Klares Eis selbst herstellen: Methoden, Kosten, Anfordernisse
Eis ist das Gold der Bar, aber klares Eis ist das Platin. Noch immer macht kristallklares Eis oft den Unterschied zwischen einer sehr guten und einer herausragenden Bar. Der Weg zum selbst hergestellten, klaren Eis ist nicht ganz mühelos zu beschreiten. Und er kostet Geld. Aber er ist dennoch möglicher und begehbarer, als viele nach wie vor befürchten. Man muss nur vorher ein wenig die Landkarte studieren.
Die Vielfalt an verschiedenen Eissorten – Würfel, crushed, shaved, cracked – die schon die frühe Blütezeit der Barkultur kannte, hat die modernen Bartender lange wie profane Waisenknaben aussehen lassen. Dabei war gerade in jenen Tagen der alten Grandseigneurs à la Jerry Thomas und Harry Johnson das klirrend kalte Gut keine Selbstverständlichkeit. Das erste Eis der Bar kam in großen Blöcken, oft strapaziös und langwierig aus dem fernen Norden transportiert, an seine Destinationen: Trinktempel im ganzen Land.
Die moderne Bar-Renaissance schenkte dann schließlich ebenso jener Zutat, die nur wenige als wirkliche Zutat verstanden haben, wieder vermehrt Aufmerksamkeit. Erst mussten die Hohlkörper dem Volleis weichen, bald philosophierte man über Hoshizaki-Maschinen und andere Würfler, selbst die alte Lewis Bag durfte sich eines Comebacks erfreuen. Und von den Epizentren des liquiden Kosmos ausgehend, vornehmlich den altbekannten Metropolen des anglo-amerikanischen Raumes, breitete sich seismischen Wellen gleich die Eruption der Eiskultur schlechthin aus, in ihrer edelsten, reinsten Form: das glasklare Eis.
»Directional Freezing In-house«: Klares Eis selbst herstellen mit Thermobox/Isolierbox
Anforderungen:
– Lagerfläche (Froster) an der Bar, Lagerfläche (Froster) im Backoffice, Produktionsfläche Froster
– Werkzeuge: Messer, Hammer, Boxen zur Produktion, Lagerung
– Personelle und zeitliche Ressourcen
Pro:
– günstig in der Anschaffung
– perfekt für sehr kleine Bars und Privathaushalte
– Relativ leicht zu kontrollierendes, passables Ergebnis
Contra:
– nicht immer 100% glasklar, mitunter bleiben kleine Einschlüsse
– teils zu geringer Output in Relation zum zeitlichen Aufwand
– Beschlag von viel Fläche und Zeit durch Produktion, Verarbeitung Lagerung, Umpacken
Klares Eis: immer mehr eine Selbstverständlichkeit
Als Block, Diamant, großer Würfel oder gar zum Rühren: Eine Bar, die heute etwas auf sich hält, arbeitet mit klarem Eis. Anfangs noch ein kostspieliges Gimmick für finanziell schmerzfreie Londoner Fünfsterner, ist das kristallklare Eis in der Breite angekommen. Manch ein Gast erwartet seine »Rocks« mittlerweile sogar von blitzblank schimmernder Brillanz. Mit der vermeintlichen Massenapplikation geht der übliche Rattenschwanz an Problemchen einher: Blindes »Das brauch ich auch«, ohne dabei das Für und Wider abzuwägen, freizügig verprasste Ressourcen sowohl materieller als auch personeller Natur; und der beste Freund des oberflächennah schwimmenden Bartenders: das gefährliche Halbwissen.
Hartnäckige Vorurteile
Räumen wir zu Beginn also ein paar hartnäckige Schattenkrieger aus dem Weg: Kristallklares Eis bedarf eines richtungsgesteuerten Gefrierprozesses, im Englischen nennt man das etwas weniger holprig Directional Freezing. Wenn Wasser zu Eis gefriert, werden Verunreinigungen sowie eingeschlossene Luftbläschen vom Frierpunkt weggedrückt und sammeln sich somit am anderen Ende des final entstehenden Eisblockes, ganz gleich, wie groß dieser auch sein mag. Dies kann freilich nur dann kontrolliert vonstatten gehen, wenn die Kälteeinwirkung dezidiert von einer einzigen Seite her erfolgt. Von destilliertem Wasser über abgekochtes bis hin zur Filtration halten sich die urbanen Legenden hartnäckig. Doch nichts davon spielt eine entscheidende Rolle für klare Ergebnisse. Gleichsam gibt es das Fehlwissen auch in der anderen Richtung: Wenn junge Barleute im Jahr 2020 erklären, sie hätten in einer Barschule gelernt, dass die Herstellung klaren Eises im eigenen Betrieb per se unmöglich sei, dann ist das ebenso falsch wie der Mythos vom Abkochen.
