Was ist da Loos? Wiener Karten-Revolution
Muss man über den Wechsel der Cocktail-Karte schreiben? Wenn es sich um die seit 1908 bestehende Loos-Bar handelt, sicherlich. Das „Museum, das Drinks ausschenkt“ hat nach langem eine neue. Und sie zeigt sich zum Geburtstag seiner Chefin auf der Höhe der Zeit.
High Noon mit Teleobjektiv: Zwei Minuten nach 12 Uhr stehen schon die ersten Touristen im schummrigen Licht der weltbekannten Loos Bar. Breitbeinig stapfen sie mit Blick auf die Onyx-Platten durch den Raum, als wäre er eine Galerie.
In gewisser Weise stimmt der Vergleich. Das vom Bilderstürmer Adolf Loos („Ornament und Verbrechen“ hieß seine Streitschrift, „Baue nicht malerisch“ seine Devise) entworfene Interieur ist ein Stück Design-Geschichte. Allerdings kein Exponat. „Wie wär es mit einem Kaffee?“, macht man den Touristen in einem Satz klar, dass man von Verkauf lebt und nicht vom Ruhm. „This is a fully operating bar“, lautet diese charmante Zurechtweisung für das internationale Publikum. Und der Espresso von Roman Schärfs „Daniel Moser“-Rösterei, ist nach wie vor top.
Stil heißt hier nicht Lifestyle
Schärf, der auch ein Café in der Rotenturmstraße führt, und Marianne Kohn, seit 1995 die „Loos“-Chefin, haben den Sprung Wiens von der grauen Stadt des Kalten Kriegs in eine lustvolle City mitbegleitet. Für etliche waren ihre Drinks und die Gespräche dazu der Stupser über den Tellerrand, die Starthilfe in ein Leben ohne Tunnelblick. Seither ist viel passiert, immerhin feiert Kohn gerade den 70. Geburtstag.
Aber die Bar blieb ein Fixpunkt für die kleinen Fluchten einer Klasse, die Stil hat und sich weigert, das als Lifestyle zu bezeichnen. Eben verlässt der adelige Schriftsteller den kleinen Barraum, kurz darauf kommt die Händlerin teurer Natur-Parfüms. Ihnen, den Habitués der Loos, wird die Barkarte nicht gereicht. Für alle Unentschlossenen bietet sie aber viel Lesestoff.
Heimarbeit des Nicht-Mixologen
Denn die gut 40 Seiten sind nun nach Spirituosen sortiert, „in jeder Kategorie findet sich bewusst eine vergessene Rezeptur“, schildert Peter Kunz die Idee. Der „Martinez“, der „Sherry Cobbler“ und auch Eggnogs begegnen einem, knapp dargestellt, auf der Karte. Eigenkreationen kennzeichnet ein Sternchen, „mehr als zehn sind das aber nicht bei uns“. Novizen können sich mit dem Label „Bartender’s Choice“ weiterhangeln. Das sind Specials, aber auch ein Tasting-Flight aus drei Gins oder Whiskies werden geboten. Kunz, der umfassend ausgebildete Bartender, der in jungen Jahren schon im Münchener Schumann’s gastierte, hat einige Ideen eingebracht in die neue Karte. Der „Yellow Boxer“ beispielsweise ist eine kleine Verbeugung Richtung Schumann. Die Kollegen im Bar-Team nennen ihn privat schon mal „unseren Mixologen“, auch wenn der gebürtige Wiener Neustädter den Begriff nicht allzu sehr mag.
Aber immerhin kocht er schon einmal daheim die Ananas-Kokosmilch-Infusion ein oder setzt den Biersirup an, der dem „24 Gents“ das Aroma gibt, seinem Siegerdrink des nationalen „Mixed London“-Bewerbs von Beefeater Gin. Auch der Beeren-Shrub für den „Ardberry Mule“ entsteht in Heimarbeit. Denn die kleine Loos-Bar erlaubt keine Technik-Exzesse: Auch bei den neuen Drinks war wichtig, dass sie auch im größten Stress funktionieren. Auf selbst gemachter Grenadine – „da hab ich 100% Granatapfel, das ist bei den klassischen Drinks wichtig“ – besteht er aber.
Bekannte und kleine Änderungen
Unter den gut 100 Drinks finden sich z.B. mit dem „Estilo Viejo“, einem „Old Fashioned“ mit Tequila und Aperol-Grapefruit-Espuma, auch kreative Twists. Beim Schmökern geht es einem aber eher wie auf einem Bahnhof, in dem laufend alte Bekannte vorbeilaufen: Gin Daisy, Bloodhound, Mary Pickford, viele davon hätte wohl auch Adolf Loos selig noch gekannt. Beim „Corpse Reviver“ oder dem „Philadelphia Fish House Punch“ (merke: Tiki-Time in der Loos!) hätte er wohl gestutzt.
Was hätte der Modernist Loos zu einem Craft Beer wie dem Eggenberger „Samichlaus“, in einer intelligenten 5 cl-Portion serviertes Starkbier mit Pumpernickel-Kakao-Touch, in seiner Bar gesagt? Wir wissen es nicht, doch den strengen Architekten beruhigt Kunz im fiktiven Dialog: „Wichtig ist der Bezug zum Ursprung der Cocktailgeschichte“. Auf einen „Aviation“ könnten sich die Herren also wohl einigen – allerdings ist auch der ab sofort „Bottle Aged“ im Kärntner Durchgang.
Credits
Foto: Robin Roger Peller