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Korrigierte Legenden aus dem Raffles: Die Geschichte des Singapore Sling

Falsche Gattungsbezeichnung, anderes Entstehungsjahr und wechselnde Zutaten – an Diskussionsstoff mangelt es beim süßen, roten und vor allem berühmten Drink aus dem Hurricane-Glas nicht. Und ein Besuch in Singapur macht die Sache dann noch ein wenig komplizierter. Wie war das jetzt eigentlich mit dem Singapore Sling, Mister Leslie Danker?

Keiner kennt das Raffles Hotel besser als Leslie Danker. Das behauptet zumindest der Klappentext des Buchs von Leslie Danker. Und somit ist er auch eine Anlaufstelle, wenn es um den berühmtesten Cocktail geht, der im „Raffles“ erfunden wurde, den „Singapore Sling“. 48 Jahre steht der freundliche Mann bereits in den Diensten der Hotel-Ikone, die letzten Jahrzehnte davon allerdings nur tageweise als Historiker, der die Gäste in die zahlreichen Stories rund um das 1887 gegründete Haus einführt.

Die Akzente setzt Danker, der auch zwei Bücher über seine Erlebnisse verfasst hat, dabei je nach Nationalität der Besucher. Den Briten erklärt er gerne ausführlich, dass der Werbespruch „Feed at Raffles“ tatsächlich von Rudyard Kipling stammt, „allerdings ließen die armenischen Hotelbesitzer den zweiten Teil weg. Denn zur Nächtigung empfahl der Autor eine andere Adresse: Sleep at the Hotel de L’Europe.“

Singapore Sling

Zutaten

3 cl Gin
1,5 cl Cherry Brandy
12 cl frischer Ananassaft
1,5 cl frischer Limettensaft
0,75 cl Cointreau
0,75 cl D.O.M. Bénédictine
1 cl Grenadine
1 Dash Angostura Bitters

Der Cocktail am Buch des Haus-Historikers

In unserem Falle wird es aber nicht um Kipling oder den zweiten „Raffles“-Werbeträger der englischen Literatur, William Somerset Maugham, gehen, sondern Ngiam Tong Boon. Er ging als Erfinder des „Singapore Sling“ in die Cocktailgeschichte ein und Danker kommt bei seinem Rundgang in der Long Bar auf den Bartender zu sprechen. Er stammte aus Hainan in China und gelangte über Französisch-Indochina um die vorletzte Jahrhundertwende nach Singapur. Viel mehr ist nicht bekannt, doch für das Marketing des Hotels reichen die wenigen Fakten. Ein Beleg dafür ist das neue Buch des „resident historian“ – das Cover von „A Life Intertwined“ zeigt die beiden wichtigsten Legenden, die sich um das Hotel ranken: den Tiger und den Singapore Sling.

Die Geschichte mit der 1902 „unterm Billard“ erschossenen Raubkatze stellt Danker bei seinen Hotel-Touren stets im heutigen Bankettsaal des Raffles richtig. Denn während die Kombination des Tigers mit dem Billardtisch die Phantasie anregt, war das reale Ereignis weitaus weniger skurril, dafür aber brutaler. Denn fünf Schüsse benötigte der Direktor der Schule gegenüber des Hotels, den man mitten in der Nacht geweckt hatte, um den Tiger unter dem „Bar & Billard Room“ zu erlegen. „Gegen die immer wieder auftretenden Überschwemmungen in Singapur war dieses Gebäude auf Pfeilern errichtet – daher kommt das Missverständnis mit „unter dem Billard““, so Leslie Danker.

Fraglich: Der Genie-Streich aus dem Todesjahr

Auch in Sachen Singapore Sling gibt der 82-Jährige gerne den Mythen-Zerstörer: „Das originale Rezept haben wir nicht mehr“, gibt er gegenüber MIXOLOGY Online zu. Geheimniskrämer Tong Boon soll seine Rezepte immer in einer Safe-Box weggesperrt haben, eine solche zeigt man auch im hoteleigenen Museum, in dem auch die einzige Fotografie des Bartenders gezeigt wird. Danker trägt sie in seinem Ordner mit den Hotel-Storys ebenfalls stets mit sich. Überlebt hat lediglich eine Cocktail-Serviette aus dem Jahr 1936, auf der sich ein Gast das Rezept notieren ließ.

Ngiam Tong Boon, der wie Louis Eppinger als möglicher Erfinder des „Million Dollar Cocktail“ gilt, war da bereits lange tot. Recherchen zufolge verstarb er auf Heimaturlaub in Hainan 1915. Also just in jenem Jahr, in dem er auch den Singapore Sling kreiert haben soll. So zumindest stand es in den 1950er Jahren auf den Coastern des Raffles gedruckt, werbewirksam mit dem Hinweis „made with Beefeater“ kombiniert.

