Feine Weine in Athen: Mit dem Line gehen die The Clumsies-Macher neue Wege
Mit dem Line haben die Macher hinter dem The Clumsies eine neue Bar eröffnet. Gleich vorneweg: Es ist alles andere als ein Abklatsch ihrer berühmten Bar. Sondern eine eigenständige Nachbarschaftsbar abseits des Athener Epizentrums, die stark auf Fermentation und Nachhaltigkeit angelegt ist. Das Ergebnis kann sich sehen lassen.
Ach, Athen, du Einzigartige, die du Cocktailreisende aufs Trefflichste verwöhnst, welche oftmals an Berlin verzagen, weil es sie nötigt, mehr Geld in den Taxis als in den Bars zu lassen … dich zu durchschlendern und fußläufig von einer Vorzüglichkeit zur Nächsten zu gelangen und dabei neue Bekannte wie alte Freunde zu grüßen – ja, man muss dich einfach lieben. Gerade wenn man dich nicht als Autofahrer kennenlernt. Aber warum sollte man auch mit dem Auto unterwegs sein, wenn man hauptsächlich der Bars wegen da ist?
Bartechnisch hat Athen seit Jahren seinen festen Platz im Götterhimmel der Mischgetränke, mit der Besonderheit eben, dass man den Olymp in die Altstadt hinunter verlegt hat. Daiquiri im Baba au Rum, hochspaziert in die Barro Negro, dann ums Eck ins The Clumsies – alles liegt so praktisch nah beinander, und die unerfreuliche Kalorienverschwendung auf dem Weg von Tresen zu Tresen hält sich in Grenzen.
Das Line ist in einer ehemaligen Galerie angesiedelt
Wenn nun aber die Macher des The Clumsies ein neues Lokal eröffnen, dann ist das auf jeden Fall einen Besuch wert, selbst wenn man dafür aus dem eigentlichen Epizentrum ein halbes Stündchen hinaus in den Stadtteil Petralona wandern muss, vorbei an alten und neuen Häusern und antiken Resten, die sich da häufen wie bei uns die Auobahnbaustellen.
Muss man betonen, dass sich der Weg lohnt? Eigentlich nicht. Die wissen da schon, was sie machen, und das merkt schon man nach wenigen Schritten, die man hinein ins LINE getan hat. Ein weiter, hoher Raum tut sich auf, der in seiner Großzügigkeit schwer im Zentrum Athens denkbar wäre. 160 Sitzplätze sind nicht nur für eine Großstadt wie Athen eine Nummer. Früher beherbergte der Ort eine Galerie – und eigentlich tut er das jetzt wieder, möchte man sagen, nur sind die Ausstellungsgegenstände mittlerweile flüssig und zum Verzehr freigegeben.
Für so eine Location kann man sich schon mal ein bisschen aus dem Stammrevier hinauswagen. „Es ist ja nicht so, dass es außerhalb des Zentrums keine guten Bars gäbe. Ich schätze, es sind so um die 20 Bars in Athen mit tollen, kreativen Bartendern und sehr guter Qualität. Die werden nur leider nicht so bemerkt. Das Zentrum ist eben schon ein starker Magnet,“ sagt Nikos Bakoulis, Mitbegründer des The Clumsies und zusammen mit Dimitris Dafopoulos und Vasilis Kyritsis Betreiber des LINE. „In dieser Gegend sind wir die einzige Bar, und die Nachbarn haben uns von Anfang an mit offenen Armen aufgenommen. Wir öffnen, wie viele griechische Bars, schon vormittags, und die Gäste nutzen das seit der Eröffnung sehr rege.“
Natürlich: Sustainability. Schwerpunkt: Fermenation
Aber braucht denn das Clumsies eine Nachbarschaftsbar, sei sie auch noch so groß, als Zweigstelle? „Das hier ist nicht Clumsies zwei, das ist eine völlig eigenständige Angelegenheit. Vor zweienhalb Jahren haben Vasilis und ich darüber nachzudenken begonnen, was der nächste Schritt sein könnte, sowohl für uns selbst als auch für die Branche allgemein, in Bezug auf einen nachhaltigeren Weg.“
Ach ja, „Sustainability“, der mittlerweile unausweichliche Siegerbegriff beim alltäglichen Barbusiness-Scrabble. Ist super, ist wichtig, hat man heute so, aber regt jetzt auch nicht automatisch zu frenetischer Begeisterung an. „Sustainability und Zero Waste heißt für die meisten doch nur, dass man schaut, was man aus den Zutaten, die übriggeblieben sind, noch machen kann. Das ist nicht schwierig. Aber im Grunde muss man hinaus zu den Erzeugern und sehen, was die da machen. Es war dann recht schnell klar, dass der Schwerpunkt des LINE in der Fermentation liegen wird.“
Das hat nun zur Folge, dass man sich irgendwie in einer Bar mit vielen Weinen, aber ohne Traubenerzeugnisse wiederfindet. Aber gut, wer braucht schon Trauben für seinen Wein? In der Vorbereitungsküche (eine massive Verniedlichung der Örtlichkeit, aber den Begriff „Lab“ scheut man sympathischerweise) köchelt und gärt und klärt es nur so vor sich hin, und dann kommen da ganz außerordentlich schmackhafte Weine heraus – Weine aus Äpfeln, Feigen, Honig oder Granatäpfeln. Fruchtig, komplex, intensiv; pur, im Aperitiv oder im Cocktail, wahrhafte Multitalente.
