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Kolumne Theken & Marken: Wie tierisch ist das Rückbuffet?

Täglich begegnen uns Marken in der Barkultur, monatlich sucht Kommunikationsdesigner Iven Sohmann das Gespräch. Was uns Leuchtreklamen, Produktverpackungen oder gar Getränkekarten zu erzählen haben, hinterfragt diese Kolumne. Anlässlich des Veganuarys dieses Mal im Fokus: Wie tierisch ist das Rückbuffet?

»Yes, ve gan!« – persönlich wie professionell bin ich wirklich kein Fan davon, politische Slogans zu Werbebotschaften umzudeuten, egal welchem Lager sie entstammen. Anders als bei vielen Marken, die sich in den letzten Jahren fahrlässig ironisch zur »Alternative für« irgendetwas »great again« machten, ist diese Iglo-Headline aber zumindest handwerklich aller Ehren wert. Und inhaltlich zweifelsohne auch. Es mag verrückt klingen, aber Tier- und Umweltschutz scheinen tatsächlich eine gute Sache zu sein. Geklaut ist die Line zwar trotzdem, aber das sind vegane »Pulled ›Pork‹ Stripes« ja irgendwie auch, von daher passt’s. Touché! Oder wie es im offiziellen Veggiesprech wohl lauten müsste: Vouché!

Dass hier im Land, wo Buttermilch und Blutwurst fließen, Anfang 2021 so viele Unternehmen dem »Veganuary«-Aufruf der gleichnamigen britischen NGO folgen, ist natürlich zu begrüßen. Nicht obwohl, sondern gerade weil so viele von ihnen tierische Produkte direkt oder indirekt anbieten. Von Knorr über Penny bis Thalia, von Ben & Jerry’s über McDonald’s bis hin zu Lieferando. Nationale wie internationale Marken bemühen sich mit allerhand Produktneuheiten sowie Werbe- und Rabattaktionen die vegane Welle zu surf-and-turfen. Sogar Meat Loaf ist mit an Bo(a)rd! Nun mag es redlicher sein, die originär veganen Brands wie Veganz, Like Meat oder Vantastic Foods zu bevorzugen, aber wer ist, was er isst, kann immer öfter auch bei den Big Slayern kein Schwein sein und das sind doch good News, oder?

Doch was hat all das jetzt mit der Barkultur zu tun? John F. Kennedy würde sagen: »Frage nicht, was der Veganuary für dich, sondern was du für den Veganuary tun kannst!« Ich sage: na dann schauen wir mal.

Veganuary: Kommt kein Pferd in die Bar

Abgesehen von Restaurantbars, Bar-Restaurants und dem Cuisine-Style, bei dem sich Zutaten wie Rinderbrühe, Muschelsaft, mazerierte Hühnerhaut, Käsekrainer-Infusion oder bacon-washed Dingsdabums auch dem dösigsten Hanswurst als unvegan erschließen dürften, scheint es am Tresen recht tierfrei zuzugehen.

Ach nein, die Kuhmilch, da war ja was. Das für Kälber bestimmte Eutersekret einer von Menschenarm dauergeschwängerten Mutterkuh, deren Babys ihr gewaltsam entrissen werden. Oh, und das Hühnerei. Keimzelle und Nährstoffdepot für den Nachwuchs einer zwangshormonisierten Henne mit abtrainiertem Brutinstinkt. Und Bienenhonig, stimmt. Das mühselig erarbeitete Lebenselixier einer Insektenkolonie, das dieser im unfreiwilligen Tausch gegen ungesundes Zuckerwasser entwendet wird. Mithilfe eines Fake-Infernos wohlgemerkt, das die Bienen übrigens keineswegs »beruhigt«, sondern schlicht in Todesangst versetzt. Wer hätte gedacht, dass Tiere wissen: Rauch kann tödlich sein.

