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Zuerich

Meine Nächte Part III. Zürich, der Wille zur Nacht

In Zürich ist was los. Die Stadt kennt Edles und Teures, Schönheit und Abgründe. Phlegma und Furor, Innovation und Kaputtheit. Eine Nacht in Zürich gelingt eigentlich immer. Gute Trinkstätten wie Widder Bar und Old Crow, schräge Menschen und Szenen. Ein kleiner Streifzug durch die Bankenmetropole.
Also mal wieder Zürich. Die Hitze drückt sich in die Stadt – und die Spannung. Halb Zürich ist auf den Beinen, um später beim Publik Viewing der Nati, also der Fußballnationalmannschaft beim Spiel gegen Frankreich die Daumen zu drücken. Man will hoch hinaus, nach den Sternen greifen.
Ein Cocktail will die Sterne tanzen lassen
Da passt es gut, dass dem Flaneur am Paradeplatz in einem Schaufenster ein schönes Zitat ins Auge sticht. „Man muss noch das Chaos in sich haben, um einen tanzenden Stern gebären zu können.“ Es stammt von dem legendären Philosophen und Sprachartisten Friedrich Nietzsche und findet sich an der Fassade von Zürichs ältestem Optiker Zwicker. Im Innern ist eine mobile Bar aufgebaut auf der eine Batterie Drinks steht. Die Neugierde ist geweckt. Auf Nachfrage wird erklärt, dass hier gleich eine Lesung von Nietzsches berühmtestem Buch „Zarathustra“ stattfinden werde und es sich bei den violetten Mischungen um den Zarathustra Cocktail handeln würde, der von der Kronenhalle-Barikone Peter Roth eigens für dieses Event kreiert wurde. Die Bar trägt den Namen Will to Power – nein, es handelt sich nicht um alberne Kraftsportler Nahrung – sie ist nach Nietzsches umstrittensten Werk „Der Wille zur Macht“ benannt. Außerdem werde es im Anschluss an den Vortrag von Robert Hunger-Bühler ein gelehrt-amüsantes Gespräch mit einem Professor für Energiestoffwechsel über lebensverlängernde Substanzen und Nietzsches Zugang zu Essen, Trinken und Tabak gehen.
Gestoßenes Eis, eine Kneipenschlägerei und 60 Liter Rotwein pro Tag
Aus Neugierde wird auch hier Spannung. Der Zarathustra Cocktail ist eine balancierte Komposition aus Mombasa Gin, St. Germain Holunderlikör, Crème de Violet, Tonic, dekoriert mit einigen Heidelbeeren. Die fruchtige Süße umschließt den Gin auf der Zunge, um ihn dann am Gaumen wieder freizugeben. Ein leichter Aperitif, dem dann vor etwa 60 Zuhörern eher Starkspirituosenprosa folgt. Wie im Rausch traktiert Nietzsche mit dem Wortpickel und Gedankenhammer seine unter diesem Furor regungslos zu Eisblöcken gefrosteten metaphysischen Gegner, als wolle er ein ganzes Kühlhaus mit gestoßenem Eis füllen. Würde Nietzsche sich so in einer Bar aufführen, er hätte wohl längst eine Prügelei angezettelt – und Hunger-Bühler hat beim Lesen seine Freude daran.
Ganz anders und entspannt dann das Gespräch mit dem in Zürich lehrenden Professor Michael Ristow. Als dieser dann erwähnt, dass Rotwein aufgrund der Inhaltsstoffe in der roten Schale der Trauben durchaus nicht ungesund sei, man aber täglich 60 Liter pro Tag davon trinken müsse, um eine relevanter Wirkungsmenge aufzunehmen, begnügt man sich mit einem letzten Zarathustra Cocktail – laut Programmheft ein Drink für Hirn und Herz – und verliert sich wieder in den golden-abendlich schimmernden Gassen.