Camper English und Dominik Falger, beide seit Jahren mit Feuereifer in eisiger Mission unterwegs, haben die Prozesse intensiv aufgearbeitet. Der quirlige Amerikaner hat auf seinem Blog wie auch auf unzähligen Messen über seine Erfahrungen berichtet, im persönlichen Gespräch verrät er: »Kochen oder Filtern ist völlig belanglos, verglichen zum directional freezing, das die Trübstoffe an den Rand des frierenden Blockes treibt.« So weit so einfach. Welch komplexe Untiefen sich bei näherer Betrachtung schnell auftun, weiß man in Frankfurt: Dominik Falger brettert mit seiner Embury Bar ein sensationelles Eisprogramm auf den Tresen, das als veritable Kostenstelle monatlich zu Buche schlägt: »Eis ist eine Zutat, es muss wie ein Lebensmittel behandelt werden und verlangt höchste Sorgfalt. Was, wie, wieviel, woher: Eine universelle, für jede Bar funktionierende Lösung ist schlicht nicht festzumachen, da sehr viele Variablen berücksichtigt werden müssen: Drink-Konzept, Glasgröße, Drink-Volumen, Frequenz und Output der Bar, Lagermöglichkeiten am Mixposten, Lagermöglichkeiten für Backup, sowie Produktions- respektive Gefrierfläche.« Nicht zuletzt seien das Fachwissen und die Ambition des Personals in die Kalkulation miteinzubeziehen, so der Barunternehmer.
How to freeze directional – klares Eis selbst herstellen
»Alles, was es für die Herstellung von klarem Eis braucht, ist eine isolierte Kühlbox«, kokettiert English: Man fülle den Kühler mit Wasser und stelle ihn in den Froster, bei offenem Deckel selbstverständlich. Von jener Seite aus beginnt das Wasser zu gefrieren. Alle Luft und sonstige Schwebstoffe werden vom anwachsenden Block an den Boden gedrückt. »Nur das letzte Viertel verbleibt trüb, das lässt sich leicht separieren«, meint English. Wer das Timing nach ein paar Anläufen kennt, weiß gar, zu welchem Zeitpunkt der untere Teil des Wassers noch nicht gefroren ist – und erspart sich so das mühsame Abtrennen des trüben Bestandteils.
Soweit die einfache Haushaltlösung, die auch für die ersten Gehversuche im kleineren Barbetrieb durchaus praktikabel sein kann. Dass damit die Suche nach dem Eis-Gral aber höchstens angekratzt ist, steht außer Zweifel. Die vermeintliche Profanität von gefrorenem Wasser täuscht allzu leicht über die folgenschweren Konsequenzen eines ausgedehnten Eiskonzepts hinweg. Interessante Alternativen bieten innovative Hersteller wie z.B. die amerikanische Firma Wintersmiths mit ihrem Produkt »Phantom Ice Maker« oder das junge deutsche Unternehmen Chill Pure. Über ein Basismodul und unterschiedliche Erweiterungen ist hier die Herstellung der gewünschten Eis-Teile (Würfel, Kugeln, Stäbe) im eigenen Froster möglich. Doch auch hier gilt, dass der Output gering ist, für die meisten Bars wahrscheinlich zu gering. Und bei Kosten von 50 bis 130 Euro für ein einziges betriebsbereites Modul auch gar nicht wirklich billig.
Kaum eine Bar, die nicht mit Platzmangel zu kämpfen hat, selbst ohne kristallklares Eis. Frosterfläche ist Mangelware, an der Mixstation wie im Backoffice. Sowohl die Produktion als auch spätere Lagerung der vorproduzierten Blöcke muss logistisch eingepreist werden. Im Embury hat man die Kostenfaktoren detailliert kalkuliert: »Der Stromverbrauch einer Rund-um-die-Uhr-Eislagerung ist erstaunlich teuer. Ein durchschnittlicher Freezer bietet wenig Platz, die meisten Modelle verschlingen zwischen 0,7 und 1,5 kwH pro Tag. Begehbare Gefrierhäuser liegen in der Regel ab 1,5 kwH aufwärts.« Gut 400 Euro verbucht die Bar monatlich nur an Stromkosten für ihr kristallklares Eisprogramm.
