TOP

AUF EINEN HANKY THÉ-NKY IN PRAG

Zwischen den Happy-Hour-Orgien und Clubs der tschechischen Hauptstadt ist „Mixology & Champagne“ eine mutige Ansage. Miloš Danihelka und Vítězslav Cirok haben sie mit ihrer Bar L´Fleur überzeugend gewagt.

Von den Pubs am Altstädter Platz und ihren Massenabfüllungen sind es nur ein paar Schritte zu seriöseren Cocktail-Adressen. Jedoch spiegeln sich Himmel und Hölle der Bar in der Straße „V Kolkovně“ auf wenigen Metern wieder. Während in der Querstraße „Dlouhá“ Bier – im Beer-Museum und Lokal – regiert, sorgt das Souterrain des James Dean immer noch für Warteschlangen. Ein paar Schritte weiter importiert das Tretter’s einen Hauch New York und um die Ecke wartet mit dem Aloha eine veritable Tiki-Bar. Mojito und Cuba Libre kosten im hölzernen Hawaii-Dekor bis 21 Uhr nur 3,50 Euro – Prag, das wissen die hier einfallenden Touristen, ist nach wie vor ein billiges Pflaster.

Prag im Cocktail-Fieber

Selbst im George in der Platnéřska, Tschechiens einzigem Restaurant mit eigenem Steak-Reiferaum, werden die kunstvollen Signatures, etwa der Negroni mit dem Zesten-umflochtenen Campari-Eisball, um 7,60 Euro angeboten. Deutlich weniger, als man hier für das Glas fetten Chardonnay aus Kalifornien berappt. Die Kombination von Restaurant und kleiner, aber feiner Cocktailkarte ist aktuell angesagt an der Moldau. Man pflegt sie auch im SaSaZu, dem Nobelasiaten am alten Schlachthof, vor dem vietnamesische Händler T-Shirts von „Kalaschnikow European Death Tour“ bis „Landser, deutsche Qualität“ am Markt Bubenské nábřezi eher ausstellen, als verkaufen.

Doch neben den bekannten mixologischen Leuchttürmen Anonymous, Black Angels oder Cash Only und diesen limitierten Aperitif-Showpieces gibt es seit neun Monaten eine neue Anlaufstelle. Womit wir zurück wären in der belebten V Kolkovně, wo in Hausnummer 5 Miloš Danihelka und Vítězslav Cirok ihr L´Fleur etabliert haben. Was anfangs wie eine der vielen zwischen Pub-Holzlamperie und American Bar angesiedelten Trinkstätten wirkt, erweist sich bei einem Blick aufs Rückbuffet als ernstzunehmende Adresse. Allein von Nikka finden sich acht Abfüllungen, Raritäten bei Cognac und Rum sorgen weiter für bewunderndes Nicken, das eigentliche Motto aber gibt das Hinterglasmotiv im rückwärtigen Teil der Bar vor. Irgendwie an den Jugendstil-Hero Alfons Mucha erinnernd, schlägt es wie der tschechische Illustrator einen Bogen von Prag nach Paris. Der Name L´Fleur soll darauf anspielen, dass „wir auch eine junge Blüte sind, die jährlich wachsen soll und die Leute glücklich machen will“, formuliert es Cirok fast poetisch.

Paradies der Winzer-Champagner

Dem Untertitel „Mixology and Champagne“ entsprechend, liebt man es auch beim Schaumwein französisch. Die immerhin fast 100 Positionen der Champagner-Karte sorgen für erhöhten Speichelfluss. Neben Raritäten bis zurück nach 1982 finden sich hier neben den Prestige-Etiketten auch Winzer-Champagner – Ulysse Collin, Jacques Selosse, Pierre Peters, Jean-Mary und Benoît Tarlant – mit rund 100 Euro für Millésimes verführerisch kalkuliert.

Selbst aus der kaum 10.000 Flaschen umfassenden Produktion des Qualitätsfanatikers Cédric Bouchard konnte man sich den Côte de Val Vilaine sichern. Doch so schön diese Sterne funkeln, wir sind ja nicht nur wegen des „Weins der Bar“ hier. Wobei der Übertritt zur eigentlichen Cocktailkarte mit einem „Bulles et Mandarine“ erleichtert wird; Schokoladensirup und Vanille-Bitters geben dem Zitrusfrucht-Likör Tiefgang, der Deutz-Champagner sorgt für die Leichtigkeit des mit 9,10 Euro teuersten Drinks.

