Mai Tai: Die lange Irrfahrt eines der berühmtesten Cocktails der Welt
Er ist „Mai Tai Roa Ae – nicht von dieser Welt“, so die Legende um die Kreation des Mai Tai durch Victor Bergeron in dessen Trader Vic’s in Oakland. Die Entstehung des Tiki-Klassikers ist dabei jedoch mindestens so berühmt, wie sie umstritten ist. Fakt ist: Kaum einen Cocktail gibt es in so vielen unterschiedlichen Varianten wie den Mai Tai. Dabei ist das Original vergleichsweise simpel.
Der Mai Tai ist einer der berühmtesten Cocktails der Welt. Zweifellos ist er der weltweit bekannteste Drink aus der ersten Tiki-Ära, die auf die Prohibition in den USA folgte. Bis auf seine Basis – Rum und Limettensaft – hat seine Rezeptur im Laufe der Jahrzehnte jedoch zahlreiche Mutationen erlebt.
Es gibt Mai-Tai-Rezepte, bei denen der Saft von Orangen, Passionsfrucht oder Grapefruit verwendet wird, sowie Mandelsirup, Amaretto, Falernum, Kandiszuckersirup, Vanillesirup, Orangen- oder Aprikosenlikör, Grenadine, Maraschino und manchmal auch Magenbitter zum Zug kommen. Garniert wird der Drink mit Limetten-, Orangen- oder Ananasscheiben, mit einer Kirsche, Minze, einer Orchidee, mit einem Schirmchen oder einem Swizzle Stick. Manchmal wird auch hochprozentiger Rum darüber gegossen und angezündet.
Die Geschichte des Mai Tai: Wer hat ihn erfunden?
Das ist nicht unbedingt im Sinne des Erfinders – wer auch immer das genau gewesen sein mochte. Victor „Trader Vic“ Bergeron will den Mai Tai erfunden haben, seine Rezeptur (zumindest die, die er 1972 in der revidierten Auflage von Trader Vic’s Bartender’s Books publik machte) sieht nur Rum, Limettensaft, Curaçao, Orgeat und Zuckersirup vor, garniert mit einer Limettenschale und einem Minzezweig. 1944 will er den Drink erfunden haben, hinter dem Tresen seines Restaurants im kalifornischen Oakland, als er eine 17 Jahre alte Rumflasche nahm, „einen J. Wray Nephew aus Jamaika, erstaunlich goldfarben, mittelstark, aber mit diesem für die jamaikanischen Verschnitte typischen pikanten Aroma“. Diesen vermischte er mit frischer Limette, holländischem Curaçao, einem Schuss Kandiszuckersirup und einem Tropfen französischen Orgeats, um einen leichten Mandelgeschmack zu bekommen. „Eine gute Portion geschabtes Eis und ein kräftiges Durchschütteln bewirkte die Verbindung, die mir vorschwebte.“
Die bekannte Legende will, dass er den Drink Ham und Carrie Guild, zwei Freunden aus Hawaii, die an diesem Abend zu Gast waren, probieren ließ. Carrie Guild soll nach einem Schluck gesagt haben: „‚Mai Tai – Roa Ae‘, was im Tahitianischen ‚nicht von dieser Welt‘ bedeutet.“ Dazu gibt es den – wohl auch mittlerweile ebenso berühmt-berüchtigen – Zusatz von Victor Bergeron. „Der Mai Tai ist meine ureigene Erfindung. Jeder, der etwas anderes behauptet, ist ein dreckiger Lügner.“
Auch Donn Beach erhebt Anspruch
Es ist davon auszugehen, dass Donn Beach kein Problem gehabt hat, sich in diesem Fall als dreckigen Lügner zu bezeichnen. Donn Beach, der 1933 seine Bar Don the Beachcomber in Los Angeles eröffnet hatte und somit zum Begründer von Tiki geworden war, beanspruchte nämlich ebenfalls für sich, den Mai Tai erfunden zu haben. Jeff „Beachbum“ Berry, Tiki-Experte und Verfasser mehrerer Bücher, ist dieser Frage intensiv nachgegangen und kam zu dem Ergebnis, dass Donn Beach möglicherweise einen Drink mit dem Namen Mai Tai kreiert hat – aber nicht den weltberühmten Mai Tai.
