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Peer Review für die Bar: die Idee hinter „Mixology Professional“

Jeder kann und soll schreiben: Mit der Plattform „Mixology Professional“ schieben wir gemeinsam mit der Bar-Community einen fachlichen Diskurs an. Dabei setzen wir auf das Verfahren der Peer Review, im wissenschaftlichen Bereich eines der populärsten Instrumente zur Sicherung inhaltlicher Qualität. Unser Ziel: Die Grenze zwischen Magazin und Leserschaft aufbrechen und eine öffentliche Diskussion auf Augenhöhe ermöglichen.

Jeder Bartender wird das kennen: In einem Blog, einem Forum oder einer Gruppe innerhalb der Sozialen Medien wird in einem Post ein fachliches Thema angesprochen, egal ob handwerklich, technisch, juristisch oder soziologisch. Man setzt auf Offenheit und die sogenannte Schwarmintelligenz. Allein – das Feedback ist oft nicht so, wie es sein sollte, wenn Fachleute debattieren. Schnell ufern derartige Kommentardiskussionen aus in ideologische Grabenkämpfe, werden persönliche oder szene-interne Befindlichkeiten aufgewärmt und es gibt flache Vorwurfseinleitungen à la „Da geben ja schon wieder echte Experten ihren Senf dazu“.

Fachlichen Diskurs neu anschieben

Der Schwarm, er ist nicht immer so intelligent, wie man es ihm gern unterstellen mag. Vor allem ist er immer wieder unsachlich und redet an der Sache vorbei, weil er Stolz vor Inhalt stellt. Natürlich kennen auch wir von MIXOLOGY und viele unserer Leser diese Problematik aus vielen Jahren aktiver, publizistischer Arbeit. 

Und es wäre auch weltfremd zu meinen, dass so etwas aufhört. Die Menschen reagieren emotional, wenn man sie mit Themen triggert, die sie selbst oder ihren beruflichen Alltag berühren. Sowas findet statt, kein Problem. Aber: Solche Unterhaltungen sind selten fachlich, und in noch selteneren Fällen sind sie bereichernd. Das möchten wir ändern.

In den frühen Jahren von MIXOLOGY wirkte der fachliche Diskurs (nicht nur bei uns, sondern generell) disziplinierter, weniger geformt von Emotionen. Damals steckten allerdings alle Sozialen Netzwerke (wenn überhaupt) noch in den Kinderschuhen, und das öffentliche Kommunikationsverhalten der meisten Menschen war deutlich anders geprägt, auch von deutlich mehr Langsamkeit. Oder man könnte auch sagen: Von mehr aufgewendeter Zeit pro Kommentar. Freilich gab es endlose Debatten, aber sie schienen weniger von Befindlichkeiten geprägt, sondern von fachlichem Interesse – wie es sich für den Austausch in der Peripherie eines Fach- oder Special-Interest-Magazins auch gehört. 

Mixology Professional: back to the roots

An diesen früheren, öffentlichen und für alle professionellen Bartender einsehbaren Diskurs möchten wir im Jahre 2019 gerne neu anschließen – mit dem Format MIXOLOGY PROFESSIONAL. Dahinter verbirgt sich die Idee, den fachlichen, konstruktiven und progressiven Austausch professioneller Barleute an einem zentralen Ort wiederzubeleben, und zwar mit einem völlig neuen Einbezug aktiver Bartender und Bartenderinnen. Dabei sollen einige Praktiken aus dem Bereich des Wissenschaftsbetriebes aufgegriffen werden:

  • In regelmäßigen Abständen sendet MIXOLOGY einen öffentlichen Call for Papers ab, also die Bitte an aktive Barleute und Barbetreiber, eine kurze Idee bzw. ein kurzes Exposé über einen fachlichen Text oder Essay zu einem spezifischen Bar-Thema an die Redaktion zu senden. Die Themenwahl steht dabei den Einsendenden vollkommen frei.
  • Die Redaktion prüft die Vorschläge und bittet die ausgewählten Personen, auf Grundlage ihres Exposés einen entsprechenden Text zu verfassen, der veröffentlicht werden soll.
  • Der Text wird durch die MIXOLOGY-Redaktion einem professionellen Lektorat und Redigat unterzogen, die Bildredaktion des Verlags kümmert sich um eine angemessene Bebilderung, falls nicht vorhanden. Vor der Veröffentlichung wird das redigierte Manuskript dem Autor zur Abnahme und Abstimmung erneut zugesendet. Also: Kein Text wird veröffentlicht, der nicht zuvor nochmal zum Autor bzw. zur Autorin zur Ansicht zurück geschickt wird!
  • Jeder in Auftrag gegebene und veröffentlichte Beitrag wird ganz regulär gegen Rechnung vergütet.
  • Es können auch ohne vorherige Absprache vollständige Texte eingereicht werden, es besteht allerdings kein automatischer Anspruch auf Veröffentlichung oder Vergütung.

Die abstrakte Grenze aufbrechen

Damit geschieht etwas, was es in dieser Form bei MIXOLOGY noch nicht gegeben hat: Es wird jedem Interessenten die Möglichkeit geboten, sich mit der Idee für einen fachlichen Textbeitrag direkt an die Redaktion zu wenden. Die abstrakte Grenze zwischen dem Magazin und seinen Autoren auf der einen, der professionellen Leserschaft auf der anderen Seite wird aufgebrochen. 

