Vestal ist Testsieger beim Mixology Taste Forum Eastern Style Vodka
Eine Verkostung osteruopäischer Vodkas gerät aktuell automatisch zum Politikum. Das Mixology Taste Forum zum Thema findet daher diesmal ohne Beteiligung russischer Produkte statt. Betrachtet man die Historie, so sieht man, dass dieser Schritt nur allzu gut nachvollziehbar ist. Am Ende hat mit Vestal Polish Potato ein polnisches Produkt die Nase vorne.
Dieser Beitrag erschien erstmals in der Print-Ausgabe 4-2022 von MIXOLOGY, dem Magazin für Barkultur. Für diese digitale Veröffentlichung wurde er minimal adaptiert. Text & Leitung des Tastings: Maria Gorbatschova
Wenn es um Vodka geht, denkt man schnell an Russland. Die russische Kultur und Vodka sind eng verbunden, keine russische Feier ohne das »Wässerchen«. So ganz als harmlose Folklore sollte man die Spirituose jedoch nicht abtun. Hinter Vodkas Siegeszug durch Osteuropa steckt wesentlich mehr als Tradition und Trinkkultur. Umso spannender ist die eigentliche Geschichte Vodkas. Es ist nicht weniger als die Geschichte der russischen Autokratie, die ihren Bogen bis heute spannt.
Im Lauf des 15. Jahrhunderts kam das Wissen um die Destillation im westlichen Teil Russlands an. Spirituosen fanden den Weg an den Hof und brachten 1553 den regierenden Zar Ivan den Schrecklichen auf eine lukrative Idee: Er monopolisierte den Kabak, die Kneipe, und verdiente so an jedem Glas, dass über die Theke ging. Zugleich waren angetrunkene Untertanen höriger als nüchterne. Vodka war günstig herstellbar und brachte mehr Gewinne als traditioneller Kvas, Bier oder Met. Die Vodka-Einnahmen wuchsen zu einer enormen Größe und finanzierten Eroberungen. Es war Ivan, der die enorme Ausweitung der russischen Staatsfläche begann: Er verdoppelte das Staatsterritorium während seiner Herrschaft. Am Hof setzte er Vodka als Kontrollinstrument gegen sein Umfeld ein, um Konsens, Verschwörungen und Proteste zu verhindern. Es ging so weit, dass das Verweigern von Alkohol bei Zusammenkünften mit dem Tod bestraft wurde. Dazu kamen zahlreiche Tote durch Alkoholvergiftungen. Ivan und seine Vertrauten gaben sich alkoholgeschwängerten Gewaltexzessen an friedlichen Dorfbewohnern hin, auch so verdiente er sich seinen Beinamen.
Als Vodka den Staat fast im Alleingang trug
Der Mangel eines geeigneten Nachfolgers nach Ivans Ableben stürzte Russland in eine lange Krise. Erst mit der Festigung der Romanov-Dynastie erfuhr das Land Stabilität, Vodkas finanzielle Bedeutung für den Staat wuchs: 1724 machte Vodka 11% der Gesamteinnahmen aus, 1795 waren es schon unglaubliche 30%. Von 1839 bis 1914 war Alkohol die größte Einnahmequelle des Reichs, vor allem nach der Einführung des Vodka-Monopols 1894. Vodka war finanziell und gesellschaftlich gesehen die größte Stütze der Autokratie, genug um allein für die zum Zeitpunkt größte stehende Armee Europas aufzukommen. Alkoholmissbrauch unter den Untertanen war ausdrücklich erwünscht. Die sozialen Folgen für Dörfer und Familien lassen sich kaum ausmalen. Wenigen ist bekannt, dass Dostojewskis Verbrechen und Strafe ursprünglich Die Trunkenbolde heißen sollte, darin porträtiert der Gründer der Vereinigung Union gegen die Trunkenheit eine von Alkohol zermürbte Gesellschaft. Abstinenzbewegungen wie diese wurden niedergeschlagen, immerhin wäre der Staat bankrott gegangen, wenn die Mehrheit der Russen vom einen auf den anderen Tag nicht mehr getrunken hätte.
Genau das wurde Nikolai II zum Verhängnis: Er führte 1914 eine Prohibition ein, während sich Russland im Ersten Weltkrieg befand. Die enormen Militärausgaben ruinierten daraufhin den Staatshaushalt, in der Bevölkerung war das Spirituosenverbot unbeliebt, man kann die Prohibition und die daraus entstandene Hyperinflation als einen der Gründe für den Sturz der Romanovs ansehen.
