Gestatten, Matthias Ingelmann: Bamberg, London, Paris. Und wieder London
2016 gewann Matthias Ingelmann die Made in GSA Competition. Seitdem hat sich einiges verändert. Über das Untitled in London ging es zum Les Grandes Verres in Paris und nun für das Projekt in der Kol Mezcaleria zurück nach Großbritannien. Welche Eindrücke er auf seinem bisherigen Weg gesammelt hat und warum er deutsche, doppelt verglaste Fenster schätzt, erzählt er MIXOLOGY Online.
„Ob ich später eine eigene Bar aufmache oder mich mit etwas anderem beschäftige, das kann ich noch nicht sagen. Ich bin mir sicher, dass ich der Branche treu bleibe. Aber ob das tatsächlich eine eigene Bar wird oder etwas anderes in der Gastronomie, das lasse ich mir offen. Die Gastronomie ist ja vielfältig.“ Mit diesem Ausblick in die Zukunft, nach dem Gewinn der Made in GSA 2016 Competition, sollte Matthias Ingelmann Recht behalten. Der Preis für den Gewinn der GSA war eine Woche Singapur. „Das war unglaublich, ein mega Preis!“ sagt er nun im Gespräch fünf Jahre danach. An diese Woche hängte er noch einen Aufenthalt in Hongkong. Im Zug auf der Rückreise ins beschauliche Bamberg, seiner damaligen Heimat, fasste er den Entschluss, dass es an der Zeit sei, mal etwas Neues auszuprobieren. „In der Gastronomie hat man die Chance überall zu arbeiten, weil die Prinzipien von Hospitality überall gleich sind: Es geht darum andere Leute glücklich und ihnen einen schönen Abend zu machen.“
Spätestens von da an schöpfte er die Vielfältigkeit der Gastronomie und die Möglichkeit, auf der ganzen Welt zu arbeiten, auch voll aus. In dem Bestreben, eine neue Herausforderung zu finden, waren nach weiteren Reisen nach London und New York zwei Optionen in der engeren Auswahl: Operation Dagger in Singapur (was sich wegen des Visums schwierig gestaltet hätte) oder eines der Londoner Schwester-Venues Bar Termini, 69 Colebrooke Row und Untitled, wovon es schlussendlich Letzteres wurde. Wonach Ingelmann seine Entscheidungen in Bezug auf die nächste berufliche Challenge trifft? „Eine Kombination aus Standort, Privatleben und Attraktivität der Herausforderung. Die Bar oder allgemein das Projekt steht aber immer im Vordergrund.“
Matthias Ingelmann spricht viel von Herausforderungen und persönlicher Entwicklung. Diese Motive liegen seinen Entscheidungen immer zugrunde. Wohlüberlegt sind nicht nur seine beruflichen Entscheidungen. Wenn man ihm eine Frage stellt, nimmt er sich Zeit fürs Nachdenken und dann nochmal, um sie ausführlich zu beantworten. Er wirkt nicht wie einige andere Bartender der neuen Generation, die mehr durch Insta-Follower als durch Fachwissen und Reflexion beeindrucken.
Von London nach Paris und wieder zurück
Matthias Ingelmann erlebte zwei überaus lehrreiche Jahre im Londoner Untitled: „Wenn man mal bei Tony Conigliaro oder einer seiner Bars arbeitet, lernt man unglaublich viel über Drinks und wie man an ihre Kreation herangeht.“ Nach dieser Zeit war ihm nun wieder nach etwas Neuem, und so zog es ihn nach Paris. Über Kontakte kam er so ins ambitionierte Projekt Les Grandes Verres, wo er als Bar Manager anfing. „Paris ist ganz anders als London, es fühlt sich wesentlich kleiner an. Eine Bar-Tour kann man immer zu Fuß machen und gefühlt kennt jeder jeden in der Bar-Szene.“ Trotz – besonders anfangs – eher spärlicher Französischkenntnisse kam Ingelmann gut zurecht und hat einiges über Land und Leute gelernt. „Ich habe teilweise als Host gearbeitet und gemerkt, dass es, wenn man die Leute anlacht und ihnen ein gutes Gefühl gibt, auch problemlos geht, ohne die Sprache wirklich zu können. Mit Empathie und Vorbereitung kann man ahnen, was ihnen wichtig ist“.
