Fünfzehn Jahre „Barfly“: Meryem Celik und ihre einzigartige Radioshow
Sie ist eine der Stimmen der Berliner Barszene, und zwar im wörtlichen Sinne. Meryem Celik trat vor 15 Jahren die Moderation der Sendung „Barfly“ an und begleitet die Szene seither durch Höhen und Tiefen. MIXOLOGY Online gratuliert und spricht mit ihr über ihre Sendung, die in der deutschen Radiolandschaft ein Alleinstellungsmerkmal hat.
Auch wenn das Wochenende in Berlin bereits donnerstags zu beginnen scheint – offiziell startet es Freitagabend, gegen 19 Uhr, könnte man sagen. Zumindest einmal im Monat. Denn das ist der Moment, in dem jeden ersten Freitag auf Radio Eins die Sendung Barfly läuft.
Wer also in diesen dunklen Tagen das Haus nicht mehr verlassen will, der schalte das Radio ein und lausche der Stimme von Meryem Celik. Sie moderiert Barfly seit nun 15 Jahren, im Sommer wurde in der Bar Clara auf dem Dach der Fotografiska die Jubiläumssendung gesendet. 15 Jahre sind eine steile Menge an Jahren – wenn man einmal bedenkt, welch markante Kerbe schon allein die Entwicklungen innerhalb der letzt fünf Jahre in die Gastronomie geschlagen hat. Zum Vergleich: 2009 war das Jahr, in dem Michael Jackson starb, Barack Obama als erster afroamerikanischer Präsident das Weiße Haus bezog und in Deutschland Konjunkturpakete geschnürt wurden.
In wenigen Sätzen zusammenfassen, was in diesen 15 Jahren in der Sendung passiert ist, geht nicht. Aber fragen kann man ja dennoch. „Die Sendung hat sich von einer kleinen, verstecken Perle der Nacht mit viel Musik für Nightshifters, Nachtportiers und Taxifahrern zu einem einzigartigen Live-Show Entertainment-Format entwickelt, mit Experten und neuen Barkonzepten, Neuigkeiten aus der Barbranche, Live-Musik und Verkostung im Publikum. Jede Bar bringt einen kleinen Schluck mit, quasi als Visitenkarte. Und es wird auch immer öfter getanzt“, fasst Meryem Celik zusammen. Zwar hat sie keine Shantys, doch das heißt nicht, dass es bei ihr weniger ausgelassen oder gar leiser zugeht.
Ein Unikat in der deutschen Radiolandschaft
Meryem Celik ist Radiomoderatorin, Chorsängerin und Synchronsprecherin für alles Vertonbare. Sie spricht für und in Magazinen, TV-Formaten, Radio- und Fernsehtrailern, in Werbespots, Voice-Overs oder Dokumentationen. Wenn sie nicht gerade die Berliner Barszene porträtiert, agiert sie als Redakteurin und Produzentin von „Hörbar Rust“, einer stadtbekannten Sendung mit Bettina Rust, die jeden Sonntag auf Radio Eins läuft. Ihre unverkennbar sanfte Stimme hört man zudem in Filmen, Serien, Videospielen sowie in Hörspielen. Hat man einmal ihrem Chor, den „Happy Disharmonists“, gelauscht, drängt sich die Frage, weshalb sie in ihrer eigenen Sendung nicht eigentlich ebenfalls singt, regelrecht auf. Die Antwort ist einleuchtend: Weil Barfly ein absolutes Unikat ist. In dieser Form erlebbare Barkultur gibt es in der deutschen Radiolandschaft nicht – nicht in dieser Regelmäßigkeit, und schon gar nicht im öffentlich-rechtlichen Rundfunk.
„Das war wirklich die allererste Sendung in Berlin, nein in ganz Deutschland, mit diesem Format, das hat vielen Bars geholfen“, erinnert sich Thomas Pflanz, Besitzer der Charlottenburger Bar-Institution Hildegard Bar, an den Barfly-Beginn: „Da wurde den Leuten erklärt, um was es in unserer Welt geht, und das hat auch zur Prägung des Begriffs der Barkultur beigetragen; dass das also wirklich Kultur ist, die sich in dieser Stadt seit den 1920er Jahren an den Tresen ereignet. Dafür ist die Ausstrahlung der Sendung ein absolutes Highlight gewesen.”
Auch in der schwierigen Pandemiezeit da
In den zwei Stunden unter Celiks Ägide kommt also die Prominenz der Szene zu Wort, es wird musiziert, getrunken und geschnackt: Über Getränke und das Tresenwesen an sich, und um all die Geschichten, die man am Tresen zu erlebt. „Für jeden ist bei der Sendung etwas dabei und die Zeit vergeht immer wahnsinnig kurzweilig“, so Meryem Celik, „und dann geht man schlau nach Hause – und vielleicht auch ein bisschen blau“, lacht sie.
