NATURAL BORN FILLER: WAS PASSIERT MIT LIMONADE?
Sie versprechen Geschmacksexplosionen und Mixability. Im Wochentakt kommen neue Filler und Spielarten der Limonade auf den Markt. Kühle Verheißung oder leere Versprechen? Der Markt der Filler verhält sich in etwa proportional zu dem Segment der Gins. Wie aber nimmt der Konsument die Limonaden wahr? MIXOLOGY ONLINE mit einem Streifzug durch deutsche Bars.
Sie sind vermeintlich innovativ und haben nicht selten wahnwitzig klingende Namen: neue Filler und Limonaden. Immer häufiger jedoch halten die Ankündigungen dem Test auf dem Gaumen nicht stand. Zudem sind sie oft schwer integrierbar im Baralltag und Barmenü, was vermehrt zur Folge hat, dass die Start-Ups und hip erscheinenden Produkte anschließend gegen traditionelle Bench-Marks und Industrie-Riesen verlieren.
Woran jedoch liegt diese Präferenz und scheinbare Alternativlosigkeit in den deutschen Bars – und gibt es Innovationen, die sich in den letzten Jahren einen Weg durch die Vormacht jener bekannter Filler gebahnt haben? Wie nimmt der Konsument Limonade im Jahr 2016 wahr? Sind sie überhaupt noch gefragt in Zeiten, in denen der Trend zu hausgemachten Infusionen, Sous-Vide und Roto Vap geht? MIXOLOGY ONLINE hat sich mit einigen Bartendern aus Deutschland unterhalten und sondiert.
LemonHate oder Lemonade?
Eric Bergmann bricht eine Lanze für innovative Hersteller von Limonade und führt unterschwellig mit an, dass die Präferenz der Großen oftmals abhängig ist von ihrem Image, Branding und der gezielten Beeinflussung anderer Bars und Industrie. Festmachen tut er dies am Beispiel des Dry Tonics von Schweppes, einer „großen Innovation“. „Es wurde höchste Zeit, das eigentlich unbegründete, verstaubte Image vom Indian Tonic, welches in den Augen vieler Hipster und Neu-Gin&Tonic-Lover als Standard nicht gut genug ist, aufzuwerten. Solch Leuten kann ich nur ein Blind-Tasting mit unterschiedlichen Tonics und Gins empfehlen. Hier könnte die eine oder andere Überraschung schlummern!“
Lassen wir uns also aktiv durch Bar-und Nachtleben-Propaganda manipulieren und vom medialen Marketing der Industrie einlullen, oder sind gewisse Benchmarken einfach nicht aus der Bar von heute wegzudenken? Letztlich auch immer eine Frage der konzeptuellen Gestaltung einer Bar und dem Credo des Barchefs. Kersten Wruck, regulärer Gast beim MIXOLOGY TASTE FORUM, beispielsweise ist großer Verfechter innovativer Ideen und experimentiert häufig selbst mit neuen Fillern. „Selo Soda gefällt mir sehr gut, auch die Sanddornlimonade von Vielanker oder Mystik Mango von Thomas Henry. Sehr groß bei mir persönlich ist Paloma, da man damit viele Drinks mit verschiedensten Geschmacksprofilen zaubern kann“.
Jonas Hald aus dem Stuttgarter Le Petit Coq kann der Verwendung unterschiedlichster Filler für Cocktails nicht zustimmen. „Gekaufte Limos spielen bei uns eigentlich nur bei Longdrinks eine Rolle. Ginger Beer und Tonic natürlich. Selbst Ginger Ale, Cola und Grapefruitsoda brauchen wir verschwindend wenig“. Schuld daran sei das Konzept, dass möglicherweise von „aufgesprudelten Drinks weglenke“, aber auch die Gäste selbst, die „möglicherweise fokussierter trinken wollen“.
Limonade: Wo, wenn nicht hier?
Ist es also das Zusammenspiel aus Klientel und Konzept, dass die Verwendung neuer Filler fördert oder eben einschränkt und den Markt bestimmt? Eine nicht leicht zu beantwortende Frage, denn keine Gästestruktur ist vollends homogen, und nicht jeder Gast verhält sich bei Bestellung immer dem äußeren Phänotyp entsprechend gleich.