Eigenes Klar-Eis-Programm samt Maschine und Skalierbarkeit
Anforderungen:
– Infrastruktur wie Strom- und Wasseranschlüsse, ausreichend Fläche
– Platz für Lagerraum, HACCP-konformer Produktionsraum
– Blockeis-Bereiter, Lagerboxen, Sägen (Kettensäge, Bandsäge, Handsäge), evtl. Schwerlastkran, vorlaufende Wasseraufbereitung (Verkalkung minimieren)
Pro:
– Maximale Flexibilität und Unabhängigkeit
– Hohe Effizienz, großer Output
– Langfristig kostengünstiger als Fremdbezug
– Eisverkauf an andere Bars als Zusatzgeschäft denkbar
Contra:
– Hohe Stromkosten
– Großer Wasserverbrauch
– Erstanschaffung teuer (Beispiel: Embury Bar : Gefrierhäuser mit 25m3, Bandsäge, Blockmaker, Sägen, Boxen, Eisblockwagen = rund € 45.000)
– zeitintensiv
– für Kosteneffizienz am besten 365 Tage im Jahr aktiv bearbeitet
– Schulungsbedarf/Einarbeitung des Personals
– Platzbedarf und Auflagen (HACCP) für Eisherstellung mitunter enorm
– Wartung und Pflege aller Werkzeuge
– Arbeitssicherheit unbedingt zu beachten!
Die Klarheit hat ihren Preis
Stichwort Wirtschaftlichkeit: Straff weiter markiert der Falger’sche Rechenstift den Faktor Zeit: Etwa 24 Stunden Gefrierzeit benötigt eine fünf bis sieben Zentimeter starke Scheibe, das Ernten des Blockes beansprucht eine Viertelstunde, 30 bis 45 Minuten wiederum verschlingt das Antauen des Rohblocks bei Zimmertemperatur. Schließlich muss das Eis beim Bearbeiten an der Oberfläche nass sein: je kälter, desto spröder. Direkt aus dem Froster würde die Gefahr von Sprüngen, Rissen und gar Aufplatzen drohen. »Ein geübter Mitarbeiter arbeitet dann 20 Minuten an einer Scheibe mit der Fläche von 20 x 30 Zentimeter, um diese in akkurate Würfel weiterzuverarbeiten«, schließt Falger.
Gesamtbelastung Budget / Aufwand für Eisherstellung am Beispiel der Embury Bar:
– ca. 25 regulär bezahlte Mitarbeiter-Stunden pro Woche
– Wasserkosten à Kubikmeter: ca. € 5
– HACCP / Reinigungsmittel: € 50-100 pro Jahr
– Strom-/Energiekosten (nur für die Kühltechnik) von ca. € 4.800 pro Jahr
Klares Eis selbst herstellen: Tool Time!
Zur Verarbeitung bietet sich dem geneigten Barprofessionisten ein Potpourri an Spielzeugen. Vom kleindimensionierten, wohlfeilen Eispickel bis zu schwerem Geschütz à la Kreissäge huschen allerlei Utensilien durch den Instagram-Feed. Bad Boy at Work Face inklusive. Gleich welchen Apparates man sich bedient, die Scheibe wird stets zuerst mit der Klinge an der gewünschten Kante angedrückt, es entsteht eine Art Sollbruchstelle. »Hierbei ist darauf zu achten, dass entsprechend Druck ausgeübt wird«, erklärt Falger. »Nach thermischen Überlegungen erzeugt der Druck Wärme, es geht vielmehr um kinetische Energie als um ein Schneiden des Blockes. Mit gezielten Hammerschlägen wird anschließend ein vertikaler Bruch initiiert, der mit etwas Übung relativ gerade verläuft. Sauber rechtwinklige Kanten bekommt man aber nie.«
Dieser Schritt sei so oft zu wiederholen, bis die Scheibe auf gewünschte Würfelgröße zerteilt ist. Zu beachten sind der allfällige Ausschuss durch unachtsames Arbeiten, und dass ab einer gewissen Scheibengröße nur mehr der Einsatz von großem Profigerät zu gewünschten Resultaten führt. Nicht jeder Betrieb will in Schwerlastkräne und Knochenbandsäge investieren.
Nicht den Gummihammer unterschätzen!
Für Falger gehören jedenfalls Soba Kiri, japanische Teig- und Nudelmesser, wegen ihres hohen Klingengewichts unbedingt ins Arsenal. Auch ein Küchenbeil wäre optional angeraten. Die Rockwell-Grad der Klinge macht den Unterschied – je härter, desto besser. Daneben mutet der einfache Gummihammer beinahe ulkig an, er ist aber ebenfalls ein treues Hilfswerkzeug. Freilich braucht es dann noch die Kühlboxen zur Produktion des Rohblocks und lebensmittelechte Behältnisse zur Aufbewahrung – dass diese auch Minusgrade aushalten sollten, versteht sich beinahe von selbst. Oft sind größere, flache GN-Behälter aus Edelstahl die beste Lösung.
