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Rückblick auf das erste deutsche Agavenforum

Mexiko in München: Das war das erste deutsche Agavenforum

In der Trisoux Bar fand Mitte April der „Club Cantina“ statt. Was wie eine Partyreihe klingen mag, war in Wahrheit das erste deutsche Agavenforum, das sich auf unterschiedliche Weise mit dem Thema Tequila, Mezcal und Agavenbränden – sowie den Folgen deren steigender Popularität – auseinandersetzt. MIXOLOGY Online war vor Ort.

Um einen bekannten Werbespruch der 1990er abzuwandeln: Die Geschichte der Agavendestillate ist eine Geschichte voller Missverständnisse.

Wobei es sich dabei bislang um eine eher kurze Geschichte gehandelt hat, eine Geschichte, die in einem Pixibuch auserzählt werden kann. Die Jahrzehnte des Mixto-Tequila-Shots haben ihren dunklen Schatten über das Land gelegt, und auch, wenn derzeit weltweit keine Spirituose so im Fokus steht wie der Agavenbrand in all seinen Variationen, so hat man dennoch das Gefühl, dass die Aufklärungsarbeit noch lange nicht vorbei ist.

Starker Zuspruch an Interessierten

Natürlich ist der Wissensstand in der Bar schon lange weit über Weiß-Zitrone-Salz und Braun-Orange-Zimt hinaus; die Backbars der Republik führen in aller Regel zumindest eine kleine Auswahl hochwertiger Mezcals und Tequilas, aber es zeigt sich auch ein alter Grundsatz des Marketings: Wenn dem Verkäufer ein Thema schon bis zu den Ohren steht, reicht es dem Kunden gerade mal bis zu den Fußknöcheln. Weil aber auch den Verkäufern das Thema noch lange nicht bis zu den Ohren steht und man das Missionieren in dieser Beziehung ja auch nicht alleine Betty Kupsa überlassen kann, der Jeanne d’Agave aus Hamburg, fand vor wenigen Tagen in München das erste deutsche Agavenforum statt – und daraus wurde eine in mehrfacher Hinsicht bemerkenswerte Angelegenheit.

Zum Einen war der Zuspruch enorm, geradezu phänomenal eigentlich für eine Fortbildung auf freiwilliger Basis. Die Trisoux Bar wies schon nachmittags eine Publikumsdichte wie an Wochenenden auf; über 60 Interessierte aus allen Bereichen der Branche bewiesen, dass ihnen das Bedürfnis nach Wissenserweiterung rund um den Mexikanerspargel gerne einen Nachmittag wert war.

Zum Anderen war der „Club Cantina“, so die Alternativbezeichnung des Forums, ein wunderschöner Beweis für Kooperation abseits der Gewinnmaximierung: Obwohl die Initiative vor einiger Zeit durch Gernot Allnoch (San Cosme), Manuel Weißkopf (Dr. Sours), Markus Nikowitsch (Tequila-Kontor.de) sowie Benjamin Teeuwsen (Tequiladealer.de) entstand, wurde letztlich eine recht Brand-übergreifende Veranstaltung daraus, in der auch Patrón, Mayaciel, Beú Spirits und Volcan – im Wortsinn – mitmischten, dabei unterstützt noch von Aqua Monaco.

Im Fokus standen Vorträge rund um das Thema Agave
Im Fokus standen Vorträge rund um das Thema Agave

Bekanntes und Unbekanntes

Den Protagonisten ging es dabei tatsächlich eher sekundär darum, ihre Produkte zu zeigen, sondern vielmehr, den an sich erfreulichen, weltweiten Siegeszug der Agave zu betrachten, zu beleuchten und auch kritisch zu hinterfragen.

Viel Grundlegendes wurde vorgetragen, manches bekannt, vieles nicht oder nur ungefähr; die verschiedenen Regulatorien bezüglich Tequila (blaue Weber-Agave, fünf Bundesstaaten, zweifach destilliert, usw.) und Mezcal (45 Agavensorten, aus zehn Bundesstaaten, auch zweifach destilliert), die verschiedenen Reife- und Alterskategorien, dann noch die nahen und etwas entfernteren Verwandten Raicilla und Sotol – die Eckpfeiler waren gut abgedeckt.

Das eigentliche Herz der Veranstaltung lag dann aber beim Umgang mit dem Erfolg des Produktes, und da unterschied man sich doch deutlich von der Jahreshauptversammlung eines Automobilherstellers. Es herrschte nicht der zu erwartende, reine Enthusiamsus angesichts des Umstandes, dass sich der Umsatz kategorieübergreifend innerhalb von zehn Jahren tatsächlich verzehnfacht hat. Die Agave ist wichtig in Mexiko, sie ist ein Mittel gegen Armut und Landflucht, aber mit jedem Boom steigt auch die Möglichkeit der Ausbeutung einerseits und auch die Verantwortung der Produzenten andererseits. Die Agavenpreise schwanken nach wie vor stark, Angebot und Nachfrage regeln sich bei einem Naturprodukt mit mehrjähriger Reifezeit nicht mal eben so nebenbei; verlangt das nach einer verbandsgesteuerten Regulierung oder droht eine „Agaven-OPEC“, möglicherweise gar eine planwirtschaftliche Katastrophe? Wie wird die Industrialisierung eines Naturproduktes sowohl das Produkt als auch die Natur verändern? Wie lassen sich arbeits- und umweltpolitische Werte unserer Gesellschaft auch dort verwirklichen?

