TOP
Mario Messig aus der Bar Garçon in München im Interview

„Der Umstieg auf europäische Produkte war der größte Hebel.“ Mario Messig im Interview

Still, bescheiden und teils bewusst unter dem Radar des täglichen Szene-Geblubbers hat Mario Messig seine »Bar Garçon« zu einer der interessantesten Bars des Landes und einer der beliebtesten Trinkstätten in München gemacht. Das liegt nicht nur an den Vinly-Platten. Ein Interview mit einem, der nicht anders kann, als zu hinterfragen. Und dann zu machen.

Am Tag des Interviewtermins mit Mario Messig in seiner Bar Garçon herrschen in München 30 Grad Außentemperatur. Doch first things first, Messig legt zunächst eine Platte auf: »Channel Orange« von Frank Ocean. Erst dann schaltet er die Ventilatoren an und das Gespräch kann beginnen.

MIXOLOGY: Mario, woher kommt das nochmal mit den Vinyl-Platten?

Mario Messig: Ich habe früher schon viel mit Platten aufgelegt und hier im Laden ist die Soundqualität so einfach schöner, differenzierter. Digitale Musik wäre in diesem Raum viel zu präsent, zu laut. Die Musik soll eher eine Decke sein, die die Gespräche der Gäste intim hält.

MIXOLOGY: Du hast mal erzählt, dass die Lautstärke auch ein Grund ist, warum es hier im Garçon nur gerührte Drinks gibt…

Mario Messig: Ganz genau. Die Bar nimmt hier so viel Platz ein, das ist so, als würdest du bei jemandem zu Hause am Küchentisch sitzen. Wenn ich also shake, können sich die Gäste an der Bar nicht mehr unterhalten und ich kann dann keine Gespräche mehr mit dem Gast führen – und ihn nicht mehr in Ruhe beraten. Die Beratung ist mir aber wichtig. Also ist das die Konsequenz.

MIXOLOGY: Und zu welchem Drink würdest Du heute raten?

Mario Messig: (grinst) Na, zu einem, der zum Sommer passt! Eine Margarita, also fast: unsere »Biarritz Margarita«.

MIXOLOGY: Wie unterscheidet die sich von der normalen Margarita?

Mario Messig: Sie enthält keinen Tequila, sondern ungelagerten Traubenschnaps und weißen Portwein. Das ist auch voll schön, weil wir da Trauben mit Trauben kombinieren (Messig lächelt und betrachtet den fertigen Drink, der mit Meersalzflocken und einer Zitronenzeste garniert ist) Das ist ganz schön viel Garnish für meine Verhältnisse!

MIXOLOGY: Ja?

Mario Messig: Ja! Also hier passt es ja voll, weil Meersalz und Zitronenzeste etwas für das Mundgefühl und den Geschmack beitragen, aber sonst…

Die Biarritz Margarita kommt ohne Tequila aus
Die Biarritz Margarita kommt ohne Tequila aus

Biarritz Margarita

Zutaten

3 cl Laballe Eau de Vie Blanche d’Armagnac
2 cl weißer Portwein
1 cl Cointreau
2 cl frischer Zitronensaft
1 cl Zuckersirup mit heller Misopaste
1 Dash Salzlösung (20 %)

MIXOLOGY: Hast Du was gegen üppige Garnituren?

Mario Messig: Naja, die wenigste Deko ist essbar und trägt nicht wirklich so viel zum Drink bei. Zesten von Zitrusfrüchten sind ja prima, weil ich die Zitrone sowieso brauche. Aber gedörrte Sachen zum Beispiel: Das investiert man Energie und Zeit, um letztendlich etwas Nicht-Genießbares zu erhalten. Das ergibt für mich keinen Sinn. Ich finde es unnachhaltig, etwas zu produzieren, das dann im Müll landet.

MIXOLOGY: Nachhaltigkeit ist für Dich sowieso ein großes Thema. Wie kam es für Dich dazu?

