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Liköre in der Bar, Teil 2: Die Orangenliköre „Triple Sec“ und „Curaçao“

Liköre in der Bar, Teil 2: Die Orangenliköre „Triple Sec“ und „Curaçao“

Es ist ohne Zweifel: Orangenlikör ist der Barlikör schlechthin, ohne ihn stellt man sich hinter keinen Tresen. Interessant ist dabei, dass die Begrifflichkeiten stets diffus geblieben sind und meist ohne Trennschärfe verwendet werden. Was aber ist der Unterschied zwischen „Triple Sec“ und „Curaçao“? In Teil Zwei der Serie „Back to Basics“ bringt Gabriel Daun Präzision in die Kategorie.

Würden bei den Academy Awards in Hollywood nicht schauspielerische oder filmische Leistungen, sondern Spirituosen gekürt, so wüsste ich, wer sich beste Chancen auf die Trophäe in der Kategorie „Best Actor in a Supporting Role“ ausrechnen dürfte. The Oscar goes to…: Orangenlikör!

Und das Zurecht! Einige der besten Drinks aller Zeiten kommen nicht ohne ihn aus – auch wenn er in ihnen nie die Hauptrolle spielt. Wenn nur ein Likör, dann dieser! Erstaunlicherweise finden sich bei genauerem Hinsehen trotz seines Nimbus‘ überraschend viele Missverständnisse, Halb- und Unwahrheiten ihn betreffend.

Kolonialismus, Sklaverei, Mutation

Gerade einmal 60 km von Venezuela entfernt im Karibischen Meer gelegen, befindet sich eine kleine Insel. Trotz ihrer geringen Größe von gerade einmal 444 Quadratkilometern (zum Vergleich: das ist gerade einmal die Hälfte Berlins) ist sie der Namensgeber für den Likör schlechthin. Dort begann vor einem halben Jahrtausend seine Geschichte. Curaçao hat ziemlich bewegte, oftmals dunkle 500 Jahre hinter sich. 1499 landeten die Spanier auf der Insel, versklavten seine indianischen Ureinwohner und deportierten sie zur Zwangsarbeit aufs Festland. 1527 begannen die Kolonisatoren dann mit der Wiederbesiedlung der Insel. Dabei unternahmen sie den Versuch, dort Sevilla-Orangen aus ihrer Heimat anzubauen. Die vorherrschenden Boden- und Witterungsverhältnisse ließen die Früchte jedoch nicht gut reifen, weshalb man das Unterfangen nach einiger Zeit wieder aufgab. Die bereits angelegten und bepflanzten Plantagen verwilderten, und ohne menschliches Zutun entstand durch Mutation eine neue Sorte: Die „Laraha“ oder „Curaçao“-Orange.

Nach über 100 Jahren unter spanischer Herrschaft eroberte eine Expedition der Niederländischen Westindien-Kompanie 1634 im Rahmen des Achtzigjährigen Krieges Curaçao. Das Eiland wurde in den darauffolgenden Jahren zum Zentrum für den karibischen Sklavenhandel. Während der Napoleonischen Kriege wurde die Insel zweimal von den Briten besetzt, fiel 1816 jedoch wieder unter Oranje-Herrschaft. Erst 1863 wurde die Sklaverei auf der Insel endlich abgeschafft. Heute ist Curaçao (wie auch Aruba und Sint Maarten) ein eigenständiges Bundesland innerhalb des Königreichs der Niederlande.

Von der Orange zum Likör

Soviel zur Geschichte der Insel und der Entstehung der Curaçao-Orange. Nun zum Likör. Leider ist es nicht sicher, wer wann genau den ersten Curaçao-Likör herstellte. Einiges spricht dafür, dass es afrikanische Sklaven auf der Insel waren, die als erste entdeckten, dass die dort wachsenden Zitrusfrüchte und deren Fruchtfleisch zwar ungenießbar, die ätherischen Öle der Schale jedoch trefflich zur Aromatisierung alkoholischer Getränke geeignet waren. Auch den niederländischen Pflanzern, die bis dahin in erster Linie mit dem Export von Zucker, Baumwolle, Indigo, Tabak und Salz ihr Geld verdient hatten, blieb das nicht verborgen. Die Schalen wurden in getrockneter Form zu einem weiteren wichtigen Exportartikel, der mit den fortschrittlichen Destillationsmethoden in Europa zu einem gefragten Produkt verarbeitet wurde. Der niederländische Curaçao trat seinen Siegeszug an.

