„Es gibt andere Kategorien, die vor fünfzehn Jahren noch ein verstaubtes Image hatten.“ Marcos Alguacil von Osborne im Interview
Nur rund 200 Meter vom Atlantischen Ozean entfernt befindet sich das zweitälteste Familienunternehmen Spaniens. Die Osborne Gruppe mit dem bekannten und in ganz Spanien präsenten Markenzeichen des Stieres hat ihren Stammsitz in El Puerto de Santa Maria. Zu ihren Brands zählen Brandys wie der Premium-Brandy Carlos I als Sinnbild für einen Brandy de Jerez Solera Gran Reserva oder Veterano und 103, Sherrys, Weine und der Ibérico Pata Negra-Schinken.
Im vergangenen Jahr feierte das Unternehmen, dessen Grundstein der Engländer Thomas Osborne mit einer Bodega im Jahre 1772 gelegt hatte, sein 250. Bestandsjahr. Seit einem Vierteljahrhundert zeichnet dort Marcos Alguacil als Chefwinzer der Sherry-Weine verantwortlich. Im Vorjahr ist der gebürtige Madrider in die Fußstapfen von Brandy Master Blender Ignacio Lozano getreten und seither zudem auch Master Blender der Osborne Brandys. Seine Faszination für Hefen hat den promovierten Biologen schließlich zu Osborne in die Wein- und Spirituosenindustrie gelenkt. MIXOLOGY Online ist dem Spanier im maurisch geprägten El Puerto durch eine Allee von Jacarnanda-Bäumen zu dessen Wirkungsbereich in den Bodegas Osborne gefolgt.
MIXOLOGY: Was hat Sie als Biologe in die Wein- und Spirituosenbranche und zu Osborne verschlagen?
Marcos Alguacil: Tatsächlich war es die Faszination für Hefen, die ich schon während meines Biologiestudiums entdeckte. Schon damals habe ich mich entschieden, meine berufliche Karriere der Wein- und Spirituosenherstellung zu widmen. Gleich nach meiner Promotion an der Universität Málaga stieg ich Osborne ein, und ein Traum wurde wahr.
MIXOLOGY: Seit 25 Jahren zeichnen Sie als Chefwinzer für die Osborne Sherry-Weine verantwortlich. Nun sind Sie zudem Master Blender der Osborne Brandys. Haben Sie Ihr Herz nun an Brandys verloren? Wie kommt es zu diesem „Terrain-Wechsel“?
Marcos Alguacil: Die Bodegas Osborne liegt mir sehr am Herzen. In den vergangenen 25 Jahren konnte ich hier alle meine Erfahrungen sammeln, meine Expertise einbringen und Liebe zu Weinen und erlesenen Spirituosen leben. Zukünftig hoffe ich, dass es eben dieses Fachwissen für Sherry ist, das ich dank meiner neuen Position als Master Blender auch für Brandy de Jerez von Osborne bestmöglich einbringen kann.
MIXOLOGY: Welcher Zusammenhang besteht zwischen den beiden Kategorien auf Weinbasis?
Marcos Alguacil: Die Verbindung zwischen Wein, Sherry und Brandy ist ganz direkt. Der Brandy de Jerez entstand viele Jahre nach dem Sherry-Wein und profitierte von allen Strukturen, Einrichtungen, Fässern, Reifungssystemen und Kenntnissen. Heute beschäftigen sich alle, die mit Sherry arbeiten, Winzer, Küfer, Bodega-Mitarbeiter, Handels- und Marketingteams mit Brandy auf die gleiche Weise wie mit Wein. Die Qualität des Weinbrands hat notwendigerweise das gleiche Niveau wie das des Sherrys. Auch Aromen und Stil sind ähnlich.
»Verbrauchergewohnheiten ändern sich. Jetzt werden die exklusiven, handwerklichen traditionellen Produkte mehr geschätzt. Das trägt auch dazu bei, dass viele Verbraucher nun auch Sherry und Brandy wiederentdecken.«
— Marcos Alguacil
MIXOLOGY: Osborne Brandys wie die Haus-Ikone Carlos I reifen im Solera-Verfahren. Wie viel kreativer Spielraum bleibt Ihnen als Kellermeister während des Reifeprozesses?