Der Mai Tai, wie er im Trader Vic ausgeschenkt wurde, könnte jedoch auch auf einen anderen von Donn Beach lancierten Drink zurückgehen, den Q.B. Cooler. In seinem Buch Beachbum Berry’s Sippin’ Safari beschreibt Jeff Berry den Q.B. Cooler folgendermaßen: „Geschmacklich weist dieses Rezept eine erstaunliche Ähnlichkeit mit Vic’s Mai Tai auf. Noch erstaunlicher ist jedoch, dass Vic den Q.B.-Geschmack mit ganz anderen Zutaten erzielte: Außer Limetten und Rum haben die beiden Drinks nichts gemeinsam“. Jeff Berry folgert daraus, dass „Trader Vic vielleicht versuchte, den Q.B. Cooler zu klonen, dabei aber eine eigene neue Formel entdeckt hat“.
Mai Tai erlangt spätere Berühmtheit
Das würde auch zu Victor Bergeron passen, der kein leiser, bescheidener und zurückhaltender Zeitgenosse war. Die Produktion des 17 Jahre alten Wray & Nephew, wie er angeblich für den ursprünglichen Mai Tai benutzt wurde, war nach fünfzig Jahren erschöpft. Der Mai Tai war dermaßen beliebt, dass Trader Vic die ganzen Vorräte an Wray & Nephew aufbrauchte, danach griff er auf eine 15 Jahre alte Version derselben Marke zurück, bis auch diese Quelle versiegte. Jeff Berry zufolge bestand der Mitte der 1950er Jahre im Trader Vic’s servierte Rum aus einer Mischung aus jamaikanischem Rum und Rum aus Martinique.
Eine Anekdote am Rande: Als Sean Muldoon, späterer Betreiber des berühmten Dead Rabbit in New York, noch Bar-Manager des Merchant Hotels in Belfast war, wurde ihm um das Jahr 2010 eine Flasche des ursprünglichen, 17-jährigen Wray & Nephew zu Testzwecken angeboten, die mysteriöserweise aufgetaucht war. Also servierte er ein paar wenigen Gästen einen Mai Tai in der ursprünglichen Originalversion. Muldoon selbst sagte damals: „Innerhalb von zwei Jahren verkauften wir zehn Cocktails zu je £ 750. Ein Kunde ist tatsächlich ein paar Monate später für einen weiteren zurückgekommen. Der letzte existierende Mai Tai ging offiziell an einen Arzt aus L.A. Er war ein Tiki-Fan und er kam nur hierher, um in den Genuss des letzten erhältlichen Mai Tais zu kommen.“
Mai Tai (Trader Vic, 1944)
Zutaten
6 cl kräftiger, gereifter Rum (im Original 17-jähriger Wray & Nephew)
3 cl frischer Limettensaft
1,5 cl Curaçao Triple Sec
0,75 cl Orgeat
0,75 cl Kandiszuckersirup (2:1 einfacher Sirup)
Die perfekte Spirituose
Weiters beschreibt Sean Muldoon den Drink mit dem ursprünglichen Rum: „Der mit 17-jährigem Wray & Nephew hergestellte Mai Tai lässt sich mit keinem anderen Drink vergleichen, den ich gekostet habe. Wenn für einen bestimmten Drink eine perfekte Spirituose konzipiert wurde, dann diese. Der Rum selbst war extrem aromatisch, reichhaltig, etwas beißend, dunkel, intensiv, abgerundet, sirupartig, rauchig – und wurde von den übrigen Zutaten, die in den Mai Tai kamen, vollkommen zur Geltung gebracht.“
Ob es sich dabei tatsächlich um den sagenumwobenen, 17-jährigen Wray & Nephew gehandelt hat, zweifelt zumindest Bar-Historiker Armin Zimmermann aus mehreren Gründen stark an. Auch der im letzten Jahr verstorbene amerikanische Autor Gary Regan probierte die mit dem 17-jährigen Wray & Nephew hergestellte Mai-Tai-Version und versuchte sie mit Hilfe eines Rezepts zu imitieren. Er beschreibt seine Vorgehensweise: „Ich wählte Rumsorten, die nach dem Mixen den kraftvollen Impuls und die sanfte Vanillenote der Trader-Vic-Originalabfüllung bewirkten, statt Curaçao nahm ich Grand Marnier – die aromatische Süße dieses Likörs macht den von Bergeron in seinem Rezept empfohlenen Kandiszuckersirup entbehrlich.“
Für Martin Cate, Besitzer der Tiki-Bar Smuggler’s Cove in San Francisco, kommt Appleton dem Original immer noch am nächsten. „Wer das nötige Kleingeld hat, ist meiner Meinung mit meinem Appleton Estate 30 Years gut bedient. Er hat einen hohen Anteil an Pot-Still-Rum, hat sich aber mit den Jahren abgerundet.“ Der Mai Tai im Smuggler’s Cove ist eine Mischung aus Appleton und El Dorado Rum.