All das klingt drastisch und radikal? Dito. Verzichten wir also lieber auf das Schwanzkupieren, das Ausbrennen der Hornanlage, das Schnabelstutzen, das Kükenschreddern sowie das Flügelbeschneiden und kommen zu den Alternativen. Ob aus geschmacklichen, gesundheitlichen, ökologischen oder ethischen Beweggründen: dass sich Milch, Sahne, Butter und Co. ebenso aus Pflanzen herstellen lassen, sollte sich mittlerweile herumgesprochen haben. Warum sie sich dann immer noch nicht so nennen dürfen? Das ist vor allem den wirtschaftlichen Interessen des Milchindustrie-Verbands und dessen einflussreicher PR-Arbeit der letzten einhundert Jahre geschuldet. Schulmilch von glücklichen Kühen macht müden Männern Mumm in die Knochen und so weiter und so Bullshit. Tatsächlich stehen veganen White Russians, Irish Coffees und Hot Buttered Rums heute allenfalls indoktrinierte Vorbehalte im Wege.

Wo ein Wille ist, ist auch ein vegan

Zugegebenermaßen reichen die verschiedenen Pflanzenprotein-Wasser-Gemische von lecker bis ekelhaft – also in etwa von Mandel bis Erbse – aber wenn’s einfach wäre, hieße es ja nicht Mixologie, oder? Das Dr. Sohmann-Team rät: probiert aus, worauf ihr Lust habt, Hauptsache es geschieht im gegenseitigen Einvernehmen. Ebenfalls evaluiert gehört Aquafaba als Alternative für Eischnee. Das protein- und stärkehaltige Kochwasser von Hülsenfrüchten wie Kichererbsen oder weißen Bohnen wandelt sich durch herkömmliches Aufschlagen zum stabilen Schaumtraum fernab jeglicher Salmonellengefahr – das Ei des Kolumbus! Anstelle von Bienenhonig wiederum helfen Agavendicksaft, Apfelsüße oder ein anderer der hundert Sirupe von A wie Ahorn bis Z wie Zuckerrübe. Je nach Verwendungszweck können darüber hinaus sogar Stevia oder Birkenzucker zum Einsatz kommen. Es sei denn, der Verwendungszweck ist, Bienen artgerecht zu ernähren, versteht sich.

Etwas schwieriger zu erkennen, aber ebenfalls leicht zu ersetzen sind unvegane Biere, Weine und Spirituosen. Die gute Nachricht vorweg: das deutsche Reinheitsgebot vereitelt nicht nur allerhand experimentelle Köstlichkeiten, sondern auch die Verwendung von Schwimmblasen und Gelatine als Klärmittel. Lassen wir den Leim und die Druckfarben der Etiketten außen vor, sind Biere nach Reinheitsgebot also stets vegan. Bei Importware ohne V-Label oder ähnlichem hilft indes nur die Recherche (z. B. bei Barnivore).

Gleiches gilt leider auch für Weine sowie Limonaden und Fruchtsäfte: Um Gerbstoffe zu binden, werden hier neben den Fischeingeweiden und der klebrigen Knochen-Knorpel-Pampe auch Albumin aus Hühnerei und Kasein aus Kuhmilch genutzt. Ein klärendes Gespräch braucht es mitunter auch bei Spirituosen, wenngleich bedeutend seltener. So offensichtlich die nicht-pflanzlichen Zutaten bei Cremelikören oder Honey Editions, so versteckt sind sie beispielsweise bei der Milchfiltration. Ist das Kunst oder kann das veggie?

Tiere müssen »leider« draußen bleiben?

15 Jahre ist es her, dass Campari von Karmin aus Cochenilleschildläusen auf künstliche Farbstoffe umstellte und somit immerhin vegetarisch wurde. 2016 entschied sich Guinness, sein Bier nicht mehr mit Hausenblasen zu filtern. 43 Jahre nach Gründung brachte Baileys nach einigen Anlaufschwierigkeiten (Bienenwachs, hoppala!) 2017 erstmals einen veganen Sahnelikör auf den deutschen Markt.

Obwohl die possierlichen Tiermotive auf den Frontetiketten im Rückbuffet die Arche Noah seit jeher zu füllen vermochten, entdecken viele Unternehmen ihre Tierliebe erst jetzt. Ist das Moral oder Marketing? Why not both? Braucht es dafür wirklich einen veganen Monat als Challenge? Warum nicht? Und hätte es der Veganuary überhaupt soweit gebracht, wäre der Dry January im Lockdown für viele nicht so unzumutbar gewesen? Wen kümmert’s? Und noch wichtiger: Wen kümmert’s ab Februar? Die Tiere. Vouché!

Credits

Foto: Mr. Fred

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