Eine wichtige Rolle spielte dabei vermutlich der bis heute operierende Likör-Gigant Bols aus Amsterdam. Das Unternehmen war bereits 1575 gegründet worden. Lucas Bols, geboren 1652, lebte im sogenannten Goldenen Zeitalter der Niederlande, einer wirtschaftlichen und kulturellen Blütezeit des Landes als weltumspannende See- und Handelsmacht, von der auch er mit seiner Firma profitieren sollte. Er pflegte gute Verbindungen sowohl zur West- als auch zur Ostindien-Kompanie, über die er die meisten Zutaten für seine Liköre bezog. Bereits im 17. Jahrhundert entwickelte er anscheinend selbst ein Rezept, bei dem das Öl der Laraha die tragende Rolle spielte – und damit wahrscheinlich den ersten kommerziellen Curaçao.

Von der Urform zur Verfeinerung

Die Entstehungsgeschichte ist damit noch nicht zu Ende erzählt. Die Niederlande kontrollierten im 19. Jahrhundert auch in Frankreich den Handel mit Weinen und Spirituosen auf der Loire. 1834 erfand der frisch mit einer Holländerin verheiratete Bonbon-Hersteller Jean-Baptiste Combier in seinem Süßwarenladen in der Rue Saint-Jean im westfranzösischen Saumur einen kristallklaren Likör, den er mit den Schalen bitterer und süßer Orangen aus Haiti aromatisierte. Der holländische Curaçao dürfte ihm natürlich bekannt gewesen sein, allerdings erkannte er wohl Verbesserungsmöglichkeiten. In seiner Ausbildung hatte er gelernt, Bonbons mit Likören zu füllen, weshalb er einen Destillationsapparat sein Eigen nannte, um die Liköre selbst herstellen zu können. Combier ist somit ziemlich sicher der Erfinder eines Stils, der später als Triple Sec weltberühmt werden sollte.

Das 1849 gegründete Haus Cointreau reklamiert für sich, zumindest den Begriff erfunden zu haben. Was er genau bedeutet, darüber herrscht Uneinigkeit. Eine mögliche Erklärung lautet, „Triple“ rekurriere auf drei unterschiedliche Sorten Orangenschalen, die in die Herstellung involviert sind: Schalen getrockneter Bitterorangen, getrockneter süßer Orangen sowie Schalen frischer süßer Orangen. Eine andere Theorie erklärt den Begriff mit den lediglich drei Verwendung findenden Zutaten Alkohol, Orangenschalen und Zucker. „Sec“ wiederum sollte vermutlich auf den niedrigeren Zuckergehalt hinweisen, den das Produkt im Vergleich zu vielen Mitbewerbern aufwies und es trockener machte. Cointreau erklärte die geringe Menge Zucker mit der hohen Qualität seines Neutralalkohols, die den Verzicht auf zu starke Süßung erlaubte, da im Produkt keine Fehler oder mangelnde Finesse kaschiert werden mussten. Aufgrund zu vieler Nachahmer entfernte Cointreau das „Triple Sec“ jedoch irgendwann zwischen den beiden Weltkriegen von der Flasche.

Die zweite French Connection

Eine zweite in Frankreich entstandene Variante der Verfeinerung setzt nicht auf Neutralalkohol, sondern auf Eau-de-vie aus Trauben. Die eigentliche Besonderheit stellt eine von französischen Brenner:innen gerne angewandte Technik dar, die sich mise en valeur nennt, was frei übersetzt soviel wie „Betonung“ bedeutet. Damit gemeint ist eine Technik, bei der andere Zutaten nur deshalb eingesetzt werden, um den Charakter der Hauptzutat zu unterstreichen. In der Calvados-Herstellung werden beispielsweise gerne geringe Mengen Birne mit eingemaischt, Birnenliköre bekommen bisweilen einen Hauch Quitte an die Seite gestellt. Diese Supplemente sind im Endprodukt dann zwar nicht konkret erschmeckbar, sorgen aber für ein prononcierteres geschmackliches Gesamtbild. Bei der Curaçao-Herstellung kommen zur Unterstreichung der Orange dann z.B. Walnussschalen, Mandeln oder Pflaumen zum Einsatz.

Triple Sec? Curaçao? Crème d’Orange? Wir brauchen Klarheit!

Den meisten Triple Secs und Curaçaos ist gemein, dass die verwendeten Bitterorangen noch grün, also unreif, geerntet werden, da im Laufe des Reifungsprozesses ein Teil ätherischen Öle aus der Schale ins Innere der Orange wandern. Da nur die hocharomatischen Schalen in der Produktion eine Rolle spielen, wird dies durch eine verfrühte Ernte verhindert.

