus zehn Grad und verliert so keinen Alkohol, aber nimmt die Rauchnoten und den Geschmack des Wildbrets an. Den „Venison-smoked Gin“ wollte ich eigentlich dieses Jahr zum BCB mitbringen, da können wir ihn kosten.
Und der ‘English mustard’-Gin, der angeblich aus eurer kleinen Versuchsanlage kommt?
Dafür benutzen wir englisches Senfpulver, wie es in vielen Haushalten zu finden ist. Er hat aber eine Eigenart, weil er eine wasserbasierte Schärfe ergibt, die sich zum Beispiel von Chili stark unterscheidet. Das Ergebnis: Deine Augen tränen und du bekommst richtig Lust auf Roastbeef!
Credits
Foto: Foto via Roland Graf