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Der Jungle Bird war seiner Zeit voraus

Der Jungle Bird entstand, als die erste Tiki-Welle bereits am Abklingen war. Und hatte noch dazu Campari als Zutat. Trotzdem – oder gerade deswegen – wurde der Drink zum zukunftsweisenden Exoten, zum Star einer Wirkungszeit, der eine Brücke in die Moderne schlug.

Manchmal muss man in den Vogel steigen, um den Vogel zu finden. Bitte, werte Leser, verzeihen Sie mir diesen zugegebenermaßen recht stumpf gewählten Einstieg. Manchmal jedoch kommt der Cocktail nicht zu einem geflogen, man muss ihn erst einmal suchen. Eben wie im Falle des Jungle Bird Cocktails.

Auf unserer Reise durch Südostasien begeben wir uns in eine der Megametropolen, einen Melting-Pot unterschiedlichster Kulturen und doch aufgrund der religiösen Haltung, die größtenteils dem muslimischen Glauben zugewandt ist, kein Bar-Land per se. Wir reisen in die Hauptstadt der Malaien, nach Kuala Lumpur.

Der Jungle Bird, ein Kind der Siebziger Jahre

1978 – unterschiedlichen Quellen zufolge sogar bereits fünf Jahre zuvor zur Eröffnung – wurde nämlich hier Gästen des ehemaligen und heute längst dem Boden gleich gemachten Hilton Hotels ein Drink serviert, der in seiner Komposition ziemlich einzigartig war und deutlich komplexer wirkte, als es seinem Erfinder wohl je bewusst gewesen sein dürfte: der Jungle Bird.

Man stelle sich vor: Der Tiki-Tsunami, der Mitte der 1950er, Anfang der 1960er-Jahre wohl alles mitriss, was ihm in die Quere kam und sich zu einer monströsen Welle aus Cocktailschirmchen, überbordender Garnitur, Bambushütten und Hula-Ketten auftürmte, war nun endlich vorbeigezogen. So langsam verschwand der bunte Kitsch aus dem täglichen Stadtbild, und das sanfte Rauschen des Meeres verschwand aus den Gedanken der gemeinen Leute. Im Grunde also die Zeit eines Neuanfangs.

Vogelfrei dem Tiki

Diesen wagte man mit dem Jungle Bird ganz unbewusst. Weist der Cocktail stiltypische Ingredienzien wie einen dunklen, kräftigen Rum, Demerara-Sirup, Limettensaft und Ananassaft auf, so ist er doch mit einer Zutat für die Kategorie, in der alles erlaubt ist, was irgendwie zu gehen scheint, ein wahrer Exot und absolut zukunftsweisend.

Und das ist Campari. Wohl kaum ein anderer Tiki-Drink vor 1978 enthält Campari als Komponente. Ist man präziser, so müsse man sagen „vor 1989“. Erst dann wurde der Jungle Bird nämlich das erste Mal von John H. Poister in dessen „New American Bartender’s Guide“ verschriftlicht. Heutzutage jedenfalls ist der Einsatz von Campari in einem Tiki-Drink längst keine Seltenheit mehr. Gesteuert und wohl dosiert, stellt er eine fruchtige und doch vor allem bittere Komponente dar, die dem häufig süßen Einheitsbrei des Tiki-Kults entschieden entgegentritt und den Drink mixologisch gesehen gar aufwertet.

So ist der Jungle Bird zwar ein durch die Verbindung von Rum und Demerara-Sirup mächtig süßer sowie durch Ananas und Limette tropisch-fruchtig anmutender Drink, wird aber aufgrund des Camparis zu etwas Besonderem. Der Exot der Tiki-Kultur.

Jungle Bird

Zutaten

4,5 cl Jamaikanischer Rum
2,25 cl Campari
4,5 cl Ananassaft
1,5 cl Limettensaft
1,5 cl Demerara Zuckersirup

Der Jungle Bird, ein Hybrid aus alt und neu

Doch er war nicht nur ein Exot, sondern auch prägend für diese Kultur, die zwar in den 1970er- und 1980er-Jahren zunehmend in Vergessenheit geriet – wie übrigens auch dieser Cocktail –, die im letzten Jahrzehnt aber wieder eine Renaissance erfuhr. So war in der zweiten Welle des Tikis vor allem die Fusion aus Altbewährtem und moderner Mixologie vorherrschend. Bitters, Eaux-de-Vie, lokale Kräuter und Pflanzen, all das kam hinzu und wertete die Kategorie auf. So muss man den Jungle Bird aus heutiger Sicht nicht alleine als Tiki-Überbleibsel sehen, sondern viel eher als Hybriden zwischen Antike und Neuzeit, als Brückenelement der Tiki-Welle; ein Vordenker, seiner Zeit voraus.

Da ist es schade, dass der Urvater des Drinks im Schatten geblieben ist. Manche Quellen sehen den damaligen deutschen F&B-Manager Reinhard Steffen als den Erfinder, wiederum andere, damalige Mitarbeiter sehen den Verdienst beim malaiischen Bartender Jeffrey Ong. Endgültig zu klären ist diese Frage nach über 40 Jahren wohl nicht mehr. Mögen sein Erfinder wie der Drink in all den Jahren in Vergessenheit geraten sein, so lassen wir es nicht zu, dass es dabei bleibt.

Möge der Jungle Bird weiter seine Flügel aufspannen und auf Bar-Menüs in hiesigen Breiten landen.

Credits

Foto: Sarah Swantje Fischer

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