Mario Messig: Ich habe mich schon länger privat damit beschäftigt, wie ich nachhaltiger leben kann. Ein bedeutender Denkanstoß war 2018 die Geburt meines Sohnes. Da hat sich mir so richtig der Gedanke aufgedrängt: Was hinterlassen wir hier eigentlich? Oder genauer gesagt: Was hinterlasse ich hier eigentlich meinen Kindern? Ich esse zu Hause ja zum Beispiel auch regional und saisonal, aber dann habe ich in meiner eigenen Bar Sachen aus Übersee und das das ganze Jahr über?! Das hat für mich nicht mehr zusammengepasst.

MIXOLOGY: Und wie bist Du dann an die Umsetzung gegangen?

Mario Messig: Tatsächlich habe ich mich das gesamte Jahr 2019 damit beschäftigt, wie ich mein Angebot im Laden anpassen kann. Bio-Produkte, konsequente Mülltrennung – alles prima, aber der Umstieg auf europäische Produkte war eben wirklich der größte Hebel. Als ich dann mit Branchenkolleg:innen darüber gesprochen habe, wurde ich gewarnt: »Mach das bloß nicht!« Ich hatte natürlich auch die Sorge, dass es wirtschaftlich nicht funktioniert. Aber bisher läuft es.

MIXOLOGY: Ohne Probleme?

Mario Messig: Naja, am 1. Januar 2020 waren die Regale dann auch erstmal deutlich leerer (lacht). Aber meine Backbar ist jetzt gut gefüllt und ich entdecke auch immer neue Sachen, aber ja – es ist auch immer noch mit Aufwand verbunden. Ich bestelle teilweise bei fünf bis sechs Lieferanten, um Produkte in der Qualität zu bekommen, die ich brauche. Aber so ist es eben. Ich mache das ja aus eigener Überzeugung.

»Wenn ich in eine Bar komme, dann will ich eine Pause machen von den Krisen der Welt.«

— Mario Messig

MIXOLOGY: Wie nehmen das denn Deine Gäste wahr? Kommunizierst du diese Überzeugung auch?

Mario Messig: Das Thema Nachhaltigkeit ist ein brennender Herd, der uns alle betrifft. Aber ich will ja auch niemanden belehren, während er hier entspannen will in seiner Freizeit. Wenn ich in eine Bar komme, dann will ich eine Pause machen von den Krisen der Welt. Die Information, dass wir nur europäische Produkte verwenden, wird über eine Headline in der Karte kommuniziert und das ist auch ein schönes, natürliches Storytelling; etwas, woran sich die Gäste erinnern. Wenn nicht über den Text, kommen wir spätestens bei den Drinks dazu ins Gespräch.

MIXOLOGY: Wie entstehen denn die Drinks für die Karte?

Mario Messig: Im Allgemeinen orientieren wir uns oft an Klassikern, die wir dann spzusagen in unsere Sprache übersetzen: Also mit europäischen Zutaten und mit nicht zu viel Alkohol.

MIXOLOGY: Low-ABV ist auch noch eine Vorgabe, die Du Dir setzt?!

Mario Messig: Nicht drakonisch, aber schau mal, wir sind – auf eine Art – Drogendealer. Es geht mir darum, Verantwortung für das Wohlbefinden der Gäste zu übernehmen. Es macht einfach einen Unterschied, wie ein Gast den Laden verlässt, wie er sich am nächsten Morgen fühlt. Und außerdem ist dieser Raum hier auch so intim: Jemand, der durch Alkohol das Gefühl von Distanz und Lautstärke nicht mehr hat – das geht hier nicht. Ich sehe das als meine Verantwortung, als Gastgeber meine Gäste vor so einer Situation zu schützen. Also schaue ich bei Drinks, wie ich das Gift reduzieren kann.

