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Warum Kabinettwein perfekt für die Bar ist

Flüssiges Kabital oder warum Kabinettwein perfekt für die Bar ist

Für Barleute mit Blick über den Tellerrand ist Wein-Knowledge längst kein – um beim Wortspiel zu bleiben – Randthema mehr. Eine Weinkategorie, die sich hervorragend für die Bar eignet, ist Kabinett. Knackig kalt serviert und ohne Berührungsängste in Sachen Mixing-Kreativität, bietet er Möglichkeiten, die keine andere Weißwein-Stilistik hat.

Neben unserem Pét-Nat-Spotlight gibt es eine andere Kategorie, die ziemlich perfekt in die Bar passen kann: Kabinett. Aus der Sicht eines Sensorikers wirkt diese wie die gelungene Quadratur des Kreises: Ein Getränk, das bei niedrigen Alkoholgraden von 7 bis 10 Volumenprozent die volle aromatische Bandbreite abdeckt – heimisches Obst à la Apfel, Quitte oder Mirabelle, exotische Früchte en masse, Kräuter, erdige Würze, jede Menge Zitrus-Facetten und etliches mehr. Mit einer gewissen Süße jeden noch so großen Riesling-Angsthasen abholt und dank lebhafter Säure nie ermüdend, pappig oder gar schal schmeckt. Gestatten: Kabinett. Als Alternative oder Ergänzung zu drehzahlstarken Drinks öffnen sich mit diesem leichten Weintypus in Bars neue Türen – schließlich will niemand nach dem ersten Getränk, sei es spirituosenbasiert oder nur aus vergorenen Trauben, direkt den Kopfschmerz des nächsten Tages ahnen.

In der Weinbranche ist das übrigens ein echter Paradigmenwandel, denn rund drei Dekaden lang standen bei Winzern Eigenschaften wie Reife, Kraft, Körper, Intensität und Stoffigkeit als Zielsetzung ganz oben auf der Agenda. Rotweine konnten meist kaum holzbetont, konzentriert-fruchtig und alkoholstark genug sein, auch die großen Weißweine waren lange dicht, alkoholstark, von barocker Üppigkeit – etwa trockene Riesling-Spätlesen, klassische Burgund-Chardonnays oder Wachauer Gewächse. Wann der gegenläufige Trend zu weniger Alkohol exakt einsetzte, lässt sich nicht sagen. Sicher ist aber: Er begann nicht erst gestern und er verläuft in kleinen Schritten. Einer der größten Profiteure dieser Entwicklung ist die im Deutschen Weingesetz definierte Prädikatsweinstufe Kabinett. Und um es gleich einzugrenzen: Aus der Sicht eines jeden glaubwürdigen Wein-Nerds ist Kabinett gleichbedeutend mit Riesling-Kabinett, oder kurz einfach Kabi. Was hat es mit dieser Kategorie auf sich, die Sommeliers, Winzer und unbefleckte Weintrinker gleichermaßen begeistern kann?

Weingut Köhler-Ruprecht (Pfalz): 2019 Kallstadter Saumagen Riesling Kabinett trocken; ca. € 12 – Dieser Pfälzer Klassiker repräsentiert den erwachsenen und vor allem trockenen (!) Kabinett-Typus: dunkler, offen-reifer Duft, Wachs und Safran, Bienenwaben, satte gelbe Frucht (anders als die heller wirkenden Mosel- oder Rheingau-Kabis), Salbei, Wacholder und Estragon, auch Grapefruit; am Gaumen dicht und kompakt, null Süße, wieder herb, leicht schotig-seifig, dezent heller Kalk-Touch. ~ koehler-ruprecht.com
Weingut Köhler-Ruprecht (Pfalz): 2019 Kallstadter Saumagen Riesling Kabinett trocken; ca. € 12 – Dieser Pfälzer Klassiker repräsentiert den erwachsenen und vor allem trockenen (!) Kabinett-Typus: dunkler, offen-reifer Duft, Wachs und Safran, Bienenwaben, satte gelbe Frucht (anders als die heller wirkenden Mosel- oder Rheingau-Kabis), Salbei, Wacholder und Estragon, auch Grapefruit; am Gaumen dicht und kompakt, null Süße, wieder herb, leicht schotig-seifig, dezent heller Kalk-Touch. ~ koehler-ruprecht.com
Weingut Aldinger (Württemberg): 2021 Uhlbacher Götzenberg Riesling Kabinett VDP.Große Lage; ca. € 14,50 – Aus dem aktuellen Riesling-Hotspot Württemberg kommt ein Kabi mit Laser-Säure: nobler, dunkel-würzig-floraler Duft, Lorbeer und Salbei, Bergamotte, auch Grapefruit; extreme, rasiermesserscharfe Säure, zitrisch, dezente Kräuterwürze, elektrisierend-pikantes Spiel mit der saftigen Restsüße (53 Gramm, wirkt aber maximal halb so viel), weckt Tote auf und macht sie mit nur 7 % Vol. auch nicht so schnell wieder müde. ~ weingut-aldinger.de
Weingut Aldinger (Württemberg): 2021 Uhlbacher Götzenberg Riesling Kabinett VDP.Große Lage; ca. € 14,50 – Aus dem aktuellen Riesling-Hotspot Württemberg kommt ein Kabi mit Laser-Säure: nobler, dunkel-würzig-floraler Duft, Lorbeer und Salbei, Bergamotte, auch Grapefruit; extreme, rasiermesserscharfe Säure, zitrisch, dezente Kräuterwürze, elektrisierend-pikantes Spiel mit der saftigen Restsüße (53 Gramm, wirkt aber maximal halb so viel), weckt Tote auf und macht sie mit nur 7 % Vol. auch nicht so schnell wieder müde. ~ weingut-aldinger.de