Eis = Wasser = Lebensmittel = extreme Sauberkeit
»Eis ist ein Lebensmittel, also gehört es auch so behandelt«, bläut Camper English ein, »man kann also die Notwendigkeit von Hygiene und Lebensmittelechtheit aller Werkzeuge und Behälter nicht oft genug betonen!« Übrigens nimmt dieses Lebensmittel aufgrund seiner chemischen Struktur bereitwillig den Geruch anderer Köstlichkeiten im Froster an: Wer die gefrorenen Chicken Wings neben seinem kristallklaren Blockeis lagert, brilliert zwar optisch, serviert aber leider eine katastrophale, übelriechende Themenverfehlung.
Zurück zum Produktionsprozess. Wer nicht mit Kühlboxen hantieren will oder wirklich große Pläne hat, findet am Markt eigens konzipierte Maschinen. Ob mit Stephan Hinz‘ »Ice Forward« oder Falgers eigenem »EiswerkZwei«: Das Prinzip ist stets gleich. In einem geschlossenen System friert über 24 bis 48 Stunden ein satter Eisblock von etwa 30 x 50 x 20 Zentimetern. Je nach Größe schlägt das übersetzt mit 30 bis 60 Litern Wasser zu Buche. Pro Woche lassen sich, abhängig von den die Maschine umgebenden Bedingungen, zwei bis drei Blöcke »ernten«.
Vor allem in den letzten Jahren war man zunächst gezwungen, auf ausländische Fabrikate zurückzugreifen, was mit extra Aufwendungen und diversen Nachteilen verbunden ist. Nicht immer wird die HACCP-Konformität eingehalten, 110-Volt-Systeme müssen umgebaut werden, der Stromverbrauch ist generell erschreckend. All diese Faktoren haben Hinz und Falger schließlich zur Fertigung eigener Modelle bewegt.
Mit diesen wird im großen Stil Eis produziert, das – je nach Eigenbedarf – anderen Bars zum Verkauf angeboten werden kann. Schließlich macht es nicht für jeden Betrieb Sinn oder Spaß sich ein eigenes in-house Eisprogramm anzutun. Handlich vorgeschnitten oder als ganzen Block ordert man die gewünschten Formate – basierend auf einer ehrlichen Analyse der eigenen Kapazitäten, des Bedarfs wie auch der personellen Komponente (sogar ein »Sharing« ist denkbar, wenn eine Bar die Räumlichkeiten hat, sich aber mehrere an Kosten für Maschine und Betrieb beteiligen).
Fremdbezug durch Eis-Lieferant
Pro:
– Sehr einfach umzusetzen, weil glasfertig geliefert, teilweise sogar täglich
– passabler Preis pro Würfel → einfache Kalkulation, weil verlässlich zu erfassen und auf jeweiligen Drink-Preis umlegbar
– Lagerkapazität & Produktionsfläche beim Hersteller
– kein Aufwendiges Setup, keine Folgekosten für Tools, Wartung, Strom etc.
Contra:
– Froster am Mixposten wird dennoch benötigt
– rund € 0,40 bis € 0,70 zusätzlicher Wareneinsatz pro Drink
– Einheitsgröße bei Würfeln, nicht jeder Hersteller geht auf Sondermaße ein
– teils hohe Lieferkosten
– nicht überall verfügbar
Wer anfängt, kann nicht wieder aufhören
Fremdbezug, Hausproduktion im Kleinformat oder industrielle Fertigung für Fortgeschrittene: Welchen Weg man auch einschlägt, die Möglichkeiten kristallklares Eis ins eigene Barkonzept zu integrieren sind heute mannigfaltiger denn je. Dem brillianten Funkeln steht nichts mehr im Wege, außer ein bisschen Wasser, Strom, Hirnschmalz und der Rechenstift. Eines muss Falger abschließend noch betonen: Welchen Weg die Reise einen auch führen mag, man muss sich bewusst werden, dass es, hat man einmal mit Clear Ice begonnen, schlicht kein Zurück gibt. Qualität und Anspruch, die keine Kompromisse kennen. Das hätten auch die Cocktail-Gründerväter so gesehen. Zurecht.
Hinweis: Dieser Artikel erschien ursprünglich in der Print-Ausgabe 3-2020 von MIXOLOGY, dem Magazin für Barkultur. Ein Link zur jeweilig aktuellen Ausgabe findet sich hier.
Credits
Foto: Tim Klöcker