Eine größere Amplitude in den Entwicklungen der vergangenen Jahre, und das hat wohl jeder und jede in der Gastrowelt zu spüren bekommen, war die Pandemie. Übers Radio kann man sich immerhin nicht mit einem Virus anstecken, so richtig entspannt war es aber auch für Celik nicht. Denn eine Sendung, die sich dem Zusammensein und dem Wesen der Bar widmet, leidet nicht nur mit den Gastronom:innen mit, sondern funktioniert ohne Menschen nur auf Sparflamme; ähnlich spaßig wie etwa Cocktails hinter Scheiben. „Als 2020 dieser Einschnitt durch Corona kam, wurde es schwierig, die Sendung zu halten: Alle Bars hatten geschlossen, und ich saß vollkommen alleine in unserem Studio eins im Bikini Berlin, Gäste waren nicht mehr erlaubt, Publikum schon lange nicht mehr“, erinnert sie sich. „Nur der Tontechniker und ich waren da, natürlich durch eine Scheibe getrennt, und Interviews waren nur über das Telefon möglich. Barfly stand auch auf der Kippe, wurde aber schließlich zum Sprachrohr, ein Ort für Sorgen und vor allem einer, um Support zu verbreiten. Unterstützung kam aus den eigenen Reihen, denn die Barszene wurde aus der Not kreativ, von Bottled Cocktails To-Go über Online-Tastings, Crowdfunding- und Support-your-local-Heroes-Plattformen. Leerstehende Geisterbars wurden porträtiert und haben sich in Ausstellungen und Büchern wiedergefunden.“ Über all das hat Celik berichtet und der Szene ein akkustisches Forum geboten, einander auszutauschen, wenn auch nicht in einem Raum.
Die Schönheit der Schnapsideen
Angefangen hat das Ganze naturgemäß als „Schnapsidee“ vom damaligen Redakteur und Erfinder Lutz Oehmichen, der gerne in Bars ging. Das „Hörmagazin“ sollte eigentlich die nächtliche Musikstrecke von 1 Uhr bis 5 Uhr auf radioeins vier Stunden lang überbrücken. Schöne Barmusik sollte das werden, versehen mit Rubriken wie „Das kleine Barlexikon“, die „Liquid Lyrics“ oder „Der Schluck aus dem Buch“, also Wissenswertes aus der Barliteratur, dargeboten von Synchronsprecher Michael Noack, der später auch die „Einsichten“ bei Radio Eins vertonte. „Mit der Zeit bekamen immer mehr Leute davon mit, und dank dieser Beliebtheit ist Barfly ins stärker frequentierte Abendprogramm aufgestiegen, halbiert auf zwei Stunden von 23 -1 Uhr. Ich dachte anfangs, ich mache die Sendung vielleicht zwei Jahre und dann gehen mir die guten Bars und Ideen aus. Aber Berlin ist eine unerschöpfliche Schatztruhe an Barkonzepten.“
Wer ihr beim Erzählen zuhört, wie sie von den Schönheiten des Sprechens über das Barwesen schwärmt, versteht schnell, dass Beruf und Berufung hier deckungsgleich sind. Das bemerken natürlich auch die Gäste, das spürt das Publikum. Anfänglich hat sie ihre Gäste durch Zufall entdeckt oder nach ihnen recherchiert, aber „inzwischen kommen die Gäste von selbst. Ein Geschenk! Ob neue oder alte Barbetreiber, Autoren der Barliteratur, Experten und Expertinnen der innovativen Barkultur, Festival Macher, Musiker der Nacht.”
Letzte Show in diesem Jahr: ausverkauft
Ihre persönlichen Lieblingsbars erstrecken sich über die ganze Stadt und reichen über Klassiker wie dem Velvet, Green Door oder Becketts Kopf oder Fasanen 47 bis hin zur bereits erwähnten Hildegard Bar, die sie mit „lyrischen Drinks und musikalischen Cocktails“ zusammenfasst. Tonalität und liquide Aromen, hier ist Celik Zuhause. Im Übrigen moderiert sie nicht nur Barfly, sondern wird auch gerne einmal angefragt, wenn es allgemein um schnapsige Moderationen geht – so auch etwa die Craft Spirit Awards dieses Jahres. Über Drinks, Bars, Destillate und die flüssige Astronomie zu sprechen, das ist ihr Ding.
Überzeugen kann man sich dessen am 6. Dezember, der letzten Show in diesem Jubiläums-Jahr. „Die Tickets sind bereits vergriffen“, muss Meryem Celik jetzt aber Neugierige aufs nächste Jahr vertrösten. Kein Wunder, angereist wird mitunter aus Erfurt und Hannover, oft gibt es lediglich Wartelistenplätze.
Doch alle Gäste sind vereint nach zwei Stunden Gespräch, Live-Musik, Tanz und Talkshow: Nach Hause gehen sie schlau – und vielleicht eben auch ein bisschen blau.
Die nächste Barfly-Show ist am 10. Januar (19 – 21 Uhr) im Bikini Berlin. Die Tickets sind kostenlos, allerdings nur gegen Voranmeldung zu haben. Diese beginnt zehn Tage vor der Show. Hier geht es zum Ticket-Link. Gäste sind voraussichtlich Elias Heintz (Bonvivant) und Isabella Steiner (nüchtern.Berlin), als Music-Act wartet mit „Chat Noir“ Gipsy-Swing aus Berlin.
Credits
Foto: Meryem Celik