Marcos Alguacil: Das Solera-Verfahren trägt auf besondere Weise zum Profil des Weinbrands bei. Einerseits sind die Sherryfässer, Botas genannt, entscheidend, um den Charakter eines jeden Brandys zu erhalten. Dafür habe ich eine breite Palette solcher Botas zur Auswahl. Je nach dem Stil des zuvor enthaltenen Weines, der jeweiligen Böttcherei, die sie hergestellt hat, des Alters und der verschiedenen Arten amerikanischer Eiche für Fässer entstehen unterschiedliche Nuancen, die das Endprodukt beeinflussen. Wir haben zum Beispiel Botas mit einem Ursprungsdatum im frühen 19. Jahrhundert. Von den ältesten Fässern, die geröstete Noten, alte Möbel-Nuancen und viel Noblesse enthalten, bis hin zu den jüngsten mit Vanille- und Honig-Aromen kann die Eiche Brandy auf unterschiedliche Weise prägen. Andererseits kann ich die Anzahl der „Sacas“ pro Jahr, also die Anzahl der Stufen des Reifungssystems und eben auch den prozentualen Anteil des Volumens in jedem Saca modulieren. Auf diese Wiese kann ich die Beteiligung des Sauerstoffs an der Entwicklung der Aromen durch die Alterung verändern.
MIXOLOGY: Wie darf man sich Ihr Wirken und Ihre tägliche Arbeit vorstellen?
Marcos Alguacil: Wenn normalerweise der Tag ruhig und gelassen beginnt, ist das der perfekte Moment, um die Keller zu besichtigen, an den Fässern zu riechen, sich mit den Mitarbeitern auszutauschen, ihnen zuzuhören, mit dem Labor und dem Produktionsteam über den Verlauf der Projekte zu sprechen. Danach wird es arbeitsreicher, es gibt Meetings, Herausforderungen und eben auch mal Brände zu löschen.
MIXOLOGY: Hat die Pandemie, die vorübergehend auch viele Endkonsumenten in die digitale Genusswelt verleitet hat, dazu beigetragen, das Interesse für Sherry und/oder Brandy zu erhöhen, die Aufmerksamkeit darauf vielleicht geschärft?
Marcos Alguacil: Ich denke, die Pandemie hat diesen Prozess beschleunigt. Verbrauchergewohnheiten ändern sich. Jetzt werden die exklusiven, handwerklichen traditionellen Produkte mehr geschätzt. Das trägt auch dazu bei, dass viele Verbraucher nun auch Sherry und Brandy wiederentdecken.
MIXOLOGY: Zu Ihren ersten Amtshandlungen als Master Blender der Osborne Brandys zählt auch ein wenig die Lancierung des neuen Brandys 1866 auf deutschem Markt.
Marcos Alguacil: Der 1866 ist meiner Meinung nach ein Brandy, wie ihn die Welt noch nicht gesehen hat: Als Super Premium Brandy de Jerez Solera Gran Reserva verdankt er – was wir auch der Arbeit meines Vorgängers Ignacio Lozano zu verdanken haben – seinen besonderen Geschmack dem seit Jahrhunderten bewährten, handwerklichen Reifungsverfahren in einem Criaderas- und Solera-System mit einzigartigen 16 Stufen.
»Es gibt einige andere Kategorien, die vor fünfzehn Jahren noch ein verstaubtes Image hatten. Wermut und Gin zum Beispiel. Heute sind sie in Mode. Wir müssen mehr und besser kommunizieren.«
— Marcos Alguacil
MIXOLOGY: Woher kommt sein Name?
