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Ziemlich bittere Freunde: Die Loretta Bar in München

Austarierte Besetzung, profundes Handwerk und eine sich nie in den Vordergrund spielende Regie: die Münchner Loretta Bar macht vieles richtig. Für das i-Tüpfelchen sorgen ein Cognac-Schwerpunkt, eine der größten Weinkarten der Stadt und ein Schrank voller Amaros. MIXOLOGY ONLINE zu Besuch bei einen sympathischen Geheimtipp.

Es gibt Menschen, die gerne in Bars gehen, weil dort jeder eine Geschichte zu erzählen hat. Und es gibt jene, die man dort antrifft, weil sie für ihre Anekdoten ein dankbares Publikum suchen. Dieses Zusammenspiel aus Kurzweiligem, Koinzidentem und Unerhörtem wird – auch und gerade in Bars – immer wieder empfindlich gestört. Durch den jungen Gutverdiener, der den Autoschlüssel auf den Tresen knallt und forsch nach der Ginkarte verlangt, während seine Size-Zero-Freundin von Fellini-esken Ausschweifungen aus Sahne, Kirsch und Kokos träumt. Vom gescheiterten Szeneautor mit Alkoholproblem, der nicht merkt, dass sich seine Erzählungen seit zwanzig Jahren stets um ein und dieselbe Hauptperson drehen, die mit jedem auch nur angedeuteten Nein immer übergriffiger wird. Und natürlich von Barcrews, denen die einschlägigen Auszeichnungen derart zu Kopf gestiegen sind, dass sie sich mitunter gerieren wie eine Mischung aus den Daltons, Ice T’s Copkiller und Ignatius von Loyola und darüber den Gast – und das Mixen – aus den Augen verloren haben.

Das Geheimnis des Erfolges

Umso mehr müsste man bei der Loretta Bar in der Müllerstraße 50, diesem wirklich besonderen Ort der Münchener Ausgehlandschaft, erst einmal damit anfangen, was sie nicht ist, bzw. was einem dort nicht droht, vorzufinden. Von außen wirkt das Lokal mit seinen feuchten und von gelbem Licht durchtränkten Schaufenstern noch wie ein kleines Tagescafé, das sturmfrei hat und partout nicht ins Bett will. Im Lokal eingetreten, wandert der Blick über ein angenehm normalverteiltes Publikum aus alters- und trendresistenten Akademikern, junger Bafög-Bohème und vereinzelten Kreativen. Robuste, helle Holzbänke, kleine Designelemente aus den 60ern, italienische Schlagermusik – so könnte das Werkstattcafé eines autonomen Theaterprojektes aussehen. Sympathisch eben und durchaus einladend, aber „rien de spécial“. Was also ist das Geheimnis?

Die Antwort bedarf ebenfalls einer Metapher aus dem Theater: austarierte Besetzung, profundes Handwerk und eine stringente, sich nie in den Vordergrund spielende Regie. Beginnen wir mit der Karte: Durchwegs verzichtet wird auf Szenespirituosen, Sahne, Sirups sowie industrielle Zutaten. Dafür kommen neben einem überraschenden Cognac-Schwerpunkt auffällig viele selbstangesetzte Infusionen, Mazerate und Marmeladen zum Einsatz, die jedoch nie um des Effektes willen ins Glas gelangen, sondern konsequent auf einen Parameter zugeschnitten sind, der auch die Philosophie des Lokals bestimmt: Balance. Sei es ein klassischer Vieux Carré oder eine Variation von Chambord, Gerstenmalzbrand, Bitters und St.Germain – alle Drinks ergeben Sinn und haben ein klar definiertes Zentrum, das mal harmonisch, mal differenziert umspielt wird.

Ein Publikum, das sich nicht wichtig nehmen will

Kristijan Krolo, Barchef und neben Florian Rath einer der Betreiber der Loretta Bar, legt Wert darauf, sein kundiges Team (by the way: die sympathischsten Bardamen Münchens) dergestalt an Gast und Getränk auszubilden, dass es auch ohne einen echten Patron funktioniert. Im persönlichen Gespräch indes enthüllt der gebürtige Kroate ein ebenso atemberaubendes wie freundlich vermitteltes Wissen von Zutaten, Rezepten und Spirituosenvarianten, dass man auf seltsam angenehme Weise beschämt wird, sich in Sachen Barkenntnis je zu weit aus dem Fenster gelehnt zu haben.

Überhaupt, so manches fühlt sich angenehm an. Das Publikum, das sich, ganz untypisch für München, partout nicht wichtig machen will. Die Speisekarte, die, zunächst etwas unspektakulär, zu später Stunde ebenso preiswert wie lebensverlängernd wirkt. Der Service, flink, freundlich und durch die Bank mit einem wohltuenden Augenzwinkern gesegnet. Das alles geschieht in einer Atmosphäre, von der sich manches Etablissement, von dem man das Gefühl hat, als würden lebendige Aale auf dem Metalltresen seziert, eine Scheibe abschneiden könnte. Und auch wenn die Loretta auf derart klinisches Hohepriestertum verzichtet, so hat doch auch sie ihr ganz eigenes Tabernakel, ihren ganz eigenen Altar.

Bittere Freunde der Loretta Bar

In diesem Fall besteht er aus einem gläsernen Vitrinenschrank neben der Bar, der mit einer ganzen Bibliothek historisch und geographisch bedeutender Amaros aufwartet. Selbstredend, dass auch hier konsequent auf die TV-beworbenen Marken verzichtet wird. Wie wäre es aber mit einem originalabgefüllten Cynar aus den 1960er Jahren oder einem adriatischen Kräuterlikör auf Salbeibasis? Dass diese „bitteren Freunde“ aus mehr als nur Kampfer bestehen, und – similia similibus – geradezu prädestiniert sind, die eigene, gelegentlich auftretende Bitterkeit zu kurieren, erlebt, wer nach offiziellem Lokalschluss noch in einer kleinen Runde aus Barflys, Bartendern und anderen Freunden des Hauses ausharrt. Es liegt an der vermeintlichen Unscheinbarkeit des Lokals, dass auch hier manches, was man erfährt, auf den ersten Blick überraschend wirkt: dass im Keller eine der größten Weinauswahlen Münchner Bars lagert, dass die Menge an ausgegebenen Cocktails trotz des fehlenden Hypes in der Umgebung seinesgleichen sucht, aber auch, dass es eines langen Atems bedarf, den bewussten Fokus auf Vintage-Spirituosen abseits des Hypes zu platzieren und bekannt zu machen.

Es ist bezeichnend, dass sich vor kurzem zwei Vertreter eines großen internationalen Kräuterlikörherstellers in die Loretta Bar verirrten und mit dem Barleiter ein Gespräch bis in den Morgengrauen führten. Verkauft hatten sie danach keine einzige Flasche. Gefunden aber hatten sie bayrisch-kroatische Gastlichkeit, tiefe Produktkenntnis und einen Freund, der wie die wahren, echten Freunde im Leben oft nicht am lautesten auftritt, aber für jede Laune ein freundliches Wort bereit hält. Und für die wirklich dräuenden Notfälle ein passendes, tief bittersüßes Kraut.

Credits

Foto: Foto via Shutterstock.

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