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Porträt von Kai Wolschke, Barchef der Goldfisch Bar in Berlin-Friedrichshain

Kai Wolschke ist eindeutig der Sammeltyp

Vom Biologie-Studium zum Bar-Manager der Goldfisch Bar in Berlin: der autodidaktische Weg des Kai Wolschke. Wo ihn dieser überall hingeführt hat und warum in Japan eine Ehrentafel für seinen Urgroßvater Hermann hängt, erzählt er uns im ausführlichen Porträt.

Biologie hatte er studiert, weil er nicht so recht wusste, was er machen sollte. Was ihn eigentlich interessiert, wusste er indes lange. Vor Kurzem erst hat ihm seine Mutter wieder eines der Bilder gezeigt, auf denen er als kleiner Junge den Tresen wischt.

In seinen sieben Jahren in Yokohama – in Japan sitzt man traditionell zum Essen oftmals am Tresen – haben sich da so einige Bilder angesammelt. Essen und Trinken, das wurde in Wolksches Familie schon immer als sehr wichtig angesehen, erzählt er, und außerdem, dass er “zu einem Achtel deutsch und zu sieben Achtel Japaner” sei. Und diese Geschichte muss erzählt werden.

Nachhaltig deutsch-japanischer Kulinarikdialog

Kai Wolschke hatte nämlich einen Urgroßvater, der hieß Hermann Wolschke und der lebte in der Lausitz. Von dort wurde er im Ersten Weltkrieg eingezogen, um in Fernost an der Front zu stehen. Der Koch in der Kombüse kam alsbald in ein Gefangenenlager in Ôsaka, später nach Hiroshima.

Nach seiner Entlassung blieb er in Japan, eröffnete dort das bis heute sehr bekannte “Café Europe” und stieg in eine Fleischproduktion ein. Er war es auch, der als erster bei öffentlichen Sportveranstaltungen in Japan Hot Dogs verkaufte, ebenso Frankfurter Würstchen.

Seine Firma ging weiter an den Sohn, Kais Großvater Hermann Wolschke Junior. Dieser wiederum zog nach mit der Eröffnung eines Restaurants und Caterings. Bis heute werden in Japan Wurstwaren unter dem Namen der beiden Wolschkes vertrieben, “Hermann”. Sogar eine Ehrentafel hängt in der Brauerei Ebisu für ihn. Also, den ersten. Der Metzger und Unternehmer hat nicht nur ein Imperium an deutscher Wurstkultur in Japan hinterlassen, sondern auch zu einem nachhaltigen deutsch-japanischen Kulinarikdialog beigetragen.

Kai Wolschke ist eindeutig der Sammeltyp

Ein Dialog, der mit Kai weitergeführt wird, wenn auch nicht gerade bis nach Japan; sondern Friedrichshain, erstmal. Seinen ersten Gin & Tonic hatte er übrigens im Park Hyatt, der Bar aus Lost in Translation, sein erster Single Malt war ein zwölfjähriger Macallan. Nun, in dieser Zeit hat der Rest der Jugend sich auf Kaufland-Parkplätzen mit neonfarbenen Getränken aus Plastikbechern beschäftigt, aber wir freuen uns retrospektiv sehr für ihn. “Was mich am meisten reizt, ist doch, was man mit Geschmack machen kann”, fasst er seinen Zugang zur Gastronomie auf. Eine ganze Menge, wie die letzten Jahre Würzburg und Berlin zeigen.

Zusammenfassend kann man sagen, dass Menschen Kai Wolschke durchweg ziemlich schnell viel zugetraut haben. So hat er nach seinem anfänglichen Nebenjob bei Joe’s, Würzburgs ältester Bar, recht bald bis zu 15 Drinks auf 250 Sitzplätze gemixt und kam ohne Vorerfahrung auch in den direkten Kontakt mit den Gästen.

Eindecken und von rechts einschenken

“Ich hatte ja keine Ahnung von Bars, aber da habe ich arbeiten gelernt”, erzählt der 30-Jährige. Es folgen weitere, tiefere Kontakte in die Barszene, nicht zuletzt durch häufige Besuche in Frankfurt, beispielsweise im Parlour, dem Roomers oder auch Industrieveranstaltungen.

Die erste Bar, die Wolschke dann in Berlin betreten hat, war die Haifisch Bar, die zweite das Amano. Ein beeindruckend gutes Gedächtnis hat er, vom ersten Tresenputzen oder den Macallan 12 bis hierher. In den verschiedenen Bars der Amano Group ging es dann auch mit dem Kellnern los: “Plötzlich hieß es eindecken und von rechts einschenken. Hat aber erstaunlich gut geklappt.” Logo hat es das, wie alles bislang. Arbeiten stand für ihn immer im Vordergrund, und wenn er nicht tatsächlich hinterm Tresen steht, sondern verreist oder essen geht, dann wird das gewählt, was neu ist: “Ich bin da eindeutig der Sammeltyp.”

Nach einem weiteren Mal in versehentlicher Führungsposition, dem Erstellen etlicher Menüs und einer Pizzeria-Eröffnung waren es dann vier Jahre bei der Amano Group, das hat genügt. Es folgt eine kurze Sequenz in der Bijou Bar, wo er die Dachterrasse mit aufbaut, bis Lutz Rau, Geschäftsführer der Booze Bar, auf ihn zukommt. “Lutz meinte, er habe schon lange ein Auge auf mich geworfen.”

