Der Unsichtbare: Ein Hoch auf den Mint Julep
Der Mint Julep steht zusammen mit dem Punch am Beginn der neuzeitlichen Historie gemischter Drinks. Der Minz-Klassiker ist abseits der Barszene aber immer noch vergessen. Tatsächlich ist er nach wie vor „vergessener“, als dies bei vielen seiner jüngeren Verwandten der Fall ist. Dabei kann er weit mehr als die bloße Kombination von Minze und Whiskey.
„Then comes the zenith of man’s pleasure. Then comes the julep – the mint julep. Who has not tasted one has lived in vain. The honey of Hymettus brought no such solace to the soul; the nectar of the Gods is tame beside it. It is the very dream of drinks, the vision of sweet quaffings.“
So lauten die ersten Sätze eines wunderbaren Stückes Prosa über den Mint Julep, das in den 1880er Jahren in der Zeitung The Lexington Herald in Kentucky veröffentlicht wurde und in welchem sein Autor Joshua Soule Smith diesen Klassiker hymnisch besingt. Obwohl die Kategorie „Julep“ bereits in den frühesten Barbüchern einen festen Platz für sich beansprucht, führt der Drink heute in den meisten Bars jedoch ein Schattendasein. In den wenigsten Trinkstätten findet er sich auf der Karte oder wird in größeren Mengen verkauft. Zeit, ihn wiederzubeleben!
Mint Julep: Vom Rosenwasser zur Minze
Beginnen wir mit ein wenig Etymologie und Geschichte: Die Ursprünge seines Namens liegen weit zurück: Der Begriff Julep leitet sich ab vom persischen Wort Gul-ab, was soviel wie „Rosenwasser“ bedeutet. Aber inwiefern hat Rosenwasser etwas mit dem Julep zu tun, wie wir ihn heute kennen? Harry Schraemli bemerkte dazu Anfang des 20. Jahrhunderts in Das große Lehrbuch der Bar: „Als ältestes gemischtes Getränk, das in die Kategorie der sogenannten ‚American-Drinks‘ fällt, betrachte ich den ‚Julep’. In einem Kochbuche aus dem Jahre 1540 finde ich ihn bereits erwähnt.“
Leider nennt Schraemli nicht den Namen des Kochbuchs. Es ist jedoch anzunehmen, dass es sich bei dem von ihm entdeckten Getränk eher um ein alkoholfreies Erfrischungsgetränk denn um einen „richtigen“ Drink handelt. Der Pseudonym-Autor Alchemyst vom mehr als lesenswerten Trinklaune-Blog führt eine weitere, nur unwesentlich jüngere Referenz ins Feld: Im ältesten gedruckten Arzneibuch aus Deutschland, im Dispensatorium des Valerius Cordus aus dem Jahre 1546 ist ein Ivleb Rosatvm zu finden. Das Rezept lautet:
– Aquæ rosarum
– Sacchari clarificati
– Fiat cum diligētia secundum artem.
Frei übersetzt: „Wasserrosen (bzw. Rosenwasser), klarer Zucker; lass es sorgfältig entstehen, nach den Regeln der Kunst.“ Der Julep in seiner ursprünglichen Form, wie er in Koch- und Arzneibüchern Nennung fand, hatte also zunächst anscheinend mehrere Funktionen. Einerseits eine medizinische, wenn die Einnahme bitterer Medizin durch Beimischung von Rosenwasser und Zucker schmackhafter und somit erträglicher gemacht wurde. Andererseits diente er auch als eine Art Limonade, die zur Kühlung und Kräftigung, wahrscheinlich mit Wasser verlängert, getrunken wurde.
Neben Rosenwasser fanden jedoch auch andere Zusätze, wie beispielsweise Veilchenessenz, Verwendung. Die Vermutung liegt daher nahe, dass auch Minze zum Aromatisieren von Wasser genutzt wurde – und genau darin die Verbindung zum „modernen“ Julep liegen könnte. Die Verbindung von Minze, Zucker und einem Destillat ist aller Wahrscheinlichkeit nach eine originär amerikanische Erfindung, die erst zwei Jahrhunderte später das Licht der Welt erblickte.
Geburt in Virginia, Reife in New York
Für diese These sprechen auch die Recherchen des Cocktailhistorikers David Wondrich. Er kennt zwei frühe Hinweise auf den Julep als amerikanischen recreational drink. Die beiden Quellen, auf die er sich bezieht, stammen aus der Zeit um 1770. Auch für ihn handelt es sich aufgrund dessen um den „first true American drink“.