Eine Bar für Weltverweigerer
Zürich ist im Fieber, die Nati ist bereits auf dem Platz und alles schaut gebannt auf die Flat Screens der Cafés, Restaurants und Biergärten. Aber die Widder Bar liegt ruhig und verlassen in ihrer Gasse. In dieser Institution steht die Zeit still und alles Weltliche ist verbannt. Von einer Fußball-WM hat man hier noch nie gehört. Der Pianist beklimpert gekonnt alte Zeiten und im Takt des Vergessens werden Drinks an die wenigen weltverweigernden Gäste ausgeschenkt. Das voluminöse Rot des Interieurs kappt auch noch die letzten verbliebenen Leitungen an die Außenwelt. Die Uhrzeit sitzt in der Widder Bar nur auf der Reservebank.
Wir fahren einen Konter auf dem Grün. Ein Moscow Mule und ein Gin Basil Smash sollen ihre Wirkung tun und uns in die nächste Runde bringen. Beide bringen Frische, Aromatik und Schwung auf Gaumen und in die Venen. Einzig der Gin Basil Smash vermag mit einer Eiskugel doch mehr zu überzeugen und hält den Drink länger am Leben, als mit dem gereichten Crushed Ice. Insgesamt ein starker Auftritt.
Eine Bar der Hoffnung
Zurück in der Welt ist wieder aus der Welt. Die Altstadt ist wie leergefegt. Die Nati ist gegen Frankreich so brutal untergegangen, wie es einem manchmal nur in einer Dive-Bar ergehen kann. Es wird ein Ort gesucht, der einen in die Arme nimmt und Trost spendet. Das Old Crow ist so ein Ort. In einem schmalen Gässchen leuchtet ein freundlich helles Licht in die Hoffnung. Auch hier leidet man unter der Menschenebbe an einem heißen Freitagabend. Die Lounge im hinteren Bereich bleibt im Dunkeln. Also wird die Bar belagert. Eine große Auswahl an seltenen Spirituosen springt die Synapsen an und es folgt ein Wettstreit höchster Barkultur. Der Martinez reißt die baumelnde Seele wieder aus dem Schlaf. Elegant ausbalanciert und prägnant. Der Vieux Carreé stärkt das Rückgrat und verhilft zu neuer, aufrechter Haltung. Die Aromen tanzen miteinander und finden zu einem harmonischen und dynamischen Finale. Die Sterne sind in greifbarer Nähe.
Vergnügungslust im Ausnahmezustand
Ein strammer Marsch durch das noch immer unbewohnte Zürich. Hin und wieder huscht eine Gestalt durch die Finsternis, dröhnen Bässe aus Häusern. Aber es gibt ein Ziel, wo sich der Wahnsinn immer austobt. Die Langstraße, auch als Longstreet weltbekannt, bricht wie eine Riesenwelle auf die Suchenden herein. Eine Straße im Ausnahmezustand. Zunächst vermutet man eine Demo, ist es doch nur tausendfach tobende Vergnügungslust. Knietief waten die Enthemmten durch den Unrat, Flaschen zerspringen unter den Reifen der wenigen Autos, für den Öffentlichen Nahverkehr ist die Straße längst gesperrt. Trauben vor den Bumsbars, Prostitution auf der Straße, ein einziger Menschenstrom. Bedröhnte sitzen regungslos und ins Nichts starrend auf dem Bürgersteig. Die Niederlage gegen Frankreich wird hier kollektiv ertränkt. Am Würdevollsten noch die vielen Ladyboys, die stoisch dem Ansturm trotzen. Über einem Laden hängt ein Schild. „Die Sonne schien, da sie keine andere Wahl hatte, auf nichts Neues.“ Ein Zitat des bekennenden Whisky-Trinkers und Nobelpreisträgers Samuel Beckett. Ein anderes hätte besser gepasst: “Immer versucht. Immer gescheitert. Einerlei. Wieder versuchen. Wieder scheitern. Besser scheitern.”
Kopfab
Raus hier. Letzter Hafen Si o No in der Ankerstraße. Eine Szene-Institution. Lampen mit den Gesichtern von Hund, Mao, Baby. Wohnzimmeratmosphäre und coole Bartender. Am Tage Restaurant und Café. Hier verklingt angenehm das Getöse. Im Regal lauert ein Schweizer Malt Whisky – Säntis. Leicht bittere Malznoten verabschieden sich mit einem milden und samtenen Abgang, um von einem Schluck hopfigen Oak Wood Red Ale von Chopfab Begleitung zu finden. Chopfab, dieses schöne Wortspiel – Kopfab gesprochen – aus dem Landeskürzel und der Hopfendominanz schließt den Kreis zum Beginn des Abends. Und was mit tanzenden Sternen und dem Willen zur Macht begann, findet sein Ende mit dem Willen zur Nacht.

Credits

Foto: Zürich via Shutterstock

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