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Kolumne Theken & Marken: Wer wird Geldmeister?

Täglich begegnen uns Marken in der Barkultur, monatlich sucht Kommunikationsdesigner Iven Sohmann das Gespräch. Was uns Leuchtreklamen, Produktverpackungen oder gar Getränkekarten zu erzählen haben, hinterfragt diese Kolumne. Heute mit Regenbogenfahne und Fernseher auf dem Balkon: Wer wird Geldmeister?

»Agua, no Coca-Cola!« grummelt Cristiano Ronaldo fromm und diabetesfürchtig auf der Pressekonferenz nach dem ersten EM-Spiel der Portugiesen während er die braune Brause aus dem Sichtfeld der Kameras räumt. Sein französischer Kollege Paul Pogba tut es ihm ein paar Stunden später gleich, indem er ein Heineken wortlos zur Bückware unterm Podiumstisch degradiert. So weit, so Statement. Der ukrainische Nationalspieler Andriy Yarmolenko rückt die beiden Markenprodukte zwei Tage darauf allerdings demonstrativ vor sich und bettelt mit Dollarzeichen im Augenzwinkern um einen Werbedeal …

So hätte eine weitere Kolumne zum Thema Fußball beginnen können, aber keine Lust. Insbesondere nicht nach dem misanthropen Clusterfuck der letzten Tage bei der derzeitigen Europameisterschaft. Zappen wir an dieser Stelle also lieber zu einer anderen Dauerwerbesendung und damit von der EM 2020 aus dem Jahr 2021 zur neunten Staffel DHDL, deren Finale bei Erscheinen dieses Textes bereits fast einen Monat zurückliegt. Verrückte Zeiten.

Umschaltspiel und Nachbesprechung: Die Höhle der Löwen

Jetzt, da wir Fernseher und Körper mitten in der Hitzewelle mühsam auf den Balkon bugsiert haben, verspricht der Plottwist in Die Höhle der Löwen zumindest dem Namen nach etwas Abkühlung. Immerhin buhlen dort nicht Millionäre um noch mehr Millionen, sondern Gründer*innen um die Gunst von Investor*innen bzw. um Kapital für ihre Geschäftsideen. Der Food & Beverage-Bereich heimste in dem deutschen Shark Tank-Abklatsch bislang mit Abstand am meisten Deals ein und nicht wenige der Unternehmen kommen dabei aus Barszene. Darunter unter anderem: Tastillery, Koawach und Noveltea. Für alle, die sich den Zitterstream des VOX-Formats bei TVNOW ersparen möchten, gibt es nachfolgend die trinkkulturellen High- und Lowlights im superkompakten Staffelrückblick. #einmalserviceimmerservice

Hände hoch und Daumen runter: CO’PS und Laori

In Folge 2 stellen die beiden gelernten Köche Finn Geldermann und Jan Weigelt aus Hessen ihr Start-up CO’PS vor, dessen Name sich aus »Coffee« und »Schnaps« zusammensetzt. Wäre SCHNA’FFEE für einen Likör aus Arabicabohnen und Kolanüssen nicht die bessere Wahl gewesen? SCHNA’FFEE – wie süß! Stattdessen packt die harte Hand des Gesetzes zu und serviert Shots auf einem Baseballschläger. Für 20 % ihrer Unternehmensanteile verlangen die beiden Officers nicht Führer- und Fahrzeugschein, sondern 100.000 EUR. WANTED! Die Mischung aus Espresso und Absacker (AB’PRESSO?) weiß die Löw*innen zu begeistern. Mit 17 EUR UVP und 4,50 EUR Produktionskosten, inklusive umweltkrimineller Paperbag, ein gefundenes Donutfressen. Letzten Endes ist es der ehemalige Bar- und heutige Orthomol-Chef Nils »Ich kann alle Cocktails!« Glagau, der bei diesem Angebot zuschlägt. Also einschlägt. Also … vielleicht ist Polizeigewalt nicht das beste Narrativ? Sie haben das Recht zu schweigen!