Orgeat und andere Zutaten
Für den ursprünglichen Mai Tai verwendete Trader Vic DeKuyper Curaçao, Orgeat von Garnier und frisch gepressten Limettensaft. Die meisten bevorzugen auch weiterhin einen auf neutralem Alkohol basierenden Orangenlikör (wie z.B. Cointreau, Bols) gegenüber einem alten, auf Brandy basierenden Likör wie Grand Marnier.
Orgeat ist ein Mandelsirup, den es schon Jahrhunderte vor dem Mai Tai gab. Die kalifornische Barfrau Jennifer Colliau, die Orgeat unter dem Label Small Hand Foods herstellt, leitet das Wort von der lateinischen Bezeichnung für Gerste ab. Ursprünglich war Orgeat Gerstenwasser, das sich als haltbarer Milchersatz verwenden ließ. Um seinen Geschmack zu verbessern, wurde es mit Mandeln aromatisiert, schließlich wurde die Gerste ganz weggelassen. In der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts wurde jeder fetthaltige Sirup aus nussähnlichen Substanzen wie z. B. Kürbissamen oder Wassermelonenkernen als Orgeat bezeichnet. Daraus wurde schließlich ein auf Mandeln basierender Sirup. Um 1944 – als der Mai Tai erfunden wurde – war Orgeat aber definitiv ein Mandelsirup.
Nur wenige der industriell hergestellten Orgeatsirups enthalten jedoch wirklich Mandeln, meistens handelt es sich um ein Mandelextrakt. Einer der Gründe, warum man Orgeat selbst herstellt, ist die mangelnde Textur und der geringe Fettgehalt der fertigen Produkte. Ähnlich wie bei Absinth werden fettigen Öle wolkig, wenn Wasser hinzugegeben wird. Um diese Reaktion zu generieren, fügen manche Orgeat-Hersteller ihrem Produkt Stoffe wie fraktioniertes Kokosnussöl hinzu, das diese Trübung imitiert. Außerdem enthalten viele kommerzielle Sirupe so viel Mandelextrakt, dass jeder andere Geschmack dadurch überdeckt wird. Selbst Trader Vic bemerkte, dass er Orgeat für das „subtile Mandelaroma“ hinzufügte, und das ist eine ganz andere Sache als der alles beherrschende Mandelgeschmack, mit dem manche Hersteller aufwarten.
Ein Mai Tai ist daher ein guter Grund, selbst Orgeat herzustellen. Wer dies probiert, sollte dabei beachten, dass das Überbrühen und Schälen von Mandeln der schwierigste Teil ist. Deshalb werden häufig bereits überbrühte und geschälte Mandeln verwendet. Jennifer Colliau ist der Meinung, durch das Schälen würde der Tanningehalt in dem fertigen Orgeat verringert.
Mai Tai (zeitgenössische Version)
Zutaten
3 cl Gosling’s Black Seal
3 cl Saint James Royal Ambre 45%
1 cl Old Pascas Overproof Jamaican Rum
1,5 cl Dry Curaçao
3 cl frischer Limettensaft
1 cl Orgeat (Monin)
1 cl Demerara-Sirup
Die weltweite Geschichte des Mai Tai
Ein weiterer Grund, warum sich im Laufe der Jahre so viele Varianten des Mai Tai entwickelten, könnte im Konkurrenzdenken der Tiki-Pioniere selbst liegen: Donn Beach, Victor Bergeron und all die anderen Tiki-Barbesitzer lieferten sich einen unerbittlichen Wettkampf und hielten ihre Rezepte streng geheim. Donn Beach etwa kodierte seine Flaschenlabels, so dass nicht einmal seine Bartender wussten, was die Drinks genau enthielten. Da die ursprüngliche Mai-Tai-Rezeptur für lange Zeit ein gut gehütetes Geheimnis war, haben Bartender rund um den Globus einfach ihre eigenen Versionen erfunden.
