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Kolumne Theken & Marken: Wie wirbt das Sommerloch?

Täglich begegnen uns Marken in der Barkultur, monatlich sucht Kommunikationsdesigner Iven Sohmann das Gespräch. Was uns Leuchtreklamen, Produktverpackungen oder gar Getränkekarten zu erzählen haben, hinterfragt diese Kolumne. Aus aktuellem Anlass: Wie wirbt das Sommerloch?

„Also, wir schauen ja gar kein Fernsehen mehr!“ bläst es aus dem kulturpessimistischen Hirn ins kulturpessimistische Horn, wenn Medium und Inhalt mal wieder fälschlicherweise gleichgesetzt werden. Auch das Radio kann ein Lied davon spielen und zwar oft – aber eben nicht immer – dasselbe wieder und wieder und wieder. Vor allem in den nachrichtenarmen Sommermonaten, wenn selbst die renommiertesten Zeitungen Problembären, Killerwelse und Krakenorakel durchs Dorf schreiben, ist der inhaltsbezogene Verdruss nur allzu verständlich. Glücklicherweise ist Abhilfe nahe: Abstellen, ausdrehen, MIXOLOGY lesen – na klar!

Was aber, wenn sich ein Medium im öffentlichen Raum schier unausweichlich aufdrängt? Die Rede ist vom Plakat, genauer gesagt vom Werbeplakat. Nun genießt Werbung abseits von Kinosälen und Super-Bowl-Shows schon im Allgemeinen keinen besonders guten Ruf und ist vielen zu langweilig, zu laut oder schlicht zu platt. Weiterschalten, leiser machen, umblättern, wegklicken, adblocken, … Wertschätzung ist anders. Alkoholwerbung im Besonderen hat mit den gesetzlichen Vorschriften der Bundesländer, den selbstregulierenden Auflagen des Branchenverbands BSI und den Verhaltensregeln des Deutschen Werberats zudem weitere, unter anderem inhaltliche Hürden zu nehmen. Nicht die besten Voraussetzungen, aber mit dem nötigen Kleingeld für die nötige Kreativagentur sicher auch in der heißen Jahreszeit kein Problem, oder? Denkste!

Außenwerbung außer Kraft

Schon ein einziger Spaziergang durch die Bundeshauptstadt offenbart, dass das Sommerloch vor den Plakatanzeigen der Spirituosenbranche nicht Halt macht. Beziehungsweise genau dort Halt macht. Ausgerechnet auf den unzähligen LED-Screens der Busstationen des Kurfürstendamms wirbt der Roku Gin überraschend leblos. Obwohl der dazugehörige Spot die Hauptbotanicals durchaus dynamisch vorstellt, verkommt die Adaption aufs bewegte Plakat zum Stillleben. In einem endlosen Zehnsekünder lassen sich Gyokuro- und Sencha-Tee beim Wachsen zusehen während der Kampagnenclaim „Alive with the seasons of Japan“ energielos einfadet und so den Mehrwert gegenüber einem herkömmlichen City-Light-Poster ad absurdum führt. Fehlt eigentlich nur noch vorbeischleichendes Tumbleweed. Kategorie: vertane Chance.

Vorher-Nachher-Vergleich: kaum Bewegung trotz reichlich Animationsmöglichkeiten auf dem digitalen Display

Einen Bezirk weiter im benachbarten Schöneberg flirtet der gute alte Gordon’s Gin noncharmant vom Großflächenplakat: „Du, ich, Gordon’s und Tonic (Headline) … wie wär’s? (Claim)“. Bist du öfter hier? Tat es weh, als du vom Himmel gefallen bist? Es mag an mir liegen, aber ist schon Altwerbersommer? Auch die zwei lax retuschierten Ballongläser, die zwischen den Textelementen vor ukrainischer Nationalflagge, äh, minimalistischer Strandkulisse auftauchen, wirken uninspiriert. Und warum das Plakat im Plakat? Soll das Polaroid sein? Oder gibt es Rabatt, wenn nur zwei Drittel des 18/1-Formats wirklich genutzt werden? Fragen über Fragen. Die dringendste: Warum bleibt es hell, wenn die viel strapazierte Fruchtsonne untergeht? Egal, Kopf in den Strand, Sky’s the Limette! Hoffentlich bekommen die Kinder auf dem Spielplatz gegenüber keinen Brand. Kategorie: deplatzierter Schnellschuss.

Nichts Neues, diese Werbung ist leider Sand von gestern

Provokation ist nicht alles

Parallel dazu kursiert eine weitere Kampagne im Social Media, die laut der achtlos applaudierenden Werbe– und Designfachpresse auch out-of-home zu sehen sein soll, sich auf den Straßen Berlins bislang aber eher versteckt hält. Aus Gründen. Für ihren Gin präsentiert die Kyrö Distillery schließlich vier textfokussierte Anzeigen, in denen sie „brutally Finnished“. Neben ewiggestrigem Hipster-Bashing à la „Wo wir herkommen, trägt man Vollbart, weil es kalt ist. Nicht, weil es cool ist.“ wird in den Headlines auch beherzt nach unten getreten: „Schmeckt wie Finnland riecht. Gott sei Dank kommt er nicht aus Neukölln.“ Pardon me, wonach riecht denn Neukölln, bitte? Shisha? Shawarma? Schmutz und Schweiß der Arbeiterklasse? Brutally zynisch! Darauf angesprochen verweist der Twitter-Account @Kyrodistillery halbherzig auf das ausschweifende Neuköllner Nachtleben. Na, dann viel Glück beim „#berlintakeover“. Kategorie: arroganter Höhenflug.

Ironischerweise aber scheinen die gleichen saisonalen Leistungsdefizite, die derart plumpe Provokationen hervorrufen, auch dafür zu sorgen, dass die erwünschte Empörung auf der Gegenseite weitestgehend ausbleibt. Sommerloch schlägt Shitstorm. Zumindest in diesem Fall und dann ja irgendwie auch zu Recht. Eine Frage drängt sich allerdings noch auf: Warum entspringen die hier aufgeführten Einfallslosigkeiten eigentlich alle der Gin-Branche? Zufall? Selektive Wahrnehmung? Oder könnte es sein, dass der Wacholderschnaps endgültig auserzählt ist? Gin-Hype vorbei? Gin Over? Rest Gin Peace? Bevor wir hier ähnlichen Mustern verfallen, sei zur Ehrenrettung aller Agenturen noch erwähnt, dass die besseren Ideen erfahrungsgemäß in den Schubläden landen. Hoffen wir also auf den Herbst und schließen mit sommermilden Grüßen. Die nächste Ausgabe wird rau.

Credits

Foto: Mr. Fred

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