Vieles weist in Wondrichs Augen darauf hin, dass der Drink in seiner heute noch bekannten Form zuerst in Virginia zubereitet wurde. Ein Beleg für diese These mag die Bemerkung eines englischen Seemanns namens John Davies sein, der in seinem 1803 erschienenen Buch Travel of Four Years and a Half in the United States den Julep als „a dram of spirituous liquor that has mint steeped in it, taken by Virginians of a morning” beschreibt.
Wondrich nimmt an, der Bartender Orsamus Willard, der im City Hotel in New York arbeitete, sei schließlich derjenige gewesen, der die Zugabe von Eis im Julep populär machte.
Und eben dort beginnt die Geschichte des Mint Juleps erst richtig: Die flächendeckende Verfügbarkeit von Eis nahm 1806 mit einem Mann namens Frederic Tudor ihren Anfang. Dieser hatte die revolutionäre Idee, mit gefrorenem Wasser Geld zu verdienen. Mitte der 1820er Jahre erfand Tudors Freund Nathaniel Jarvis Wyeth den Eispflug, der es ermöglichte, massive Eisblöcke aus zugefrorenen Seen zu schneiden und anschließend zu verschiffen. Der Eishandel wuchs, und so wurde es auch den Bewohnern der heißen Südstaaten möglich, gekühlte Drinks zu genießen.
Mint Julep, die Kombination aus Silber und Minze
Ein gut gemachter Mint Julep besticht auch optisch. Jeder Bartender, der etwas auf sich hält, wird ihn in einem Silberbecher servieren. Neben dem edlen Aussehen hat Silber einen weiteren Vorteil: Es hat die höchste thermische Leitfähigkeit aller Metalle und leitet Wärme um ein vielfaches besser als beispielsweise Glas oder Porzellan. Diese Eigenschaft bewirkt, dass ein in einem solchen Gefäß servierter Drink überdurchschnittlich kalt werden kann.
Weiter zu den Zutaten! Die Wahl der Minze will wohl bedacht sein. Am besten eignet sich die Sorte „Kentucky Colonel“, die auch beim alljährlich im Frühling stattfinden Kentucky Derby verwendet wird. Es handelt sich um eine Kreuzung aus grüner Minze und Apfelminze. In Europa ist diese Sorte auch als „Kentucky Spearmint“ bekannt. Wichtig ist es in jedem Fall, eine aromatische Minze, die jedoch nicht zu scharf und nicht zu mentholhaltig ist, zu wählen. Sehr intensive Sorten wie beispielsweise Pfefferminze eignen sich nicht. Bei der Zubereitung sollten nur die Blätter, am besten die Spitzen – in keinem Fall jedoch die Stiele! – Verwendung finden.
Die Kombination aus Eis, kühlender Minze und der Fähigkeit des Silbers, das Getränk kälter werden zu lassen als jedes andere Behältnis, ist der eigentliche Clou. Der Vollständigkeit halber noch ein kurzes Wort zur Zuckerquelle: Aufgrund der besseren Löslichkeit eignet sich ein Zuckersirup am besten. Und tendenziell ist weniger Zucker mehr, ein Barlöffel genügt schon in den meisten Fällen.
Skorpione in Kinderbetten
Die Frage, ob die Minze beim Servieren im Julep verbleiben darf oder nicht, erhitzt die Gemüter, seit es den Drink gibt. In Irvin S. Cobb’s Own Recipe Book von 1936 ist zu lesen: „My grandfather always insisted that a man who would let the crushed leaves and the mangled stemlets steep in the finished concoction would put scorpions in a baby’s bed.“ Eine mehr als deutliche Absage an die Minze im fertigen Drink! Der eingangs bereits zitierte Joshua Soule Smith gibt in seinem Text eine ausführliche Anleitung zur Zubereitung:
„How shall it be? Take from the cold spring some water, pure as angels are; mix it with sugar till it seems like oil. Then take a glass and crush your mint within it with a spoon – crush it around the borders of the glass and leave no place untouched. Then throw the mint away – it is the sacrifice. Fill with cracked ice the glass; pour in the quantity of Bourbon which you want. It trickles slowly through the ice. Let it have time to cool, then pour your sugared water over it. No spoon is needed; no stirring allowed – just let it stand a moment. Then around the brim place sprigs of mint, so that the one who drinks may find the taste and odor at one draft.“
Auch bei ihm wird die Minze, nachdem sie den Becher aromatisiert hat, „geopfert“ und nicht im fertigen Drink belassen. Und tatsächlich verändern die Blätter, verbleiben sie im Trinkgefäß, den Drink mit der Zeit durchaus nachteilig: Der Julep wird dann, sofern er nicht schnell getrunken wird, bitter und bekommt einen unangenehm krautigen Beigeschmack.