Wir sprechen auch von einem Produkt, das um die halbe Welt reist, bevor es bei uns im Shaker landet, da ist die Gefahr der Heuchelei groß. Der Bedarf sowohl an Wasser als auch an Holz ist immens, und beides besitzt Mexiko nicht im Überfluss – haben wir dem Land nach der Acocado und der Limette schon wieder eine Sündenfrucht aufgebürdet? Fragen über Fragen. Früher wurde die Weber-Agave nach etwa 15 Jahren geerntet, heute schon nach gut einem Drittel der Zeit. Das muss nun nicht grundsätzlich verwerflich sein; Studien haben gezeigt, dass die Agaven zu diesem Zeitpunkt bereits ihr Maximum an Zuckergehalt erreicht haben. Die Gefahr ist allerdings naheliegend, dass bei gleichbleibend hoher Nachfrage vielleicht auch bald Frühreifes geerntet wird, ebenso wie die Bedrohung ursprünglicher Landschaften durch den erhöhten Platzbedarf.

Über 60 Interessierte fanden sich nachmittags in der Trisoux Bar ein
Über 60 Interessierte fanden sich nachmittags in der Trisoux Bar ein

Kinder mit unberechenbaren, überraschenden Fähigkeiten

Es gibt allerdings auch Positives zu vermelden: Der steigende Ruhm der Agavenprodukte beruht fast ausschließlich auf den guten Qualitäten mit 100% Agavenanteil, die mittlerweile auch ein starkes Gewicht am Gesamtausstoß tragen. Alte Techniken werden wiederentdeckt und führen zu neuen, wenn auch produktionsbedingt sehr geringen Absatzmengen, aber für jeden Afficionada ist der Mezcal ancestral eine möglicherweise unbekannte und doch unendlich spannende Spielwiese. Beim Tequila sind etliche Zusatzstoffe erlaubt, teils kennzeichnungspflichtig, teils nicht, aber schon gibt es Produzenten, die damit werben, komplett ohne Additive auszukommen, und auf tequilamatchmaker.com kann man sich detailliert darüber informieren, was es mit der eigenen Lieblingsmarke so auf sich hat.

Es bleibt also aufregend im Bereich der Agave, die immer wieder Kinder mit ganz unberechenbaren, überraschenden Fähigkeiten hervorbringt, und diese Kinder haben es eben auch verdient, in all ihrer Unterschiedlichkeit wahrgenommen zu werden. Man darf nicht vergessen, dass die Zielgruppe, die man jetzt für den Erwerb einer hochwertigen Flasche Tequila oder Mezcal begeistern will, altersgemäß recht genau zum Kreis derer gehört, die in ihrer Jugend ein entsetzliches Tequila-Erlebnis hatten und auch Jahre später alleine auf den Namen mit ausgesprochenem Widerwillen reagieren. Dazu kommt noch eine offensichtlich globale Experimentierfaulheit: auch in den USA, traditionell eher vertraut mit Tequila und Mezcal, scheint es immer wieder Berührungsängste mit Marken zu geben, die nicht gerade ein Filmstar in die Kamera hält.

Selbst Julio Bermejo, legendärer Erfinder der legendären Tommy’s Margarita, äußert sich oft dezent enttäuscht über den Unwillen seiner Gäste, seine Schöpfung auch einmal etwa mit einem krätigeren Mezcal zu versuchen, obwohl ja gerade der Agavensaft im Drink bestens geeignet ist, die verschiedensten Brände in ihrer Charakteristik zu unterstützen. Es lohnt sich also immer, geschmackliche Wagnisse einzugehen, und andererseits auch zu verfolgen, wie sich dieser Markt weiter entwickelt. Was wird passieren, wenn die Märkte in China und Indien Mezcal entdecken? Selbst ein dezent gesteigertes Interesse in den Milliardenländern würde den Markt erbeben lassen.

Geschichte wiederholt sich. Das Agavenforum auch

Aber die Spirituosenwelt hat diese Entwicklung bislang ja auch irgendwie verkraftet. Spannend wird es auf jeden Fall. Vielleicht lohnt es sich ja schon, den ein oder anderen Extra Añejo als Wertanlage aufzubewahren?

Geschichte wiederholt sich. Wir warten auf die ersten heimischen Obstbrenner, die in ihren Weißeiche-Fässern den eigenen Mezcal reifen. Der Club Cantina will auch noch weiterziehen und in anderen Städten seine Pforten öffnen. Ein Besuch sei wärmstens empfohlen.

Credits

Foto: Club Cantina

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