Routinier tanzt den französischen Twist

Die meisten anderen der 21 Signature Cocktails kommen um 7,50 Euro ins Glas, was alleine schon für begeisterte Bestellungen der ausländischen Gäste sorgt. Sie sind allerdings in der Minderheit. Denn während man anderswo auf die großen Touristen-Gruppen setzt, kommen ins L’Fleur mehrheitlich tschechische Barflys. „Der Anteil der einheimischen Gäste liegt bei 60 Prozent“, schätzen Miloš Danihelka und Vítězslav Cirok. Die beiden Head Bartender fungieren gleichzeitig als Manager, finanziert wurde die Prager Bar-Neueröffnung von einem geheimnisvollen Investor, der dem Blumen-Team aber „absolut freie Hand lässt“.

Vítězslav Cirok, der Mann mit der Schalkrawatte, bewies sein feines Händchen für balancierte Kreationen mit Tiefgang schon bei der „World Class 2015“ – mit einem Final-Platz unter den besten Sechs hielt er Tschechiens Flagge im Finale in Südafrika hoch. Sein Werdegang spiegelt auch die Prager Szene wider. Als Barback in Clublocations wie dem 5 Floors erfolgte der Einstieg in die Gastronomie, Lehrjahre in der Hilton-Bar Cloud 9, damals wie heute eine gute Adresse, und dem Rock-Schuppen Phenomen folgte die Zeit im Bugsy’s. Die Zeit in der American Bar, so Cirok, „hat mich zu dem gemacht, was ich heute bin“. Vor allem die Gastgeber-Qualitäten des ganzen Teams fallen trotz der relativen Größe des L’Fleur mit 78 Sitzplätzen auf. Während man im Tretter’s nebenan weder begrüßt noch platziert wird, stimmen hier vom ersten Augenblick an Tonalität und Kompetenz. „Schau mal in die Karte und dann reden wir, wonach euch ist“. Zurücklehnen gibt es für das siebenköpfige Team nicht, „wir haben keine Kellner, alle pendeln zwischen Bar und Service“.

Cocktail-Barrels statt Bierfässer

Uns steht der Sinn nach einem Mezcal Old Fashioned, der schulmäßig ins Glas kommt. Es macht schon wirklich Freude, einer Crew zuzusehen, die ohne Hektik, mit wasserklaren großen Eisblöcken und liebevollen Details zu Werke geht. Da wird ein Räucherstäbchen entzündet, dort eine Teetasse gefüllt oder ein alter Becherovka-Krug augenzwinkernd mit dem „Georgie Shrub“ befüllt. Das Nationalgetränk trifft dabei auf Zwetschkenbrand und einen mährischen Shrub, ansonsten regiert aber der französische Einfluss auf der Karte. Der fällt einmal verspielter aus wie beim „Temehani“, einem fruchtig-würzigen Drink mit St. James Ambré Rum, Ananassaft, Hibiskus und Rosa Beeren, dann wieder deutlicher wie beim „Botanique“. Dieser Wodka Sour mit Chartreuse und Benedictine reiht sich in eine Reihe mit dem Genever-Cocktail „Frontiére Belge“ oder dem mit Crème de Cassis zubereiteten „Dijon Julep“ ein.

Am deutlichsten wird die Präzision der Crew beim „L’Fromage Martini“, für den Wermut mit provençalischem Schafskäse samt seiner Lake aromatisiert wird und dem eiskaltem Tanqueray Ten ein würziges Finish beschert. Dass man auch das Barrel Ageing pflegt, zeigen die insgesamt sechs Drinks aus dem Fässchen, denen sich eine eigene Karte widmet. Vom Negroni-Twist „Classiques de Florence“, dem Himbeer-Balsamico den Kick verleiht, bis zum mit Earl Grey aromatisierten „Hanky Thé-nky“ reichen die Varianten. Prag liebt die fassgereiften Varianten, erwähnt Cirok nebenbei. „Für diese Cocktails sind wir bekannt: alles Klassiker, aber doch etwas anders. Das mögen die Gäste”.

Was wir – einen „Vieux Mezcalez“ später – vollkommen nachvollziehen können.

Kommentieren