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Kolumne Theken & Marken: Passend zum Frühlingsbeginn – alles neu macht der Style?

Täglich begegnen uns Marken in der Barkultur, monatlich sucht Kommunikationsdesigner Iven Sohmann das Gespräch. Was uns Leuchtreklamen, Produktverpackungen oder gar Getränkekarten zu erzählen haben, hinterfragt diese Kolumne. Passend zum Frühling: Alles neu macht der Style?

»Zeig mir deine Perle, ich tauche tief, kein Rush, keine Hurry, nur Intimacy« heißt es im jüngst erschienen Bilderbuch-Song namens »Daydrinking«. Feucht-frühlingshaft formen sich im dazugehörigen Splitvideo funkelnde Wasseroberflächen und rosa Rosenblüten mithilfe künstlicher Intelligenz zu einer collagierten Live-Performance der Band. All das geschieht beeindruckend unpeinlich dafür, dass hier der Cunnilingus in deutscher Sprache besungen wird. Woran das wohl liegen könnte? Die Anglizismen tragen sicher ihren Teil dazu bei – als eines von vielen Stilmitteln wohlgemerkt. Denn das ist was Style kann: Althergebrachtes in Wort und Bild neu verpacken. Und zwar im wahrsten Sinne.

Fresh und Frevel: Wein aus der Dose

Mit eben dieser Attitude streift derzeit Dosenwein der Marke TPSY durch die frühlingsfühlige Hauptstadt und zeigt, dass Katzen tagsüber alles anderes als grau sind. Ganz im Gegenteil: Die grünen und roten Gebinde der Berliner Beta Wine Company erweisen sich als Posier- und Kratzbaum für eine illustrierte »Cool Cat«, die wie der ausgewachsene Wurf von Garfield und Oskar aus der Tonne anmutet. Der Faulheit schönste Fratze. Gemeinsam mit dem niederländischen Illustrator Ivo Janns schafft TPSY durch verblüffend ungesehenen Cat Content einen echten Character, mit dem es sich ziemlich cool abhängen lässt. Hier noch einen Kickflip, da noch einen Korbleger, dazwischen einen Sip aus der Katzenkonserve. Life is easy – zumindest für den Moment.

Stubenrein war gestern: das TPSY-Packaging für unterwegs (Fotos: Beta Wine Company)

Dabei ist das Design nicht mal der größte Clou an dem ganzen. Hard Seltzer sei Dank trifft TPSY zielsicher den Zeitgeist mit praktischen 250 ml-Aludosen und vier alkoholreduzierten Sorten – Rheingau Riesling und Pinot Noir Rosé, jeweils aufgespritzt oder direkt mit Kohlensäure versetzt. Wann, wenn nicht zur shutdown- und wetterbedingten Daydrinking-Saison, sollte der Durchbruch und eben auch der Tabubruch mit dem (bruchsicheren) Büchsenwein sonst gelingen? Leicht zu kühlen, leicht zu transportieren, leicht zu trinken und zumindest in der Theorie auch leicht zu recyclen, verkörpert das Wegbierpendant die Juhnke’sche Glücksformel »Keine Termine und leicht einen sitzen«. Oder wie J-Kwon schon 2009 urteilte: »Now, everybody in the club get tipsy!«

Pfeffi reloaded – das Auge trinkt mit

Einen ganz anderen Sound und einen ganz anderen Schnack schlägt indes der pünktlich zum Gründonnerstag releaste Pfefferminzlikör Grüne Boje an. Dass es sich hierbei trotz des Datums keinesfalls um einen Aprilscherz handelte, leuchtet angesichts der dahinterstehenden Kreativ-Kooperation ein. Weder beim Partisan-Vertrieb in Thüringen, noch bei der Punkband Feine Sahne Fischfilet in Mecklenburg-Vorpommern treiben sie mit Pfeffi Schabernack. Jede Menge Spaß macht die vom Berliner Illustrator Bene Rohlmann gestaltete 700 ml-Buddel aber trotzdem – und zwar schon vor dem Öffnen. In einem von Minzdekoration umsäumten »Grüne Boje«-Spruchbandrahmen präsentiert eine pinke Hand vor sternhagelvoll-zugeschiffter Küstenansicht das Martiniglas, in dem die »giftgrüne Suppe« samt aufgespießtem Augapfel schwappt. Ja, ist denn heut’ schon Halloween?

Steife Brise: der Pfefferminzlikör Grüne Boje lässt die Luft aus dem Glas (Fotos: Bastian Bochinsiki)

Der zuprostende Hingucker auf dem Frontetikett lädt jedenfalls nicht nur zum Umtrunk, sondern auch zu Spekulationen ein. Wer hat hier zu tief ins Glas geschaut? Ist das der Reminder sich beim Anstoßen gefälligst in die Augen zu sehen? Handelt es sich um eine Warnung vor blindmachendem Flascheninhalt? Oder treibt hier gar das rechte Auge des Verfassungsschutzes? Zwinker, zwinker. Zweifelsohne bricht die Grüne Boje mit ihrem bunten Backpiece-Style die Sehgewohnheiten im Pfeffi-Segment und betreibt erfolgreiches Storytelling der allerfeinsten Sahne. Ebenfalls sehr erfrischend: Pfefferminzextrakt aus der Region und minimaler Zuckergehalt für Liköre nach EU-Verordnung. Nie zuvor war Mundspülung so gut für die Zähne und gleichzeitig so schön anzuschauen.

Lässig heißt nicht nachlässig

Erfreulicher- und in diesen Zeiten auch erbaulicherweise trotzen die Markenlaunches von TPSY und Grüne Boje der fortwährenden Pandemietristesse. Ungeachtet der derzeitigen Reisebestimmungen entfliehen beide dem German Ernst ihrer jeweiligen Produktkategorie, gehen selbstbewusst eigene, mitunter neue Wege und tragen dabei stilsicher Jogginghose. Diese Lockerheit, diese Unbeschwertheit wäre auch den meisten von uns gerade zu wünschen, bleibt aber leider nur den wenigsten vergönnt. Keine Angst, diese Kolumne wird nicht mit dem ewigen Politikmantra von der »Krise als Chance« enden. Sie wird einfach so mit einer Line à la Bilderbuch bestehend aus dem TPSY-Slogan und einem Songtextauszug vom Rücketikett der Grünen Boje schließen. Warum? Weil Style.

»Do everything / zu viel Maloche macht uns dumm!«

Credits

Foto: Bastian Bochinski

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