„Die Fruchtweine sind auch im Kontext dessen zu sehen, was in den traditionellen Weinregionen passiert: Die Champagne wird zu warm für den benötigten Charakter der Grundweine, in Bordeaux müssen die Rebstöcke mit Feuer gewärmt werden – der Klimawandel lässt nichts so, wie es war. Viele glauben, dass in 15, 20 Jahren ein Chardonnay nicht mehr wiederzuerkennen sein wird, weil er unfassbar technisch geworden ist; weil er aus dem Labor kommt anstatt aus der Erde. Und auch darin liegt der Grund für unsere Fruchtweine: Der Rebstock wurzelt nur etwa eineinhalb Meter tief, während sich die Obstbäume das Wasser aus fünf, sechs Metern Tiefe holen können. Und wir schließen fünfjährige Verträge mit den Bauern ab – bislang war das oft so, dass die ihre Produkte an den Großhandel geliefert haben und erst
Wahrhaft Wurzeln schlagen
Mit längerfristigen Verträgen haben Bauern auch wieder die Möglichkeit, Sorten jenseits der Supermarktkompatibilität anzubauen. Aber kann denn eine Bar wirklich alte ökonomische Strukturen aufbrechen? Nun, jede Bar bestimmt nicht. Beispielsweise geht das Little Red Door in Paris mittlerweile auch hinaus zu den Erzeugern, aber um da etwas zu bewegen, braucht man natürlich auch eine gewisse Schwungmasse; für PaulasPilsPinte lohnt es sich meistens nicht, eigene Zitronenhaine anzulegen.
Dem LINE ist diese Schwungmasse jedenfalls zuzutrauen; die Macher verstehen das Geschäft, und zwar buchstäblich von der Wurzel bis zur Granne. Die Weine (bzw. „Why-in?“e; wir erinnern uns an Vurst und Vnitzel) werden auch flaschenweise verkauft, der Wermut der Bar entsteht daraus (der süße Wermut auf Basis von Granatapfelwein, der trockene auf Wein von grünen Äpfeln – toll im Martini), und die bartechnischen Möglichkeiten sind grenzenlos.
Das Line möchte autark sein
Das LINE hat einen Grundstein gelegt, der für ein Bauwerk über die Bar hinaus dienen kann und soll. In Bälde werden die Sonnenkollektoren installiert sein, womit man zu 80 Prozent autark sein wird. Wenn die erstrebten Mengen in der Saftproduktion erreicht werden, geht man das mediterran-typische Plastikflaschenproblem an. Schritt für Schritt gegen neue Fehlentwicklungen und alte Unsitten.
Ein wenig Frustration klingt schon mit, wenn Vasilis Kyritsis über den Zustand des Landes spricht, der nicht nur viel besser sein könnte, sondern müsste; über die Regierungen, aber auch über die Menschen, die sich nur ungern von ihren Gewohnheiten lösen und etwa nach wie vor unbeirrt alleine in ihren Autos die Athener Straßen verstopfen, weil sie das halt immer schon so gemacht haben.
Die Macher des LINE gehören zu den Griechen, die wissen, dass diese Zeiten eigentlich lange vorbei sind, und sie arbeiten dagegen an, mit den Waffen der Qualität und der Gastfreundschaft. Die vorzügliche Küche macht jetzt auch Sauerteigbrot, womit einer der letzten Gründe entfallen ist, in Deutschland wohnen zu bleiben. Nun, es sieht ohnehin so aus, als müssten wieder einmal die Bartender die Welt retten. Recht so. Mich stimmt das optimistisch.
Credits
Foto: Line