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Katrin Löcher und der Rahmen des ganz normalen Wahnsinns

Katrin Löcher ist Barchefin der Suderman Bar in Köln. Zwischen einer fordernden Wiedereröffnung und dem erneuten Hochfahren des Barapparats spricht sie über das Trinkverhalten nach der Pandemie, das Geheimnis von Teamwork und warum sie als Frau ohne negative Erfahrungen in der Gastronomie leider die Ausnahme der Regel darstellt. MIXOLOGY Online mit dem überfälligen Porträt einer der führenden deutschen Barprotagonistinnen.

Es geschieht nicht umsonst, dass Barautor:innen – wie ich, um nur einige zu nennen – bei jeder dritten Anfrage an eine:n Bartender:in die Antwort bekommen: „Frag’ doch mal die Kölner Katrin, die weiß das bestimmt.“ Tut sie in der Tat, und das gibt Katrin Löcher auch in den Medien zum Besten – wie etwa jüngst im Kölner Stadt-Anzeiger, wo sie in einem Bericht die These aufstellte, dass durch die Pandemie die „Leute nach den Drinks schneller platt“ seien.

Nun, Supermarkt-Statistiken, die hier nicht genannt werden wollen, sowie Beobachtungen in den sozialen Medien widerlegen, dass wirklich weniger getrunken worden ist in den letzten eineinhalb Jahren. Möglicherweise aber anders? Katrin Löcher jedenfalls erklärt dazu, dass es nicht per se um den Alkohol an sich gehe, sondern vielmehr auch um die Entwöhnung von Lautstärke, von sozialer Aufmerksamkeit und dem generellen Stresslevel, das Ausgehen eben so mit sich bringt – das habe die Menschen verändert: „Wenn die Leute ihren Abend in der Bar früher beenden als gewohnt, hängt das damit zusammen. Allerdings ist der Trend auch schnell wieder ins Gegenteil gekippt. Die Leute gehen aus und genießen die Ferien ausgiebig.“ Das beruhigt.

Ob vor oder hinter der Scheibe, Katrin Löcher ist eine feste Größe der Suderman Bar

Auch die Suderman Bar hat sich neu aufgestellt

Nun gab es aber ja keine Totenstille in Zeiten des Lockdowns – im Gegenteil. Die gängigen Mittel der Bars waren Lieferdienste und Bottled Drinks, Speakeasies oder To Go-Angebote. Welche Wege am Ende geklappt haben werden, besprechen wir im kommenden Jahr; wie es hingegen im Suderman lief, schon jetzt: „Wir haben mit Soul To Soul ein gutes Projekt ans Laufen gebracht, zusammen mit dem Spirits [die Schwesterbar des Suderman, Anm. d. Red.]. Es wurde gut angenommen und wir sehen großes Potential in dem Bereich Drinking at Home und Bottled Cocktails, weshalb das Projekt auch in eigene Schuhe gesetzt und weitergeführt wird. Finanziell allerdings, ausgerichtet an den normalen Gästen unserer Bars, ist es definitiv kein Ersatz, aber ein schöner Kommunikator und wichtig für die Teamstimmung –so wird weiterhin auf Ziele hingearbeitet. Finanziell gelohnt hat es sich im Hinblick auf B2B und digitale Events, die wir für Firmen umgesetzt haben und wo Bottled Cocktails eine wichtige Rolle gespielt haben. Auch das bespielen wir weiterhin und möchten das vorantreiben.”

Hat sich eigentlich irgendwer einmal gefragt, ob es für das Gastklientel nicht zu einer sonderbaren Emanzipation führt, wenn plötzlich alle Welt Heim-Mixkurse macht und lernt, wie die perfekte Gin & Tonic-Kombination geht und überhaupt – wie man alles selber macht? Schon klar, eine Bar ist tausendmal mehr als ihre Drinks und das Barerlebnis kann nicht ersetzt werden, dennoch: Gibt es hier einen Zwiespalt zwischen Gästebindung und Emanzipation vom Tresen? „Meiner Meinung nach funktioniert das wunderbar nebeneinander. Der Stammgast, der gern am Tresen sitzt, möchte vielleicht ab und zu mit Freund:innen oder Familie in gemütlicher Runde zuhause mixen oder sich digital treffen. Das ist im Optimalfall aber eher eine Erweiterung als Konkurrenz”, sorgt Katrin Löcher für Entwarnung.