An Wochenenden in der Booze Bar ausgeholfen und während der Woche im Neuköllner Weinfachhandel Vin Aqua Vin gearbeitet – und dort mal wieder in der Leitung zuständig –, steht er heute als Bar-Manager der Goldfisch Bar fünf Tage die Woche in der Grüneberger Straße am Tresen, mit zwei weiteren festen Angestellten und einer nagelneuen Karte von 25 Drinks.

Goldfisch, Gehabe, Glas

Das war gerade rechtzeitig, denn das sechste Jahr Berlin stand in den Startlöchern. “Fünf Jahre Berlin hab’ ich mir im Vornherein gesagt.” Ihn weiterhin hier zu wissen, haben wir der Goldfisch Bar zu verdanken. Zum Thema sechs Jahre Berlin – wer kennt viele Menschen, die so lange Zeit in dieser Stadt zugebracht haben, ohne einer einzigen Droge, Alkohol ausgeschlossen, Zigaretten nicht? Wir nicht.

“Für mich geht es bei einem Cocktail doch sehr konzentriert um das Schmecken, nicht um den Rausch”, sagt er und nimmt einen Schluck von seinem Quartiermeister. Außerdem findet er fassgelagerte Spirituosen spannend, Schaumweine und Baijiu: “Find’ ich gut, wenn ein Produkt es schafft, so zu polarisieren wie Baijiu oder auch Mezcal. Gin hat das nie geschafft.” Allerdings nicht. Gin & Tonic mag er trotzdem, “kann man einfach machen ohne Gehabe.” Schöne Brücke nämlich zu dem, was er nicht so gerne mag.

Kai Wolschke hört auf den Gast

Gehabe an der Bar ist anstrengend. Würde vermutlich jeder von sich sagen; selten hört man Sätze wie: “Diese Selbstinszenierungen am Tresen, die machen mir immer richtig Spaß, egal auf welcher Tresenseite.” Sagt so keiner, meint so keiner.

Dennoch hört man es seitens der Bartender gern, immer wieder auch seitens der Gäste, beide meinen einander, beide auch Anwärter aus der eigenen Riege. Fangen wir beim Gast an. Mit dem Wolschke sich für geduldig hält. “Ich bin ja da, um dem Gast eine gute Zeit zu bereiten. Und wenn der seinen Drink süßer oder bitterer oder in einem anderen Glas will, bekommt er das auch.”

Obwohl es ja schon ein bisschen schade ist, wenn einer, der von Berufswegen schlichtweg weniger Ahnung von einer Materie hat, dem nicht glaubt, der sie hat. “Schon”, findet Kai Wolschke. “Aber es muss eben jeder wissen, was ihm schmeckt und mit welcher Geste er sich am Tresen wohlfühlt. Und wenn er sich eben nicht mit Coupette, sondern Tumbler sieht, bekommt er den eben.”

Zuschauer einer Ich-Show

Und wie steht es um das Gehabe auf der anderen Seite des Tresens? Schließlich hat die Kultur um die Cocktailbar Hochkonjunktur, die Artikel und Auszeichnungen werden tendenziell mehr, und das hat Auswirkung auf das Selbstbewusstsein der Branche. Im guten wie im anstrengenden Sinne.

“Viele nehmen sich vermutlich schon wichtiger als früher, das ist ein Problem”, so Kai Wolschke. “Und wenn man dann merkt, es geht bei einer Bestellung nicht mehr darum, dem Gast eine schöne Zeit zu bereiten, sondern darum, seine Expertise zur Schau zu stellen, läuft etwas falsch. Aber genau an der Stelle muss man mit sich selbst ehrlicher sein”, schlägt er auf die Frage hin vor, wie man dem beikommen kann. Denn dabei wird ja keiner froh – nicht der Bartender, dem es scheinbar an Aufmerksamkeit mangelt, und auch nicht der Gast, der Zuschauer einer Ich-Show wird.

Die immer mal wieder begleitet wird durch den einen oder anderen Shot hinterm Tresen. Trinken bei der Arbeit, ja oder nein? “So lange jeder zurechnungsfähig ist, sehe ich das locker. Jeder ist erwachsen und sollte sich für sich und sein Leben verantwortlich zeigen.” Und auch wenn Wolschke Alkoholismus durchaus als Branchenproblem versteht, sieht er nicht, wie hier seitens der Branche Hand angelegt werden könnte.

Gelebte Pedanterie und Goldfisch Bar

Jeder, der weiß, dass er den ständigen Zugriff zu Alkohol hat – und da gehören wir wohl alle dazu –, muss ab und an seinen Lebensstil hinterfragen, findet Kai Wolschke. “Oder die Gewohnheiten überdenken.” Shotrunden, derer häufig eine nach der anderen folgt, findet er fraglich. Außerdem: Gläser, die zu voll eingeschenkt werden. “Aber da bin ich eben auch ein Pedant.“

Aber gut, wenn Pedanterie unter die ersten drei Plätze der World Class Competition führt, ist sie möglicherweise nicht die schlechteste Ratgeberin in puncto Arbeitstechnik. Hier jedenfalls hat einer seine Berufung gefunden, und wer Demut vor dem Beruf und seinen Zutaten lernen will, der frage bei ihm nach: Kai Wolschke aus der Goldfisch Bar.

Credits

Foto: Titelbild: Svea Pietschmann; weiteren Bilder: Deutschen World Class Bartender/Andreas Bohlender

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