Und somit ist es vielleicht auch eine Frage der Stadt, in der man sich aufhält. Christoph Henkel aus der elegant-modernen Kölner-Bar Shepheard beispielsweise arbeitet gerne mit innovativen Produkten. „Unter anderem haben wir Cloudy Lemonade von Ben Shawn oder Dendalyan and Burdock, eine Kräuter-Limo mit Löwenzahn. Generell sollten sie eben gut mixbar sein und die Hauptzutaten des Drinks nicht überreizen“ Auch Felix Reimer aus der LiQ-Bar in Düsseldorf erwähnt die Existenz von Nischen-Fillern. „Wir haben jetzt aktuell einen neuen Drink auf der Karte, bei dem wir zum Beispiel das Soul Soda Veilchen verwenden“
Doch geht der Trend wohlwissend in Richtung hausgemachte Zutaten, so dass nicht selten auch selbsthergestellte Limonaden in gehobenen Bars Gang und Gäbe geworden sind. Lukas Motejzik aus dem Zephyr und Herzog in München sieht in ihnen den Vorteil der positiven Abgrenzung von der Konkurrenz. „So hat man außerdem die Möglichkeit, sich und sein Konzept vielleicht hervorzuheben. Hausgemachte Limonade ist daher für mich spannender, innovative Hersteller nutze ich gerne als Inspiration. Für das Herzog wollte ich aber unbedingt meine Idee von eigenen Fillern aus der Soda-Gun umsetzen. Es sind keine ‚hausgemachten Limonaden’, sondern Sirups, die ich mit einem Fabrikanten zusammen nach unseren Vorstellungen entwickelt habe. Wir filtern Leitungswasser, karboniseren es und geben den Sirup hinzu“. Er spielt damit auch auf nicht unwesentliche Gründe wie die Wirtschaftlichkeit und den Umweltschutz an. Auch spare man erheblich Zeit bzw. Personalkosten bei der Entsorgung des Leerguts.
Nun ist die Herstellung der eigenen Limonade allerdings auch ein Vorhaben, das mit erheblichen Risiken verbunden ist und unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten desaströs enden kann. Eric Bergmann ist sich sicher: „Klar sind selbsthergestellte Limonaden eine Referenz, aber gehen wir den Gedankengang mal weiter: Ich stelle eine Limo her. Es gibt drei Möglichkeiten. Erstens: Das Produkt ist nicht gut genug und interessiert daher niemanden. Zweitens: Meine Gäste und Kollegen finden es toll, aber ich möchte die Exklusivität für mich behalten. Drittens: Ich möchte mit meiner Idee Geld verdienen, oder vielleicht bin ich sogar so von meiner Idee überzeugt, dass ich anderen die Möglichkeit geben möchte, mein Produkt zu verarbeiten“. Daneben sieht er das Problem der qualitativ konstanten Umsetzung des Fillers und auch den erheblichen zeitlichen Aspekt der Vorbereitung. „Nicht jeder kann sich den Luxus leisten, eine Vorbereitungsschicht in seinen Tagesablauf einzuplanen.“
The Bigger, the Better
Die Bereitschaft, mit jungen Produkten gegen die alten Benchmarks vorzugehen, ist also durchaus da, gerade weil sich die gehobene Barkultur seit einigen Jahren vermehrt durch die Kreativität ihrer Barleute auszeichnet. Dieser Prozess ist jedoch eher eine Symbiose zwischen Gast und Barmann. Der eine wird durch den anderen befeuert und dazu bewegt, neue Wege zu gehen, neue Dinge auszuprobieren. Letztlich also immer abhängig von der bestehenden oder eben ausbleibenden Nachfrage, die bestimmt, welcher Filler benutzt wird, und welcher in den Untiefen der Barmodule verharren muss.
Und damit also eine Angelegenheit der Industrie. „The Bigger, the Better“ das Motto, das Budget hierbei Dreh-und Angelpunkt. Je stärker eine Limonade beworben, je größer der Marketingaufwand betrieben wird, desto eher kommt sie in die Köpfe der Konsumenten und auf die Bons der Bartender. Eine Herkulesaufgabe, der Start-Ups und kleine Limonadenhersteller nicht gewachsen sein können, ein Problem, das nicht schulterbar ist.
Und auch wenn die Bartender dieser Welt noch so versuchen, diese kleinen Marken zu bewerben und im wahrsten Sinne des Wortes schmackhaft zu reden, so ist doch der Endkonsument häufig viel zu befangen und durch das „Fach-Chinesisch“ des Bartenders verwirrt, so dass er sich nach bekannten Ufern sehnt und die Experimentierfreude dem sanft-wiegenden Gefühl von Sicherheit weichen lässt.
Ob hausgemacht oder klein-industriell, neue Limonaden wird es immer geben. Sie bilden zwar nicht unbedingt den Fokus des jeweiligen Etablissements, doch sind sie allein für Klassiker unverzichtbar. Wie und in welcher Form sie nachgefragt werden, ist abhängig von vielen unterschiedlichen Faktoren. Aufgeschlossenheit des Gastes, Konzept der Bar, persönliche Überzeugung des Bartenders oder industrielle Verträge. Vielleicht verhält es sich ja irgendwann wie mit dem Gin Basil Smash von Jörg Meyer: Die Geburtsstunde des bewussten Umgangs mit Kräutern in Drinks, eine Entwicklung, die erst Trend und heutzutage Qualitätsmerkmal einer Bar ist. So könnten auch Bartender mit innovativen Fillern in ihrem modernen Klassiker den Markt ähnlich tornadomäßig durchqueren und damit für frischen Wind sorgen. Es braucht eben nur einen Pionier.