Populär und vulgär bereits im Jahre 1913

Diese Chronologie ist seither mehrfach angezweifelt worden, unter anderem von Cocktail-Historiker David Wondrich, der im Zeitungsarchiv Singapurs eine Erwähnung „pink slings for pale people“ für das Jahr 1903 nachweisen konnte. Und auch Leslie Danker sieht die Rezeptur als älter als 1915 an. „Es gibt Berichte, dass er schon zehn Jahre früher serviert wurde, allerdings unter seinem generischen Namen Gin Sling.“ Zumindest auf 1913 muss die Kreation vorverlegt werden, fand Wondrich ebenfalls heraus. Denn in der Bar des lokalen Cricket Clubs weigerte man sich, den „Sling“ zu servieren, wie die Singapore Weekly Sun 1913 zu berichten wußte. Und die Zeitung gab sogar eine alternative Bestellung an, mit der man ihn sich selbst mixen könne: Je eine Unze Gin, Cherry Brandy, Bénédictine und Limettensaft mit etwas Bitters, Wasser und Eis.

Und auch, wenn man den Cocktail im versnobbten Club als „vulgär“ empfand, bedeutet das, dass er offenbar schon 1913 eine gewisse Popularität in den Straits Settlements, wie die Kolonie damals bei den Briten hieß, besaß. Die offizielle Lesart in der Karte der Long Bar belässt es heute bei der diplomatischen Formulierung „around the turn of the century“. Nichts Genaueres weiß man nicht …

Der große Wurf für die Ladies auf der Veranda

Doch immerhin: Für die Entstehung des Singapore Sling hat Leslie Danker eine plausible Geschichte parat, die er mit einer Geste in Richtung der Bras Basah Road einleitet: „Das Meer reichte früher bis hierher und so war das der logische Weg für die frisch gelandeten Seeleute.“ Und die schneidigen Offiziere wurden natürlich auch von den lokalen Damen in Augenschein genommen (und umgekehrt). Zumal die historische Long Bar nicht im ersten Stock, sondern im Erdgeschoß lag und im wesentlichen aus ein Bar Tischen im Vorgarten bestand. „Damen sollten in der Öffentlichkeit aber keinen harten Alkohol trinken“, erklärt Leslie Danker den Fruit Punch, den Ngiam Tong Boon daher kreierte. Der „bittered sling“ wurde also mit Fruchtsäften gestreckt und erhielt noch mehr Farbe durch den Kirschlikör.

Der starke Sling und der Orangensaft

In seiner Recherche zur Geschichte des ikonischen Raffles-Drinks traf Simon Difford auch einige Nachfahren des Bartenders aus Hainan. Sie erhellten im Grunde wenige Details, erwähnten aber zwei Dinge, die eine korrekte Originalrezeptur noch schwieriger machen: Orangensaft soll früher auch im Cocktail gewesen sein, dann aber durch die lokale Ananas ersetzt worden sein. Und die Familienlegende spricht auch von einem „sehr starken Drink“ und zwei Portionen Gin. Nebenbei, so berichten die Urenkel, soll der später so berühmte Sling bereits in Ngiam Tong Boons Zeit in Vietnam entstanden sein.

Doch das ist nur eine weitere Legende zum bekanntesten Sling, der gar keiner ist.

Credits

Foto: Sarah Swantje Fischer

Comments (2)

  • Michael Erdmann

    Ich war vor etwa 8-10 Jahren im Raffles. Nachdem ich einen Singapore Sling geordert hatte, griff der Keeper zu einer monströsen Plastikflasche mit Premix. Ich konnte den Mann gerade noch stoppen und änderte meine Order in einen trockenen Wodka-Martini um.
    Soviel zur Tradition in der Long Bar

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    • Mixology

      Moin Michael,

      tja, das ist ja leider ein Schicksal, das viele berühmte Cocktails am Ort ihrer ursprünglichen Entstehung ereilt hat. Ich persönlich erinnere mich an einen sehr traurigen Besuch in der Bar des Seelbach Hotel in Louisville/Kentucky vor einigen Jahren. Aber das ändert ja nichts daran, dass all diese Drinks – wie auch der Singapore Sling – in ihrer ursprünglichen, gut ausgeführten Form dennoch hervorragend sind. Oder nicht?

      Die Long Bar bzw. sogar das komplette Raffles Hotel steht meines Wissens übrigens seit einigen Jahren unter der Leitung von Proof & Company, einem sehr angesehenen, fortschrittlichen Gastronomie- und Spirituosenunternehmen aus Singapur. Vielleicht hat sich ja der Level inzwischen wieder gebessert.

      Grüße aus der Redaktion
      // Nils Wrage

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