Marcos Alguacil: Die erste Solera des ursprünglichen Schöpfers dieses mythischen Brandys datiert auf das namensgebende Jahr 1866 zurück. Osborne bewahrt dieses Erbe, die Sanftheit und Komplexität des 1866. Das honorierte auch die Experten-Jury des IWSC mit 95 Punkten und einer Goldmedaille. Damit gilt der Super-Premium-Brandy effektiv als bester Sherry-Brandy der Welt. 1866 ist das an goldenen Bernstein erinnernde Ergebnis der Destillation ausgewählter Weine in traditionellen kupfernen Alquitaras. Das sind Destillierapparate arabischen Ursprungs. Die Reifung der Destillate in durchschnittlich 20 Jahre alten Sherryfässern, in denen zuvor die besten unserer Osborne Fino-Sherry gelagert wurden, verleiht ihm dann die charakteristischen Noten von Eiche, getrockneten Früchte und Nüssen sowie ein sehr intensives und tiefgründiges Bouquet. Hier liegt sein Potenzial, weil es die Fassreifung ist, die die eigentliche Besonderheit birgt. Das Destillat durchläuft ein 16-stufiges Criaderas- und Solera-System aus Sherryfässern, und das sind so viele Stufen wie kein anderes Solera-System hat. Damit setzt er definitiv Maßstäbe in der Brandywelt.
MIXOLOGY: Wie genießt man ihn am besten?
Marcos Alguacil: Als Inbegriff von Luxus in der Brandy-Kategorie erfüllt der 1866 Ansprüche von Konsumenten, die auf der Suche nach authentischen und einzigartigen Produkten sind. Er zeigt sich wie jene, die ihn lieben werden, nämlich selbstsicher, elegant, authentisch, erfüllt und kreativ. Der beste Beweis dafür ist die Perfect-Serve-Empfehlung: on the rocks.
MIXOLOGY: Sherry und Brandy werden oft gemeinsam genannt. Dabei handelt es sich einerseits um fortifizierten Wein, andererseits um Weinbrand. Wie kann man das ein wenig verstaubte Image der vielfältigen Brandy-Kategorie aufwerten, und will man das?
Marcos Alguacil: Das ist eine gute Frage, würden die meisten antworten, wenn sie die Antwort nicht kennen. Ich vertraue voll und ganz auf Brandy. Wenn Genießer sich der Qualität des Brandys, seiner Traubenbasis und seiner vielseitigen Einsatzmöglichkeiten im Bereich der Mixologie bewusst werden, wird sich auch das Image des Brandys verändern. Es gibt einige andere Kategorien, die vor fünfzehn Jahren noch ein verstaubtes Image hatten. Wermut und Gin zum Beispiel. Heute sind sie in Mode. Wir müssen mehr und besser kommunizieren.
»lücklicherweise handelt es sich bei Osborne um ein Unternehmen, das zweieinhalb Jahrhunderte auf dem Rücken und uns eine große Anzahl von Fässern und Soleras hinterlassen hat, die das Ergebnis eines immensen Werdegangs sind«
— Marcos Alguacil
MIXOLOGY: Haben Sie eine Vision für weitere kreative Editionen, Veränderungen in der Herstellung durch eine Umwandlung der Fassreihen oder Fasstypen?
Marcos Alguacil: Glücklicherweise handelt es sich bei Osborne um ein Unternehmen, das zweieinhalb Jahrhunderte auf dem Rücken und uns eine große Anzahl von Fässern und Soleras hinterlassen hat, die das Ergebnis eines immensen Werdegangs sind. Dies ermöglicht es uns, limitierte Editionen, Einzelfässer, Verschnitte und schließlich die besten Qualitätsbrandys zu kreieren, die wir Kennern anbieten können.
MIXOLOGY: Das französische Weinbrand-Pendant wird produziert, um exportiert zu werden. Anstelle des ländereigenen Cognacs favorisieren französische Spirituosen-Genießer oft lieber Whisky. Was trinken Sie am liebsten?
Marcos Alguacil: In meiner Jugend waren es Gin und Tequila, aber jetzt bevorzuge ich Whisky, Rum und natürlich Brandy. Heute ist es Carlos I Amontillado, der zu mir passt.
MIXOLOGY: Vielen Dank für das Interview.
Credits
Foto: Osborne
Dr. med. Wolfgang Theurer
Ich bin sehr gespannt auf den 1866.
Sehr schönes und aufschlussreiches Interview