Es ist also wenig verwunderlich, dass die Vorstellungen eines Mai Tai in späteren Jahren vor allem durch die Touristenversionen geprägt wurde, in denen entweder der Rum oder der Fruchtsaft dominiert. Spätestens gegen Ende der 1960er Jahre assoziierten Mai-Tai-Klienten mit dem Drink vor allem die Dekoration und weniger den Inhalt. Jones’ Complete Barguide von Stan Jones, ein auf Qualität bedachter amerikanischer Barführer aus dem Jahr 1977, erwähnt das 1944 veröffentlichte Mai-Tai-Rezept, führt aber auch noch drei weitere Rezepte für den Drink an. Eines davon ist ein völlig beliebiges Rezept, das nur „Rum« erwähnt, ohne zu spezifizieren; ein anderes beinhaltet ein Gemisch aus 75,5 % Vol. Rum und Grenadine, ein drittes tauscht das Orgeat durch Aprikosenbrandy aus. Charles Schumann ersetzt in seinem Buch American Bar aus dem Jahr 1991 frisch gepressten Limettensaft durch Rose’s Lime Cordial sowie Orangenlikör durch Aprikosenbrandy, hochprozentiger Rum wird neben dunklem verwendet.
Mai Tai bleibt beliebt
Wie nähert man sich dem Mai Tai aber heute, wenn man keine dreistelligen Beträge für rare Rums in dem Drink versenken will? In seiner Bar Matiki in Wien erlaubt sich Matty Vinnitski etwas kreative Freiheit für seinen Mai Tai. „Unsere Rezeptur ist 3 cl Gosling’s Black Seal, 3 cl Saint James Royal Ambre 45%, 1 cl Old Pascas Overproof Jamaican Rum, 1,5 cl Dry Curaçao, 3 cl frischer Limettensaft, 1 cl Orgeat von Monin und 1 cl Demerara-Sirup. Wenn ein eher klassischer Mai Tai gewünscht ist, nehmen wir 3 cl Saint James Royal Ambre 45% und 3 cl Appleton 12 Jahre und lassen den Old Pascas weg”, so der Betreiber der Tiki-Bar, der hinzufügt: „Der Mai Tai war bei uns im letzten Jahr auf Platz 7 der meistverkauften Drinks. Laut meiner Erfahrung bleibt er ein Klassiker. Oft wird der Drink schon bestellt, bevor der Gast überhaupt einen Blick in die Karte geworfen hat.”
Somit sind zwei Sachen sicher: Der Mai Tai und seine Geschichte werden sich nie abschließend klären lassen. Er wird aber stets einer der beliebtesten Cocktails bleiben. Man sollte nur immer darauf achten, in welcher Version man ihn serviert bekommt.
Anm.: Dieser Artikel basiert auf einem Text von Camper English, der erstmals in der Ausgabe MIXOLOGY 5/2010 erschien. Er wurde überarbeitet und angepasst.
Credits
Foto: Sarah Swantje Fischer
Mario Zils
Sehr fundierter, gut recherchierter Beitrag.
Das Charles Schumann in seinem Buch „American Bar“ den Limettensaft angeblich durch Rose‘s Lime Cordial ersetzt, stimmt so nicht. Es wird im Buch und wurde auch an der Bar beides verwendet! Wäre sonst ja auch zu süß und furchtbar. Ich war 13 Jahre im Schumann‘s und kenne alle Rezepte seit 30 Jahren.
Außerdem stelle ich fest, dass viele Gäste den Mai Tai mittlerweile etwas süßer drinken möchten und mehr Mandelsirup verlangen!
Grüße aus Flensburg, Mario Zils
Whiskydrinker
Es kann sich auch mal lohnen, den Dry Curaco durch Shrubb zu ersetzen. Dann aber je nach Süße des Shrubbs ggf. den Zuckersirup weglassen oder reduzieren.
Don Sling
Mai Tai – Roa Ae‘ heißt übersetzt:
der – die – das Beste – von ganz weit her
hier liegt ein immer wieder auftauchender Fehler bei der Erzählung des Mai Tai.
oft wird der Spruch falsch herum übersetzt,
Nicht von dieser Welt – der Beste
Ähnlich wie schon Thor über die Linguisten stolperte, mit seiner These
kann sich, ein des polynesichen bewanderter Barkeeper
einen plausibleren Reim aus den historischen Bruchstücken machen,
warum auch Donn einen Mai Tai im Gepäck hatte.
Mai Tai ist in der Südsee ein sehr verbreiteter Terminus,
ins neudeutsch übersetzt
könnte man es mit: spitze, dufte, geil übersetzen.
Ein weiterer interessanter Aspekt bei der Erzählung ergibt sich bei einem Blick
auf die Revisionen des Mai Tais, die erste erfolgte schon Anfang der 1950er als die Tropical Drink Craze
gerade in Full Swing war.