In Folge 7 bitten die Betriebswirtin Stella-Oriana Strüfing und der Lebensmitteltechniker Christian Zimmermann aus Berlin die Löw*innen zum Gin & Tonic-Tasting. Aus drei Gin Tonics soll ihre ansehnlich verpackte Gin-Alternative Laori herausgeschmeckt bzw. bestenfalls nicht herausgeschmeckt werden. Nils »Ich kann auch alle Longdrinks!« Glagau nimmt sich der Aufgabe bereitwillig an und enttarnt das alkoholfreie Destillat wie ein routinierter Hütchenspieler. Autsch. Die angeblich »erste Alternative, die auch wirklich wie ein Gin schmeckt« strauchelt direkt und ein Deal über die erhofften 175.000 EUR für 15 % des Unternehmens rückt in weite Ferne. Als alle Löw*innen probieren dürfen, kommt es noch dicker: »Es ist nicht Gin – nie im Leben!« (Dagmar Wöhrl), »Da gibt es echt weitaus bessere Alternativen.« (Nils Glagau) und »Das ist ungenießbar pur!« (Georg Kofler). Da hilft auch eine Marge von 19 EUR pro Flasche nix. Immerhin findet Carsten »Silicon Villain« Maschmeyer lobende Worte – aber nur, weil das Getränk ihn eben nicht an Gin erinnert. Als 13-Jähriger hat er mit zwei Kumpels nämlich mal »’ne Flasche Gin zu dritt weggemacht«. Sie können einem leid tun. Also die Gründer*innen. MIXOLOGY-Kollegin Eva Biringer kommt jedenfalls zu einem positiveren Urteil.

Pack ma’s, trink ma’s: BeerBag und Winemaster

In Folge 5 betritt Tilmann Rothe mit dem Prototypen seines BeerBag die Bühne, der das Tragen einer kompletten Bierkiste ermöglicht. Fast überflüssig zu erwähnen: der Erfinder ist Student des Wirtschaftsingenieurwesens. Neben den 20 Bierflaschen hat der Dresdner ein Angebot über 20.000 EUR für 30 % seiner Unternehmensanteile im Gepäck. Die Höhle ist sich einig. Die Firmenbewertung ist »fair« (was frei übersetzt »zu niedrig« bedeutet) und die Idee wird für gut befunden. Carsten »Money-Maschi« Maschmeyer hält den Bondage-Rucksack sogar für »das Originellste«, was er je bei DHDL gesehen hat. Wow. Einzig an Marktreife und Geschäftsmodell mangelt es. Bei Produktionskosten von aktuell 40 EUR und einem angestrebten UVP von 50 EUR ist schließlich kaum was zu holen. Wird der 22-jährige Gründer mit den grenzenlos genialen Gerstensaftgurten dennoch einen Deal in die Wohngemeinschaft schleppen können? Cliffhanger!

In Folge 9 das andere Ende der Getränkekarte: Wein auf Bier, das rat ich dir? Der Mönchengladbacher Maschinenbauer Hubert Koch präsentiert seine Winemaster Bottle mit verschiebbarem Glasboden und Ablassventil, in die sich Wein umfüllen und dann vom Sauerstoff separieren lässt. Die erwünschten Aromen sollen so zwei bis drei Wochen länger erhalten bleiben. Ein (weg)machbar erscheinendes Zeitfenster. Für ebenfalls 30 % seiner Anteile ruft der Gründer einen Preis von 100.000 EUR auf. Das Patent ist angemeldet (also noch nicht erteilt) und die 8 EUR in der Herstellung bzw. 30 EUR im Regal ergeben eine solide Marge. Blöd nur, dass bereits 200.000 Flaschen bestellt sind, für Marketing und Vertrieb aber kein Geld mehr übrig ist. Kann der 62-jährige Tüftler trotz dieser trantütigen Transaktionstragödie auch einen Deal eintüten und haltbar machen? Seine Frau drückt alle Daumen!

Zum Glück für Tilmann Rothe und Hubert Koch lautet die Antwort in beiden Fällen: »JAAA!« – Ralf »Ramsch-Ralle« Dümmel fasst sich mal wieder höchstemotional ein Herz und steigt ohne Nachverhandlung in beide Unternehmen ein. Und das obwohl der Geschäftsführer von DS Produkte dem Alkohol seit jeher abgeneigt ist.