Mit dem Kommunismus änderte sich vieles, die Prohibition blieb jedoch intakt: »Der Tod wäre dem Verkauf von Vodka vorzuziehen«, so Lenin. Erst unter Stalin wurde Vodka 1925 wieder erhältlich, das Alkoholmonopol als wichtiger Träger der Autokratie wieder hergestellt. Wie Ivan setzte auch Stalin Vodka gezielt als Mittel ein, um sein politisches Umfeld mürbe zu machen. Er füllt Politiker gezielt ab um sie unzurechnungsfähig zu machen und gegeneinander auszuspielen. Seine Dinner sind berüchtigt, laut Nachfolger Chrustchov war praktisch jedes Mitglied des 1940er-Politbüros durch die allabendlichen, unfreiwilligen Exzesse zum Alkoholiker geworden. Viele starben verfrüht an den Langzeitfolgen. Nach dem Zweiten Weltkrieg explodierte der Verbrauch von Alkohol weiter, zwischen 1952 und 1980 versechsfachte er sich. Einnahmen aus Alkoholverkäufen stellten ein Viertel des Staatsbudgets. 1985 tranken Russen im Schnitt 14,9 Liter puren Alkohol pro Jahr, mit furchtbaren Folgen für die Gesundheit. Gorbatchov versuchte gegen den Alkoholmissbrauch vorzugehen und scheiterte unter anderem am Budget, geschätzte 28 Milliarden Rubel Vodka-Gewinne gingen verloren. Die UdSSR erlebte erneut eine Hyperinflation und ging bankrott.
Ein Teufel, der die russische Gesundheit heimsucht
Das Ende der Sowjetunion machte leider nichts besser. In den 1990ern erreichte die Vodka-Epidemie in Russland ihren traurigen Höhepunkt. Die Lebenserwartung russischer Männer fiel auf 57,6 Jahre, auf direktem oder indirektem Weg kostete Alkohol jedes Jahr über 400.000 Russen das Leben. Die Lebensbedingungen verschlechterten sich so drastisch, dass von Demodernisierung gesprochen wird. Russland ist laut Umfragen eines der unglücklichsten und korruptesten Länder der Welt, das Vertrauen in Demokratie und Staatsorgane ist gering. Die 1990er bleiben in Russland als leidvolle Jahre in Erinnerung.
Legendär sind dagegen die betrunkenen Eskapaden Boris Jelzins, auch auf Auslandsreisen wie z.B. 1994 in den USA. Es ist ebenjener Boris Jelzin, der in der Neujahrsansprache am 31.12.1999 unter Tränen zurücktritt und seinen Nachfolger präsentiert. Es ist der ehemalige KGB-Offizier Vladimir Putin, der in der darauffolgenden Wahl einen erdrutschartigen Sieg erlangt. Einen Tag vor Amtseinführung kreiert Putin Rosspirtprom, das Vodka-Äquivalent zu Gazprom (Gas) und Rosneft (Öl) – so wichtig ist der Vodka-Markt für ihn strategisch. Putin verstaatlicht dutzende Hersteller, eine Rückkehr zur autokratischen Vodka-Politik.
1997 verkauft Yuri Shefler, damals Geschäftsführer des Staatsunternehmens Soyuzplodoimport, die staatlichen Marken Stolichnaya und Moskovskaya für 300.000 Dollar an seine verdächtig ähnlich klingende, neu gegründete Firma Soyuzplodimport. Es folgte ein Rechtsstreit mit dem russischen Staat, der in einigen Ländern bis heute andauert. Aktuell werden unter den Marken Moskovskaya und Stolichnaya (bald nur noch Stoli) völlig verschiedene Versionen abgefüllt. Eine für den russischen Markt, eine für internationale Märkte. Unsere Verkosterin Alisa Muravyova arbeitete einige Jahre in russischen Bars. Sie hat eine klare Meinung dazu, was die besseren Versionen sind: »Wenn ich in Russland erwägen würde, Stolichnaya oder Moskovskaya auszuschenken, würde man mich für wahnsinnig halten. In guten Bars werden dort ausschließlich westliche Marken wie Grey Goose oder Koskenkorva gepourt. Die russischen Versionen sind untrinkbar. Das, was hier im Glas ist, hat absolut gar nichts mit den dortigen Abfüllungen gemein.« Die lettischen Versionen machen in der Blindverkostung dagegen eine sehr gute Figur und bieten hervorragende Preis-Leistung.