Mit dem Call for Papers hat prinzipiell jeder Bartender die Gelegenheit, sich, sein fachliches Können und eventuelles hochspezifisches Fachwissen einzubringen, darzulegen und zur Diskussion zu stellen. Ganz gleich, ob es sich dabei um einen berühmten Bartender aus Frankfurt oder München handelt, oder aber um einen unbekannten Protagonisten aus Bremen, Heilbronn oder Magdeburg – dessen Name vielleicht schlicht zu wenig bekannt ist, der aber gleichzeitig interessante Fortschritte in einer speziellen Teilmaterie des Bar-Berufs entwickelt hat.

Mixology Professional als neutrale Plattform

Die Texte, die so zustande kommen und veröffentlicht werden, sollen sich nicht in erster Linie als journalistisch verstehen, sondern als Beiträge, wie sie auch in wissenschaftlichen Fachjournalen stattfinden: Es soll in ihnen nicht um Meinungen oder persönliche Auffassungen gehen, sondern um die Darstellung eines spezifischen Teilaspektes des Bar-Handwerks. Wer eine These z.B. in Bezug auf eine Arbeitsmethode, die bestimmte Behandlung einer Zutat, eine neuartige Verwendung eines technischen Geräts, ein betriebswirtschaftliches Thema oder einen Punkt des Personalmanagements aufstellen und mit seinen Erfahrungen sowie einschlägigen Argumenten versehen kann, der ist herzlich willkommen. MIXOLOGY PROFESSIONAL dient dabei als eine Plattform, auf der diese Beiträge stattfinden können, die eventuell sonst niemals in einem neutralen Zusammenhang öffentlich würden.

Doch damit nicht genug. Denn – um auf die eingangs beschriebene Emotionalität des „Schwarms“ zurückzukommen – die Beiträge, die unter MIXOLOGY PROFESSIONAL veröffentlich werden, dürfen und sollen von der lesenden Community nach dem Verfahren des „Open Peer Review“ kommentiert und diskursiv begleitet werden. Die Methode des Peer Review ist eine Praxis, die der Qualitätssicherung im wissenschaftlichen Betrieb dient und dort vor allem im Bereich der Fachzeitschriften zum Tragen kommt: Im klassischen Peer Review wird ein wissenschaftlicher Fachaufsatz vor seiner Veröffentlichung durch mehrere „Reviewer“, also Gutachter, auf seine inhaltliche sowie methodische Qualität und Stringenz überprüft. Die Gutachter agieren üblicherweise blind, kennen also den Autor des Textes nicht. Erst, wenn sie den Text als veröffentlichungsfähig ansehen, gibt der Verlag ihn frei für den Druck.

Open Peer Review als Austausch vieler Beteiligter auf Augenhöhe

Als paralleles, weiterentwickeltes Verfahren, das die offene Diskussion um Inhalte befördern und eine möglichst große Menge an „Review“ zutage fördern soll, hat sich die Open Peer Review etabliert: Hier geschieht die Begutachtung erst nach der Veröffentlichung und kann von allen Lesern vorgenommen werden. Dort setzt MIXOLOGY PROFESSIONAL an. Jeder Leser darf sich aufgerufen fühlen, fachliche Kritik an den veröffentlichten Inhalten zu üben. Wir setzen also gewissermaßen auf den Schwarm – aber gleichzeitig auch nicht. 

Denn natürlich ist ein Kommentar im Sinne des Peer Review keiner, wie sie am Texteingang skizziert worden ist. Ein Reviewer geht nicht dogmatisch vor, er ist unemotional und vor allem beachtet er im Normalfalle nicht, wer der Autor eines zu beurteilenden Textes ist. Er greift den Autor nicht persönlich an und hinterfragt nicht dessen grundsätzliche Kompetenz. Der Reviewer betrachtet ausschließlich den Artikel und dessen fachliche Aspekte, hinterfragt sie argumentativ und stellt möglicherweise Gegenthesen auf. Die Vorteile eines solchen Verfahrens liegen auf der Hand:

  • Es entsteht ein fachthematischer Austausch vieler Beteiligter auf Augenhöhe.
  • Auch der Autor kann sich auf gleicher Ebene in eine ggf. entstehende Diskussion einbringen.
  • Aufgrund der Online-Veröffentlichung können nach abgeschlossenen Diskussionspunkten eventuelle, notwendig gewordene Änderungen am Text vorgenommen werden: Es entstehen lebendige Manuskripte, die sich mit dem Stand der fachlichen Auseinandersetzung mitentwickeln.
  • Die Redaktion von MIXOLOGY tritt nach Veröffentlichung eines Textes lediglich als Moderator auf und nimmt keinen Einfluss auf die Diskussion. Bei Diskussionsbeiträgen, die Off Topic oder gar unsachlich sind, schaltet sie sich allerdings sehr wohl ein.

Neugierig, skeptisch – aber nicht emotional

Der „Schwarm“, er darf und soll also nach wie vor seine Intelligenz einbringen. Aber wir versprechen uns von dieser Idee, den fachlichen Fortschritt durch moderierte Diskussionen weiterzuentwickeln, einen wichtigen Schritt im Voranschreiten der Szene und ihres immer größer werdenden Wissens. 

So etwas bedeutet Arbeit und Zeit, auch für alle Lesenden und Kommentierenden. Doch es lohnt sich. Dieser Text darf als erster Call for Papers gelten. Wir freuen uns auf zahlreiche Einsendungen und Ideen, die an [email protected] oder [email protected] geschickt werden dürfen. Bleiben wir neugierig, bleiben wir skeptisch – aber nicht emotional!

Credits

Foto: Tim Klöcker

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