Der ganz normale Wahnsinn

Was hat sich nun über ausgebildete Gäste hinaus nach der Pandemie verändert? Gibt es Dinge, die man zu schätzen gelernt hat? Denn nun war ja der Zusammenhalt in der Gastroszene doch einer, der bisweilen berührt hat. Was ist aktuell besonders schön? „Ich denke, ich weiß die kleineren Dinge wie Restaurantbesuche oder den Kaffee auf der Terrasse wirklich wieder mehr zu schätzen. Manche Gäste wollen sich natürlich nicht an die neuen Regelungen gewöhnen und lassen das dann auch gerne am Personal aus. An sich aber auch nur im Rahmen des normalen Wahnsinns.”

Und wo wir gerade über Wahnsinn sprechen: Menschen. Wer wie Katrin Löcher ein Team leitet, hat mit allerhand Unzulänglichkeiten zu tun, denn wie meine Deutschlehrerin Frau Elztschig zu sagen pflegte: „Wo Menschen sind, da menschelt’s“. Schaut man von außen auf das Team des Suderman, wirkt die Truppe, zu der etwa auch Eileen von Aswegen oder Made in GSA-Gewinner Paul Pelzer gehören, nach etlichen Jahren eingeschworen und zusammengewachsen. Wie ist das zu schaffen, welche Fehler gibt es zu vermeiden und worauf ist zu achten? Katrin Löcher sagt, das liege in erster Linie an deren Chefs und ihrer Philosophie: „Bei uns hat jede:r Mitarbeiter:in von Anfang an die Möglichkeit, kreativ mit an der Cocktail-Karte und auch mit am Konzept zu arbeiten. Wir kommunizieren viel und haben regelmäßige Teammeetings. Dadurch können wir schwierige Situationen im Team fast immer direkt klären.“

Der „Paradisi“ ist der zweite Drink, den Katrin Löcher im Suderman entworfen hat. Er besteht aus 2 Kirschtomaten, 7 cl Belsazar Rosé, 1,5 cl frischem Zitronensaft, 0,5 cl Estragonsirup, 0,5 cl Crème de Pêche und 2 Dash Peychaud's Bitters

Female Empowerment als wichtiges Thema

Tacheles ist also gut. Sprechen wir sodann über Frauen am Tresen; so, wie es das seit Jahren gemacht wird, aber eben auch nicht genug gemacht wurde. Zweimal im Satz das gleiche Wort zu verwenden, ist stilistisch nicht schön; inhaltlich aber eben auch nicht. Katrin Löcher sagt, das Thema Empowerment sei für sie „ein Großes und gut, dass es so präsent ist. Ich persönlich hatte glücklicherweise nie das Problem, von Kollegen auf mein Geschlecht reduziert oder danach bewertet zu werden. Allerdings denke ich wirklich, dass ich damit in der Szene eher eine Ausnahme bin.“

Eine exzellente Ausnahme, wohlgemerkt, so war sie beispielweise neben Sembo Amirpour und Christof Reichert Finalistin der deutschen World Class-Endausscheidung 2019. Katrin Löcher jedenfalls bleibt an dem Thema dran. Ihrer Meinung nach gibt es viele Frauen, die hierzu „krasse Erfahrungen, sowohl positiv als auch negativ, gemacht haben und davon Berichten möchten. Meistens sind es leider die schockierenden Dinge, die Menschen zum Nachdenken anregen.”

Gestärkt aus der Krise gehen

Wäre vermutlich unsere Aufgabe, diese Dinge besser herauszufinden und selbige in eine verbale Fassung zu gießen. Denn letztlich können wir ja mehr als bloßen Austausch; können Menschen am Tresen fragen, wie es geht, und wie der nächste Tag aussieht. Oder das Jahr. Wie ist das optimalerweise für Katrin Löcher? „Dass wir als Szene durch Zusammenhalt und Netzwerk gestärkt aus der Krise gehen und die Bars geöffnet bleiben!“

Credits

Foto: Paul Pelzer

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