Mario Kappes etwa, heute als Markenbotschafter in Diensten des Borco Marken Import, schlug in seinen langjährigen Zeit als Bartender im Le Lion vor, den Julep im Rührglas mit Crushed Ice oder Ice Nuggets anzusetzen und einige Minuten ziehen zu lassen, bevor der Drink dann schließlich auf frisches Eis in den Silberbecher gegeben und mit einigen Minzspitzen dekoriert wird. Und tatsächlich lassen sich mit dieser Verfahrensweise herausragende Ergebnisse erzielen! Die Balance von leichten, subtilen Minzaromen, dezenter Süße und der Prominenz der gewählten Spirituose steht in perfekter Harmonie.
Das dabei entstandene Schmelzwasser öffnet und glättet den Drink auf angenehme Weise.
Die Minze sollte in diesem Zusammenhang ein wenig wie Tee verstanden werden und eine gewisse Ziehzeit nicht überschreiten. Bei unseren Versuchen in der Gekkos Bar haben wir eine Dauer von fünf bis sechs Minuten als Ideal empfunden. Ein gut gemachter Julep erfordert auch vom Gast bei der Zubereitung ein wenig Geduld.
Mannigfaltige Minze-Möglichkeiten
Joshua Soule Smith nennt Bourbon als Basis. Historisch gesehen variierte die Spirituose allerdings mehrfach. Zu Beginn des 18. Jahrhunderts handelte es sich laut Wondrich um einen Rum-Drink. Während des Amerikanischen Unabhängigkeitskrieges, der von 1775 bis 1783 wütete, wurde der Mint Julep wohl zum ersten Mal mit Whiskey zubereitet. Als der Reichtum des Landes stieg, wurde für ihn bis zum Sezessionskrieg (1861 bis 1865) am liebsten Brandy – vermutlich in erster Linie Cognac aus dem verbündeten Frankreich – verwendet. Danach und bis heute war American Whiskey dann wieder die erste Wahl.
Man sieht jedoch: Es muss nicht immer Bourbon sein! Auch Jerry Thomas nennt in seinem Bar-Tender‘s Guide bereits fünf verschiedene Julep-Rezepte: mit Cognac, Brandy, Gin, Whiskey und Schaumwein. Den damals schon hohen Stellenwert der Drink-Gattung „Julep“ unterstreicht die Tatsache, dass in Thomas’ Buch sogar die Illustration eines Juleps zu finden ist.
Jeffrey Morgenthaler wiederum interpretiert den Mint Julep wie einen Old Fashioned, bei dem die Minze die Position der Bitters einnimmt. Kein falscher Gedanke, denn generell lässt sich sagen: Wie der Old Fashioned funktioniert auch der Mint Julep mit jeder fassgelagerten Spirituose. Aber auch Gin oder Genever sind hervorragende Optionen.
Beim Blick in die Literatur finden sich weitere reizvolle Varianten: Klaus St. Rainer aus der Goldenen Bar in München servierte früher gerne einen Ardbeg Julep, den er mit Lavendelblüten anstelle eines Minzbouquets als Garnitur serviert. Im 1896 erschienenen Buch Bariana von Louis Fouquet findet sich ein Mint Julep mit Cognac und Chartreuse jaune, der zusätzlich mit einigen Dashes gelagertem Rhum Agricole verfeinert wird. Eine weitere empfehlenswerte Spielart wäre der Prescription Julep, bestehend aus Cognac und Rye zu gleichen Teilen und einem kleinen Supplement Jamaica Rum.
Den Möglichkeiten sind nahezu keine Grenzen gesetzt. Also geben Sie dem Mint Julep wieder die Aufmerksamkeit, die er verdient. Wenn er gut gemacht ist, ist er ein einzigartiges Erlebnis – mit nahezu jeder Spirituose!
Anm.: Dieser Text erschien in leicht veränderter Form in der Print-Ausgabe 05-15 von MIXOLOGY – Magazin für Barkultur.
Credits
Foto: Constantin Falk