Anderthalb Jahre hielt es ihn in der französischen Hauptstadt, dann kam der erste Corona-Lockdown und Ingelmanns Drang nach der nächsten Challenge trieb ihn zurück nach London, wo er nun als Head Bartender der Kol Mezcaleria angeheuert hat. Auch bei dieser Entscheidung ging es hauptsächlich um das Projekt und die Leute, die dahinterstehen. Einer davon ist Maxim Schulte. Der ehemalige Head-Bartender der American Bar im Savoy Hotel fungiert in der Mezcaleria als Manager. Das Konzept: „Mexican Soul – British Ingredients“. Oben das mexikanische fine-dining Restaurant Kol, unten die Mezcaleria.
Der Fokus liegt auf mexikanischen Spirituosen, besonders die im Trend liegenden Agavendestillate. Es gibt eine Karte mit zehn Drinks, auf der man fünf Geschmackskombinationen findet. Jede Geschmackskombination gibt es einmal als Drink mit klassischen Spirituosen und eine Interpretation mit mexikanischen Basisspirituosen. So gibt es zum Beispiel, vereinfacht wiedergegeben, die Kombination Quitte und Chili als Bellini mit Quittenpüree und Schaumwein und in der mexikanischen Version als Lowball karbonisiert mit Mezcal und Verjus. Ingelmann sagt dazu: „Wir versuchen, die Leute an Mezcal und mexikanische Spirituosen heranführen, ohne es zu kompliziert zu machen oder sie zu zwingen, direkt Mezcal zu bestellen. Da es viele Leute gibt, die Mezcal noch nie getrunken haben oder schlechte Erfahrungen mit Tequila gemacht haben, wird so über die Geschmackskombination die Brücke von der klassischen zur mexikanische Spirituose geschlagen – und das funktioniert bisher extrem gut.“
Berufliche Freiheit, Fenster und Finanzbücher
Die Corona-Pause nutzt Ingelmann um Sport zu machen und, wie die meisten Bartender, zum ersten Mal seit langem mal wieder ausreichend zu schlafen. Außerdem liest er viel und informiert sich über Dinge außerhalb der Gastronomie. Besonders Business-, Leadership- und Finanzbücher. Ob er sich durch diese Themen auf die Eröffnung seiner eigenen Bar vorbereitet? „Nicht unbedingt. Jegliche Art von Allgemeinbildung hilft dir auch hinter der Bar, weil es dort viel um Kommunikation geht. Sich über Dinge wie Leadership und den Umgang mit Menschen zu informieren hilft immer.“
Dies merkt man auch im Gespräch mit ihm. Auf die Frage, was er durch das Reisen und Leben an verschiedenen Orten gelernt hat, antwortet er, diesmal ohne zu überlegen und mit einem Lachen: „Dass deutsche, doppelt verglaste Fenster super sind.“ Nach längerem Nachdenken fügt er hinzu: „Man wird viel offener und verständnisvoller für andere Kulturen und Probleme. Man kann sich besser in andere Leute hineinversetzen.“ Daher finde er es, so sagt er, ein bisschen schade, dass man in der deutschen Bar-Szene die Chance auf der ganzen Welt zu arbeiten oft nicht so wahrnehme.
Wie es für ihn selbst weitergeht, weiß er noch nicht so genau. Erstmal will er sich auf das neue Projekt mit der Mezcaleria fokussieren. „Eine eigene Bar steht aktuell nicht auf der Liste, aber ich kann mir viele Dinge vorstellen, wie es weitergehen kann. Die Gastronomie ist ja eine extrem gute Basis für Dinge wie Konzeptentwicklung oder Consulting.“
Wir werden sehen, ob Matthias Ingelmann auch mit diesem Ausblick in die Zukunft Recht behalten wird.
Credits
Foto: Haydon Perrior