Kabimäleon

Man könnte auch sagen: »Kabi ist Kabi« ist Unsinn. Denn innerhalb dieses Begriffs findet sich ein mannigfaltiger Stil- und Geschmacksfächer. Bevor es ans Aufdröseln geht, noch kurz etwas Etymologie: Ihren Ursprung hat die Bezeichnung Kabinett auf dem Weingut Kloster Eberbach im Rheingau. Dessen im 13. Jahrhundert als Fraternei erbautes Kellergewölbe diente den Zisterziensermönchen anfangs bei einfallendem Tageslicht als Raum für ihre häuslichen Arbeiten, gemäß der Devise ora et labora. Um das Jahr 1500, als der Weinbau hier einen Boom erlebte, wurden die Räumlichkeiten zur Schatzkammer für besonders edle Gewächse umfunktioniert. Man war im Zeitalter der Renaissance, also klingt es nur sinnvoll, dass der Keller dann in distinguiert-frankophiler Anlehnung den Namen Cabinet erhielt und erst nach und nach eingedeutscht wurde.

Mit der Zeit merkten andere Winzer in den Flusstälern der kühlen nördlicheren deutschen Weinbaugebiete, dass sie diesen Riesling-Stil ebenfalls auf die Flasche bringen können, und so schrieben vor allem Mosel, Saar und Ruwer mit ihren auf verschiedensten Schieferarten gewachsenen Kabinett-Interpretationen eine Erfolgsgeschichte, die bis heute anhält. Wohlgemerkt: In der heute bekannten Form ist der Begriff »Kabinett« erst seit dem 1969 verfassten und 1971 überarbeiteten Weingesetz rechtlich geschützt. Ein Mostgewicht von mindestens 70° Oechsle muss das Lesegut haben, Chaptalisation (Aufzuckerung) ist verboten und der Wein muss die Amtliche Prüfungsnummer erlangen. So weit, so bürokratisch.