Die Qualität der Produkte ist allerdings nicht der Grund, warum dieses Tasting ohne russischen Vodka auskommt. Einerseits hat MIXOLOGY hat sich entschlossen, aufgrund des anhaltenden Krieges in der Ukraine russischen Produkten im Rahmen des MTF keine Bühne zu bieten. Wie in diesem Artikel dargelegt, finanzieren Vodka-Einnahmen seit Jahrhunderten indirekt das russische Militär. Zum anderen steht Vodka zusammen mit Erdöl, Kohle, Stahl und Holz auf der Liste der Erzeugnisse, die nach aktuellen Sanktionen nicht mehr eingeführt werden dürfen. Das zeigt, welche Rolle dieser Sektor nach wie vor für Russland spielt. Zwar lagen die Anteile von Vodka-Gewinnen am russischen Haushalt weit unter den historischen 25 bis 40%, in Krisenzeiten spielen jedoch auch sie eine Rolle.
Eastern Style: nur teilweise eine geografische Frage
Das Tasting in der Green Door gestaltet sich insgesamt spannend. Es lässt sich schnell feststellen, dass Eastern Style Vodka alles andere als geschmacklos ist. Die Kategorie grenzt sich zu Western Style Vodka ab, indem ein Ausdruck des Rohstoffs und ein gewisses Maß an Aroma erwünscht sind. Als Western Style Vodka versteht man dagegen möglichst neutralen Alkohol, der seit dem Vodkaboom der 1950er vor allem in den USA hergestellt wird. Noch heute heißt es in der US-amerikanischen Verordnung, Vodka dürfte keinen distinktiven Charakter, Aroma oder Geschmack besitzen.
Auch in Westeuropa sind solche neutralen Vodkas häufiger zu finden. Kann man Vodka also einfach nach Ost und West sortieren? Nein: Definitiv gibt es westliche Marken, die eher auf den aromatischen Stil setzen, gleichsam bringt auch Osteuropa teils sehr neutrale Produkte hervor. Wir konzentrieren uns in dieser Verkostungsrunde auf Vodka aus Osteuropa und Finnland, dessen Vodka-Tradition aus historischer Sicht sowie aus geografischer Nähe eindeutig dem osteuropäischen Stil zuzuordnen ist. Natürlich hätte unter normalen Umständen auch der bekannte ukrainische Nemiroff Eingang ins Tasting gefunden, was allerdings aktuell nicht machbar ist: Die Marke hat seit einigen Monaten keinen regulären Importeur in Deutschland. Die kriegsbedingt zeitweise komplett unterbrochene Produktion und fehlende Lieferstruktur tun ihr Übriges: Momentan finden sich auf dem hiesigen Markt nur noch marginale Restbestände.
Im Tasting lassen sich durchaus einige aromatische Unterschiede feststellen, faszinierend ist aber auch, wie viele Produkte ein besonders cremiges, vollmundiges Mundgefühl aufweisen. »Die Textur ist beeindruckend, vor allem wenn man bedenkt, dass hier allein mit Rohstoff und Handwerk gearbeitet wird«, so Gentemann. Beschönigen ist bei Vodka schwieriger, als wenn eine Spirituose z.B. für ein Paar Jahre ins Fass wandert: »Die Aromen sind wesentlich subtiler und feingliedriger als bei anderen Spirituosen. Für mich ist Mixen mit Vodka daher gewissermaßen die Königsdisziplin. Wie arbeitet man die Feinheiten des Produktes raus, statt sie einfach zu überdecken?«
Vodka Drinks sind nach wie vor beliebt, mit Ausnahme von Dry Martinis spielt das Eigenaroma aber eher selten die Hauptrolle. Vodka ist ein dankbarer Trägerstoff für Liköre und Tinkturen, vor allem wenn man Aromen mit möglichst wenig Einwirkung der Spirituose Raum schaffen will. Er bedarf keiner Erklärung und ist als Drinkzutat leicht zugänglich. Nicht zuletzt dürfte gerade seine Reinheit für Gäste eine Rolle spielen. Vodka enthält von allen Spirituosen am wenigsten Kongenere und verursacht somit am wenigsten einen Kater. Es ist eine Kategorie, die etwas mehr Aufmerksamkeit und Liebe verdient. Und die in Zukunft hoffentlich irgendwann keine Autokraten mehr finanziert.
Literatur-Empfehlung:
Mark Lawrence Schad: »Vodka Politics: Alcohol, Autocracy and the Secret History of the Russian State«
Credits
Foto: Editienne