Max Faber verwischt mit „Klappstullen“ die Grenze von Kunst und Koch
Max Faber hat mit „Klappstullen“ ein Buch vorgelegt, das viele Aspekte sowohl moderner Küchenkultur als auch deren moderner Darstellungsformen vereint. Die titelgebenden Stullen hat er dabei nicht fotografiert, sondern mit einem hochauflösenden Scanner eingescannt und durchleuchtet. Auch sonst besticht das Werk durch meisterhafte Formsprache.
Als ich klein war, hat meine Mutter zu mir gesagt, dass ich den Käse gefälligst nicht „so“ essen solle. Sie meinte damit, dass ich den Käse nicht ohne Brot essen, dass ich sowieso mehr Brot essen, zumindest mehr Brot als Käse essen solle. Wer diese oder ähnliche Unappetitlichkeiten in seiner Kindheit auch über sich hat ergehen lassen müssen, der weiß: Die Deutschen und ihr Brot, das ist eine ernste Sache.
Deutsche Brot-Connaisseure und Weißbrot essende Südländer
So kann ein ganzer Italienurlaub – ohne Regen, mit Wein und Tanz, gutem Essen und feinen Sandstränden – in der Nacherzählung genau deshalb furchtbar gewesen sein, weil es „die ganze Zeit nur dieses Weißbrot gab, furchtbar!“ Im Grunde haben sich in den Augen deutscher Brot-Connaisseure die Weißbrot essenden Südländer bereits von der Zivilisation verabschiedet. Und „Knäcke“ krümelnde Nordmänner sind auch nur ein paar Schritte vom Kulturkollaps entfernt.
Im angloamerikanischen Raum gibt es eine andere Tradition. Mit Blick auf den 4. Earl of Sandwich sind die Brotscheiben dort in erster Linie Besteck. Bei den Deutschen ist die Stulle vor allem Brot. Entsprechend hoch ist natürlich die Dichte an klassischen Rezeptbüchern für belegte Brote. Dabei geht es primär um möglichst abgefahrene Rezepte für Aufstriche, wilde Kombinationen von Zutaten, die man nie (nie!) in Verbindung mit einer Scheibe Brot auch nur zu erahnen gewagt hätte, und Hochglanzbilder von gebauten Brot-Türmen, die nie und nimmer (nie und nimmer!) in eine Brotdose passen würden.
Klappstullen von Max Faber ist kein typisches Kochbuch
Max Faber hat mit „Klappstullen“ nun ein besonderes Buch vorgelegt, das viele Aspekte sowohl moderner Küchenkultur als auch deren genauso moderner Darstellungsformen vereint und dabei doch nichts mit dem typischen Kochbuch zu tun hat. Das Buch kommt in Fadenbindung mit offenem Rücken daher und grenzt sich auf diese Weise schon äußerlich weit vom Mainstream ab. Auf den ersten Seiten gibt es dann ein paar Fun Facts und tatsächlich erstaunliche Zahlen und Statistiken über den Laib an sich, seine Rekorde und skurrilen Auswüchse.
So gibt es etwa in der Schweiz (wo sonst?) das teuerste Sandwich der Welt (mit Wagyu-Schinken, Trüffel-Mayo und Foie gras), Versace hat seinen Toast am liebsten mit Spiegeleiern gegessen und natürlich haben Wissenschaftler herausgefunden, wie das perfekte Sandwich aufgebaut ist.
Meisterhaft manipulierende Formsprache
Dann folgen vor allem erstaunliche Bilder. Das besondere an Fabers Buch ist aber nicht nur die Bildsprache selbst, sondern auch die Technik, mit der diese Bilder ihren Weg auf die 200 Seiten des Kunstbandes geschafft haben: Der gelernte Koch und Foodstylist Max Faber hat seine Stullen nämlich nicht fotografiert, sondern mit einem hochauflösenden Scanner eingescannt und durchleuchtet. Durch die so entstehende Formsprache werden Struktur, Farbe und Tiefe derart meisterhaft manipuliert, dass man meinen könnte, jedes Bild sei ein kleines, aber vielstimmiges Konzert, dirigiert von Faber.
So dekonstruiert er etwa auf einem der Bilder ein Full English Breakfast und setzt es zum belegten Brot zusammen. Auf einem anderen werden einige Klassiker vorgestellt, vom Butterbrot mit Meersalz über eines mit Erdnussbutter, ungesalzenen Erdnüssen, karamellisierter Banane und kross gebratenem Speck bis zum Mett-Brot mit hauchdünnen Zwiebelringen und Pfeffer. Wieder andere werden zu zweidimensionalen, ornamentalen Zeichnungen aus Pumpernickel und Gurke oder Schinken und Käse.
Dabei hat der Band durchaus alles, was ein seriöses Kochbuch ausmacht: Warenkunde, die etwa über Roggen, Weizen und Mischverhältnisse aufklärt; Anleitungen zum Eierkochen und Backzeiten für Toastbrot. Die Bildbeschreibungen, die häufig auf sonst leeren Seiten den eigentlichen Abbildungen nachgestellt sind, funktionieren als Rezepte. Max Faber balanciert also standsicher auf der Grenze von Kunst und Koch. Da ist er nun nicht der erste – aber genauso sicher einer der besseren.
Klappstullen verdient besonderen Platz im Bücherregal
In einem empfehlenswerten Artikel zur Lage des Kochbuchs in der Effilee-Ausgabe Winter 18/19 beschreibt Stevan Paul, wie, und vor allem warum, Kochbücher immer mehr zu Bildbänden werden. Und vielleicht hat es ja auch etwas mit der Aufmerksamkeitspanne zu tun, die sich von Jahr zu Jahr, von Facebook zu Instagram, von Rezept zu Foodie-Foto verkürzt. Klappstullen hingegen ist ein Kunstband, der zu einem Kochbuch geworden ist, mit Bildern, die herausfordern. Und einem Künstler, der seinen Gegenstand kennt. Klappstullen hat einen besonderen Platz in meinem Bücherregal.
Max Faber: Klappstullen
Westkreuz Verlag
200 Seiten mit 141 Bildern
32 Euro
Credits
Foto: Foto vom Buch oben: Caroline Adam//Fotografien aus dem Buch: Max Faber (Idee, Bilder/Scanography, Foodstyling und Rezepte), René Lentignac (Assistent Foodstyling und Rezepte)