Forstmeister Geltz Zilliken (Mosel): 2021 Saarburger Rausch Riesling Kabinett, VDP.Große Lage; ca. 22 € - Ein archetypischer Bilderbuch-Kabi von der Saar, wie er aus dem klassisch-kühlen Jahrgang 2021 kaum schöner sein könnte: Safran, Krustentierfond, feiner offener Duft, Radiergummi, dunkle Schieferwürze, Kumquat, Boskoop, Cassis, auch Physalis samt Blättern, Tabak; dunkel-würzig auch am Gaumen, straff, schiefrig-rauchige Mineralität, mega trinkig und dabei soooo komplex. ~ zilliken-vdp.de
Forstmeister Geltz Zilliken (Mosel): 2021 Saarburger Rausch Riesling Kabinett, VDP.Große Lage; ca. 22 € - Ein archetypischer Bilderbuch-Kabi von der Saar, wie er aus dem klassisch-kühlen Jahrgang 2021 kaum schöner sein könnte: Safran, Krustentierfond, feiner offener Duft, Radiergummi, dunkle Schieferwürze, Kumquat, Boskoop, Cassis, auch Physalis samt Blättern, Tabak; dunkel-würzig auch am Gaumen, straff, schiefrig-rauchige Mineralität, mega trinkig und dabei soooo komplex. ~ zilliken-vdp.de
Schloss Johannisberg (Rheingau): 2021 Riesling Rotlack Kabinett feinherb; ca. 25,50 € - Der Kabi-Aristokrat aus dem Rheingau: kristallklare Nase, duftig, strahlend und kühl, feste helle Ananas, Weinbergpfirsich, Estragon; am Gaumen pikantes Spiel, wieder gebirgsbachklar, sehr präzise, gut dosierte Süße, zarter Schmelz, alles perfekt abgestimmt, saftig, trinkig, die 11 % Vol. sind gefährlich genial verpackt. ~ schloss-johannisberg.de
Schloss Johannisberg (Rheingau): 2021 Riesling Rotlack Kabinett feinherb; ca. 25,50 € - Der Kabi-Aristokrat aus dem Rheingau: kristallklare Nase, duftig, strahlend und kühl, feste helle Ananas, Weinbergpfirsich, Estragon; am Gaumen pikantes Spiel, wieder gebirgsbachklar, sehr präzise, gut dosierte Süße, zarter Schmelz, alles perfekt abgestimmt, saftig, trinkig, die 11 % Vol. sind gefährlich genial verpackt. ~ schloss-johannisberg.de
Weingut Kruger-Rumpf (Nahe): 2021 Im Pitterberg Riesling Kabinett, VDP.Große Lage; ca. € 18 - Dieser Nahe-Riesling zeigt eine Kühlgär-Aromatik, die aber nicht langweilig wirkt, und liefert jede Menge attraktive »Greenness«: grüner Apfel, Stachelbeere, Kiwi und etwas Limette; glasklar, bleibt extrem fruchtbetont, fruchtig umhüllte, rassige Säure, viel Zug, das zischt gewaltig – und tut mit 8,5 % Vol. kein bisschen weh! ~ kruger-rumpf.com
Weingut Kruger-Rumpf (Nahe): 2021 Im Pitterberg Riesling Kabinett, VDP.Große Lage; ca. € 18 - Dieser Nahe-Riesling zeigt eine Kühlgär-Aromatik, die aber nicht langweilig wirkt, und liefert jede Menge attraktive »Greenness«: grüner Apfel, Stachelbeere, Kiwi und etwas Limette; glasklar, bleibt extrem fruchtbetont, fruchtig umhüllte, rassige Säure, viel Zug, das zischt gewaltig – und tut mit 8,5 % Vol. kein bisschen weh! ~ kruger-rumpf.com

Kabinett Wein: Classics & News

Neben den traditionellen Leuchttürmen wie Egon Müller, Maximin Grünhaus oder J.J. Prüm lohnt sich der Blick in die etwas weiter westliche gelegenen Anbaugebiete Nahe und Rheinhessen sowie zum kleinen nordwestlichen Nachbarn Mittelrhein. Spätestens beim Vergleich dieser Regionen wird die Vielfalt deutlich: Während sich die Mosel-Kabis überwiegend in einem Restzuckerkorridor von 30 bis 65 Gramm pro Liter (und damit weinrechtlich im Bereich von »lieblich« bis »süß«) bewegen, findet man am Mittelrhein (ebenfalls auf Schieferformationen wachsend) eine Reihe von Winzern, die deutlich darunter agieren und damit eher auf der herb-trockeneren, zitrischeren »feinherb«-Seite oder gar ganz auf »trocken« (maximal 9 Gramm Restzucker) stehen.

Dazu muss an anmerken: Der Begriff feinherb ist (anders als trocken, halbtrocken, lieblich oder süß) vom Weinrecht nicht geregelt, sodass die Musik hier oft in einem recht weiten Sektor von 10 (also gerade nicht mehr trocken) bis 25 Gramm spielt. Ergänzt wird das Bild von einer sehr überschaubaren Zahl an Pfalz-Kabis und dem neuesten kleinen Hotspot: Württemberg. Mit Aldinger, Haidle und Schnaitmann haben inzwischen drei Top-VDP-Flagships Kabi-Rieslinge im Portfolio, von intensiv-süß und gleichzeitig laser-sauer (Aldinger) bis erdig-würzig und fast trocken (Schnaitmann), und auch unbekanntere Württemberger Adressen (z. B. Siegloch oder Timo Mayer) befassen sich mit dem Thema. Da ist schlicht eigenes Ausprobieren und Geschmack-Einpendeln gefragt.

Kabinett, die natürlich gewachsene Spritz-Version

Schlanker und deutlich leichter als die trockenen Spätlesen (deren erforderliches Mindestmostgewicht bei 85° Oechsle liegt), aber dennoch saftig-würzig-mineralisch, vielseitig im Restzucker von sehr dezent bis spürbar süß, sind die Kabis in erster Linie prädestinierte Begleiter für Kreatives auf dem Teller. Sie matchen hervorragend sowohl zur filigranen, puristischen New Nordic Cuisine als auch zur schärfefreudig-bunten Ethno-Küche (ein schlimm stereotypes, aber schwer ersetzbares Label – gemeint sind u. a. südostasiatische, japanische, karibische oder mexikanische Handschriften). Doch wie sieht es im Bar-Kontext aus? Geht Kabi auch neben aromatisch komplexen Drinks und ohne Speise zum Begleiten?