Das Nölen der Löwen

Eine gewisse thematische Distanz zum eigenen Investment ist natürlich nicht verwerflich und scheint weder dem BeerBag noch dem Winemaster zu schaden, die für zweifelhafte Probleme zweifellos clevere Lösungen anbieten – mal ressourcenarm, mal partiell ressourcenschonend. Dass fehlendes Wissen um die Belange der Zielgruppe aber auch gewaltig in die Hose gehen kann, hat der Shitstorm um die Pinky Gloves-Menstruationshandschuhe vor einigen Monaten eindrucksvoll bewiesen. Neben derlei Purplewashing ist auch das Greenwashing des eigenen Investitionsanspruchs bei DHDL immer mal wieder zu beobachten. Anstatt die renditeträchtige Schrottwichtelindustrie mit weiteren Tinnef-, Kappes- und Mumpitzprodukten zu versorgen, wäre ein aufrichtiges und konsequentes Engagement von den Reichsten der Reichen für eine für alle lebenswertere Welt wünschenswert – eh klar.

In der Regel wird bei Die Höhle der Löwen aber nicht in die gute Sache investiert, sie wird allenfalls in Kauf genommen. Und wehe, eine:r der Teilnehmenden trägt ein glaubwürdig gemeinnütziges Konzept mit ausgeklügelter Monetarisierungsstrategie vor. Dann zückt die Höhle gar die Moralkeule. Scheiße zu Gold machen? Gerne! Aber die Rettung der Welt als rentables Businessmodell? Geht’s noch? Und wenn das nicht zieht, die Gewinnspanne aber einfach zu klein ist, lauten die Ausflüchte: »Schade, nicht ganz mein Thema.«, »Das ist mir leider zu komplex.« oder – mein persönlicher Favorit – »Wenn wir das groß machen, dann machen das die großen Player ganz schnell nach.« Ja, um Himmels Willen! Nicht, dass der Mars-Konzern seine Riegel bald auch plastikfrei verpackt und unsere Portokasse dann dumm dasteht! Geld bewahre!

In solchen Momenten beschleicht mich das leise Gefühl, dass Kapitalismus vielleicht gar nicht mal so geil ist. Dann zappe ich zurück zur Sportschau und erfahre dort Gewissheit. Letztlich endet dieser Abend aber versöhnlich mit der zweiten Staffel Prince Charming – sponsored by Mangaroca Batida de Côco.

Credits

Foto: Iven Sohmann

Comments (3)

  • Moritz

    Ich bin bei weitem kein Fachmann für Oxidation von Wein, aber eine Flasche Wein umfüllen (= nahezu größtmöglicher Sauerstoffkontakt) um den Wein vor Sauerstoff zu schützen wirkt irgendwie kontraintuitiv.
    Mach ich da einen Denkfehler oder ist das auch so ein “faires” Geschäftsmodell?

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    • Mixology

      Lieber Moritz,

      ein berechtigter Kommentar mit guten Fragen, die wir allerdings nicht beantworten können. Unser Autor paraphrasiert in seinem Text ja lediglich, was die Protagonisten des Artikels in den jeweils beschriebenen Kontexten von sich gegeben haben.

      Viele Grüße aus der Redaktion // Nils Wrage

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    • Paul

      Ich bin ebenfalls kein Fachmann, kenne aber bereits ein paar Systeme. Natürlich ist der Ansatz kein Allheilmittel, was mit einer einmaligen Zahlung von 30€ die “Haltbarkeitsprobleme” von Wein nach der Öffnung löst. Hier würden sich Systeme eher anbieten, welche den Sauerstoff in der Flasche durch ein Gas verdrängen (zumeist Argon). Diese Kosten aber nicht nur mehr, sondern haben “laufende Kosten”, weil man immer das Gas nachkaufen muss.

      Ich denke für den Alltag dürfte die Lösung ganz akzeptabel sein. Einfach und nicht kostspielig. Oder man bleibt bei der altbewährten Lösung und trinkt die Flasche einfach aus. 😉

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