Dass Mario Messig auch als DJ tätig war, spürt man in der Bar Garçon
Dass Mario Messig auch als DJ tätig war, spürt man in der Bar Garçon
Damit das Klackern der Shaker die Musik nicht stört, wird hier nur gerüht
Damit das Klackern der Shaker die Musik nicht stört, wird hier nur gerüht

Bar Garçon

Utzschneiderstraße 4
80469 München

MIXOLOGY: Also europäische Spirituosen und nur so viel Alkohol wie nötig. Aber wie setzt Du das beides konkret um?

Mario Messig: Ich schaue, wie ich die ursprüngliche Spirituose ersetzen oder eben reduzieren kann, ohne die Idee des Drinks zu sehr zu verändern. Letztendlich ist die Spirituose doch auch nur ein Teil des Geschmacksbildes. Ein Gast, der eine Margarita bestellt, will nicht Tequila mit Zitrone und Cointreau, er will den Geschmack dieser Kombination. Bei uns wird dann aus 5 cl Spirituose in einem Drink eben 3 cl plus 2c l Wermut. Das nimmt Schärfe, reduziert den Alkoholgehalt und gibt dem Ganzen eine neue Geschmacksebene. Aber klar, das fordert auch heraus: Wie bekomme ich den Geschmack eines Rum Martinez hin, ohne Rum zu verwenden? Mich kickt genau das, mir macht das Spaß. Und bisher fanden meine Mitarbeiter:innen das Arbeiten mit diesen Vorgaben eher immer spannend und nicht frustrierend – hoffe ich (lacht): Die Einschränkung ist ja gleichzeitig auch Inspiration. Man muss halt etwas rumprobieren, welcher Schraubenschlüssel passt. Dann kombiniere ich eben Traubenschnaps mit Wermut, um Tequila zu ersetzen. Und Rum-Trinker hole ich mit dem richtigen Brandy auch noch ab.

MIXOLOGY: Wie wichtig ist es, dass sich Deine Mitarbeiter:innen auch mit Deinem Konzept identifizieren? Ist das nicht eine zusätzliche Herausforderung bei der Personalsuche?

Mario Messig: Bisher hatte ich eigentlich nie große Probleme, Mitarbeiter:innen zu finden. Klar: Für die meisten, die hier angefangen haben, war diese Art von Backbar etwas ganz Neues, aber die hatten dann Bock drauf, neue Produkte kennenzulernen. Mein Konzept kann auch eine Identifikation sein und damit ein Grund, warum Leute hier arbeiten wollen. Das macht mich dann auch stolz, aber in erster Linie brauche ich gute Gastgeber. Menschen, die einfach den Gästen in einem schönen Umfeld eine gute Zeit bescheren wollen. Außerdem sind unsere Arbeitszeiten ziemlich fair, denke ich, und mir ist es wichtig, dass alle, die hier arbeiten, auch davon leben können. Ich will einfach nicht, dass sich jemand aufopfert für diesen Laden, weder meine Mitarbeiter:innen noch ich selbst. Ich habe ja eine Familie, der ich trotz Selbständigkeit und Abendschichten gerecht werden will. Das ist meine Herausforderung.

MIXOLOGY: Die Du wie löst?

Mario Messig: Klare Prioritäten. Beim ersten Kind ist es cool, am Abend zu arbeiten, gerade im ersten Jahr passt das so alles. Aber ab dem zweiten Kind klappt das nicht mehr so einfach. Das Erste braucht ja auch seine Aufmerksamkeit, und ich habe doch Kinder, weil ich an deren Leben teilhaben will. Natürlich gibt es zum Beispiel durch Krankheitsfälle heftige Phasen, aber es braucht eben die Perspektive, dass es wieder besser wird. Letzten Winter ist ein Mitarbeiter kurzfristig weggebrochen. Da war die Frage: Bekomme ich schnell Ersatz oder muss ich die Öffnungszeiten ändern? Kein Plan, ob das wirtschaftlich funktioniert hätte. Aber ich sehe das so: Den Laden kann ich verkaufen, meine Kinder bleiben für immer. Ich hatte dann einfach mal wieder Glück und konnte rechtzeitig jemanden finden.