Ich selbst habe in den vergangenen Jahren „Curaçao“ als generischen Begriff für Orangenliköre jedweder Art verwendet, deren Geschmack herb, süß, bitter und – natürlich – orangig war. Da Curaçao aber, wie bereits ausgeführt, durchaus auch als Unterbegriff taugt als eine mögliche Ausprägung eines Orangenlikörs, bin ich dazu geneigt, das zu überdenken. Die andauernde begriffliche Verwirrung hat auch mit der Regulierung von Orangenlikören zu tun, oder besser: mit deren Abwesenheit. Weder bei Curaçao noch bei Triple Sec handelt es sich um eine geschützte Herkunfts- oder Qualitätsbezeichnung. Prinzipiell dürfte sich jedes Produkt Triple Sec oder Curaçao nennen – es müsste sich dabei nicht einmal einen Orangen-Likör handeln! Ziemlich unbefriedigend. Ich wage deshalb eine in meinen Augen für die Bar probate Unterscheidung der beiden wichtigsten Ausprägungen auf eigene Faust.

Erste These: Triple Sec basiert i.d.R. auf (häufig aus Zuckerrüben gewonnenem) Neutralalkohol. Nach einer Mazeration der Schalen wird das Mazerat erneut destilliert und im Anschluss mit Wasser, eventuell zusätzlichem Neutralalkohol und Zucker geblendet. Er ist deshalb in der Regel farblos und weist ein klares Geschmacksprofil auf, sauber und intensiv nach Orange und vor allem Orangenzeste schmeckend. Dabei ist er verhältnismäßig trocken. Typische, empfehlenswerte Beispiele dafür wären etwa Combier L’Original oder Cointreau.

Curaçao hingegen kann auch (muss aber nicht zwingend) ein aromatisches Destillat – z.B. Cognac, Brandy oder Rum – als Basis haben und nennt neben Orangenschalen oft auch andere Gewürze und Kräuter in der Zutatenliste sein Eigen (oft Koriander). Er ist deshalb häufig subtiler im Geschmack, dafür aber auch mehrdimensionaler, was ihn auch eher zum etwaigen Purgenuss qualifiziert. Während Triple Secs grundsätzlich über weniger Zucker verfügen, existieren beim Curaçao mehrere Abstufungen, die von sehr süß (doux) bis trocken (dry) reichen. Empfehlenswerte Produkte wären z.B. der Dry Curaçao von Ferrand, Grand Marnier oder Clément Créole Shrubb.

Die Vielfalt macht den Zauber

Um das klarzustellen: Keine der beiden Kategorien ist besser oder schlechter. Es handelt sich schlichtweg um zwei unterschiedliche Stile und das bedeutet wiederum, dass es, wenn wir ehrlich sind, mit nur einem Orangenlikör in der Bar wohl nicht getan ist. Für beide gilt übrigens: In jedem Falle sollte man ein Produkt mit mindestens 38% Vol. wählen und nicht sparen wollen! Zweite These: Drinks mit klaren Spirituosen (z.B. Margarita oder White Lady) verlangen eher nach einem in seiner Aromatik helleren, reineren Triple Sec, während man bei Drinks mit gelagerten Spirituosen (Mai Tai, Sidecar) besser mit dem Einsatz eines Curaçaos beraten ist.

Oh Mann, wir haben noch gar nicht über Rezepte gesprochen! Harry Johnson gibt übrigens tatsächlich einen Baröffel Curaçao in fast jeden Drink. Kann man machen bzw. sollte man auf jeden Fall wenigstens mal ausprobiert haben! Macht nicht nur einen Manhattan breiter und brighter. Dann eine Zitronenzeste drüber, no drop — Garnish gibt‘s gar nich‘! Geiler Drink!

Oder einfach mal, wie weiter oben schon einmal angedeutet, ein Gläschen davon pur trinken, wie Sherlock Holmes in Arthur Conan Doyles The Adventure of the Bruce-Partington Plans. Dort bestellt der Meisterdetektiv im November 1895, während draußen dichter Nebel durch die Gassen Londons wabert, in einem Restaurant in der Gloucester Road Kaffee und dazu Curaçao für Watson und sich.

Würde heute leider keinem mehr einfallen. Würde ich aber gerne mal machen!

Dieser Text erschien ursprünglich in der Print-Ausgabe 2-2021 von Mixology. Für diese Wiederveröffentlichung wurde er minimal gekürzt und angepasst. Information zur Bestellung einer Einzelausgabe findet sich hier, Information zu einem Abonnement findet sich hier.

Credits

Foto: Editienne

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