Bei Bars mit Affinität für Wein ist der Kabinett eine Bank, wie man z. B. beim Gespräch mit Klaus St. Rainer von Münchens Institution Die Goldene Bar im Haus der Kunst erfährt: „Riesling Kabinett ist in der Bar eine super Sache und steht bei uns regelmäßig auf der Karte. Speziell als Aperitif und im Sommer ist das einfach geil und unfassbar trinkig. Man muss die Qualitätsstufen den Leuten zwar manchmal schon ein bisschen verklickern und sollte die Kabis auf jeden Fall offen anbieten, damit sich genug dreht, aber mir persönlich macht diese Weinart enormen Spaß“, berichtet der Routinier. Wie das gesamte Angebot der Goldenen Bar ist auch der Kabi bei ihm immer ein klassischer Typ. „Die Mosel ist da für mich King. Diese Kombi aus Schlankheit, hoher Säure und einem gewissen süßen Schmelz gibt es meiner Erfahrung nach nirgendwo sonst“, sagt Rainer und ergänzt: „Es ist viel smarter, als Wein in einer Bar etwas auf die Karte zu setzen, was im niedrigeren Alkoholbereich liegt und eine echte leichte Alternative zu Drinks darstellt. Darüber hinaus ist Kabi für mich so etwas wie eine natürlich gewachsene Spritz-Version. Das kannst du auf Eis mit Minze bringen und bei manchen Aromaprofilen haben wir ihn sogar schon mit hochwertigem Marillensaft kombiniert“, lobt der Münchner die Vielfalt des Kabinetts.

Ein ähnliches Feedback hat Paul Sieferle, der mit seinen Mannheimer Bar-Instanzen Hagestolz oder Odeon immer auch Wein im Fokus hat : „Kabinett ist wie ein guter Sommer-Song: Sonne, klassisch und modern, und vor allem nur good vibes!“ Aus seiner Sicht kann Kabi außerordentlich viel, vom unkomplizierten Mittagswein – quasi „einer Limo mit etwas Sprit“, so der Bar-Experte – bis zur richtig komplexen Trinkerfahrung, und es mache tatsächlich jeder Klientel Spaß. Zwei Kabinette hat Sieferle im offenen Ausschank, einen Lokalmatador von Bürklin-Wolf aus der Pfalz und den Wegeler Slate VDP-Gutswein von der Mosel: „Das funktioniert im Sommer bestens und da darf der Wein sogar mal richtig kalt sein!“ Auch er steht dieser Art von Rieslingen als säure- und texturbetonter Komponente in Drinks offen gegenüber. „Wir hatten beispielsweise mal eine Variante mit Campari und gleichen Teilen restsüßem Riesling von Kai Schätzel, im dünn gelippten Glas und mit Soda getoppt – das lief fantastisch.“ Wichtig ist aus der Sicht von Sieferle, dass es aktuelle Jahrgänge sind. „Kabi muss jung, frisch und rassig sein. Reifenoten finde ich in dem Kontext eher deplatziert“, gibt er zu bedenken.

Klingt alles machbar und lohnenswert: beim Verkosten die eigenen und die kundenspezifischen Restzuckerpräferenzen abklopfen, aktuelle junge Jahrgänge kaufen, im Offenausschank anbieten, gerne knackig kalt servieren und ohne Berührungsängste in Sachen Mixing-Kreativität ran an die Kabis. In der Form kann das nämlich keine andere Weißwein-Stilistik.

Top-Adressen für Kabinette – von klassisch-kultig bis zeitgeisty:

Mosel: Egon Müller Scharzhof, J. J. Prüm, Maximin Grünhaus, Forstmeister Geltz Zilliken, Peter Lauer, Hofgut Falkenstein, Weingut Hermann Ludes, Max Ferd. Richter (auch trocken!), Weiser-Künstler, Fio Wines (Niepoort & Philipp Kettern)
Nahe: Schäfer-Fröhlich, Dönnhoff, Schlossgut Diel, Kruger-Rumpf
Pfalz: Koehler-Ruprecht, Schwedhelm
Rheingau: Schloss Johannisberg, J. B. Becker (auch trocken!), Peter Jakob Kühn
Rheinhessen: Schätzel, Gunderloch, Keller, Weingut Heiligenblut
Württemberg: Aldinger, Haidle, Schnaitmann, Siegloch

Dieser Beitrag erschien ursprünglich in der Print-Ausgabe 4-2022 von MIXOLOGY. Für diese Wiederveröffentlichung wurde er formal angepasst, aber inhaltlich nicht verändert. Information zu einem Abonnement findet sich hier.

Credits

Foto: Editienne

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