MIXOLOGY: Klingt fast so, als müsstest Du nie Kompromisse eingehen…

Mario Messig: Es läuft irgendwie immer gut ineinander (lacht), deshalb hatte ich auch noch keinen Moment, an dem ich überlegen musste, von meinem Konzept abzuweichen. Es macht mich ja auch stolz, das alles so abbilden zu können. Das war wahrscheinlich auch das Schönste: Zu realisieren, ich kann hier so arbeiten, wie ich es für richtig halte, und es funktioniert. Wie cool ist das?! Aber ich habe natürlich auch schon Entscheidungen getroffen, die nicht so klug waren… Und aktuell, mit zwei kleinen Kindern, fehlt mir zum Beispiel die Zeit, um regelmäßig in andere Bars zu gehen oder zu Branchenevents zu fahren. Meine zeitlichen Schwerpunkte sind eben gesetzt und das ist gut so, aber es ist auch schade. Der meiste kreative Impact kommt für mich durch den Austausch mit Leuten aus der Branche. Auf den Misosirup, der auch in der Biarritz Margarita verwendet wird, hat mich zum Beispiel Anne Linden gebracht. Mit Verjus oder »Ghostlime« zu arbeiten, um außerhalb der Saison die Säure von Zitronen zu ersetzen, ist eine Idee, die ich von Lukas Motejzik bekommen habe. Ich freue mich darauf, wenn ich mich wieder mehr mit Gastronomen austauschen kann, auch um selbst zu teilen, was ich in den letzten Jahren gelernt habe. Aber bis dahin kann man mich ja auch immer hier besuchen (lacht).

MIXOLOGY: Und was hast du noch für Ziele für die Zukunft?

Mario Messig: Naja, warum mache ich das denn hier? Warum fordere ich mich hier so heraus? Ich will die Welt retten… oder zumindest weiterhin meinen Teil dazu beitragen (lächelt). Aber hey, mir geht es so, wie es gerade ist, sehr gut: Ich habe einen tollen Laden, tolle Gäste, tolle Mitarbeiter:innen und vor allem eine schöne Zeit mit meiner Familie. Ich freue mich, wenn sich neue Möglichkeiten für die Bar ergeben und ich selbst wieder öfter welche besuchen kann. Aber eigentlich möchte ich einfach nur weiterhin das machen können, was ich will.

MIXOLOGY: Lieber Mario, wir danken Dir herzlich für das Interview.

Zur Person: Mario Messig wurde im Mai 1989 im damaligen Karl-Marx-Stadt (Chemnitz) geboren und lebt seit 2007 in München. Sein Architekturstudium hat er sich durch Jobs als DJ und hinter der Bar finanziert. 2016 eröffnete er die Bar Garçon. Auf die Selbständigkeit hat er bewusst hingearbeitet, den Zuschlag für den Laden gab es – im zweiten Anlauf – nachdem »jemand anderes das Handtuch geworfen hat«. Messig ist verheiratet und Vater von zwei Kindern.

Dieser Text erschien erstmals in der Print-Ausgabe 4-2024 von MIXOLOGY, dem Magazin für Barkultur. Information zur Bestellung eines Einzelheftes findet sich hier, Information zu einem Abonnement hier.

Credits

Foto: Christoph Grothgar

Kommentieren

Datenschutz
Wir, Meininger Verlag GmbH (Firmensitz: Deutschland), würden gerne mit externen Diensten personenbezogene Daten verarbeiten. Dies ist für die Nutzung der Website nicht notwendig, ermöglicht uns aber eine noch engere Interaktion mit Ihnen. Falls gewünscht, treffen Sie bitte eine Auswahl:
Datenschutz
Flagge Deutsch
Wir, Meininger Verlag GmbH (Firmensitz: Deutschland), würden gerne mit externen Diensten personenbezogene Daten verarbeiten. Dies ist für die Nutzung der Website nicht notwendig, ermöglicht uns aber eine noch engere Interaktion mit Ihnen. Falls gewünscht, treffen Sie bitte eine Auswahl: