Der Mojito: das Wiener Schnitzel der Bar?
Am Mojito führt kein Weg vorbei: Der Piratendrink aus Rum, Minze, Limette und Zucker gehörte zu den ersten großen Crowdpleasern der Bar-Renaissance. Fluch und Segen zugleich. Gabriel Daun geht in seiner historischen Rekonstruktion dem Original Mojito auf den Grund. Und er sagt, wie und warum man auch heute noch in einer Spitzenbar einen Mojito bestellen darf und sogar soll. Denn das Original geht immer. Ein Plädoyer für Einfachheit und Qualität.
Ein wenig hat sich der Mojito in den letzten Jahren zum Wiener Schnitzel unter den Drinks entwickelt. Beide werden bis heute sicherlich sehr häufig zubereitet und dementsprechend oft verkauft. Und bei beiden handelt es sich – wenn sie gut gemacht wurden – um ein ansprechendes Erlebnis, das allerdings kaum noch einen Gaumen zu überraschen vermag. Dennoch: Originales Schnitzel oder Original Mojito – geht eigentlich immer. Fluch und Segen solcher Dinge ist aber schlicht: Sie sind mitunter überpräsent oder wirken schlicht so.
Vom Original Mojito zum billigen Abklatsch
Nicht zuletzt deshalb ist der Mojito vielleicht in den letzten Jahren in der Gunst der Bartender gesunken. Der zweite Grund mag vor allem der sein, dass seine Zubereitung während der letzten zwei Dekaden viel zu häufig den nötigen Sachverstand und die Leidenschaft vermissen ließ – weg vom Original, hin zum Ramsch, jedenfalls überspitzt gesag:. Zunächst von biederen Vorstädtern annektiert, die ihn in ihrem Reihenhausgarten auf der Terrasse an Samstagabenden ihren Gästen aufdrängten: Ein pseudo-exotisches Caipirinha-Upgrade, das mit leicht manieristischem Duktus Weltläufigkeit und Kennerschaft simulieren sollte. Zu viele seiner Art wurden bald darauf in an irgendwelchen Flüsschen oder Kanälen gelegenen, mittelmäßigen Möchtegern-Strandbars und Großraumdiskotheken kredenzt, ein bräunlich-schmutziggrüner Brei aus Eisklümpchen, alter Minze, Limettenstücken und unsäglichem braunem Zucker. Auf zu vielen Volksfesten und Festivals wurde dieser kubanische Klassiker dann schließlich inflationär in Pappbechern verramscht und verkam zum banalen Prollgesöff auf hirnlosen Massenveranstaltungen.
Aus diesem Grunde wird jeder, der heute in einer Bar einen Mojito ordert, zumindest vorerst nicht unbedingt als Connaisseur eingeordnet werden. Der Mojito ist, wie schon einige Drinks vor ihm, ein wenig zum Opfer seines eigenen Erfolgs geworden. Er ist schlicht und einfach nicht mehr sophisticated genug, weder für den zeitgenössischen Bartender, der bei einer Mojito-Order vielleicht den Versuch eines Old Cuban-Upgrades unternehmen wird, noch für die Gin & Tonic-Avantgardisten, die sich mittlerweile scharenweise vor dem Tresen tummeln.
Der Mojito, Die Freibeuter und die Minze: Daher kommt das Original
Die Anfänge dessen, was wir heute „Mojito“ nennen, liegen weit zurück: Bereits die Seeleute und Piraten des Elisabethanischen Zeitalters kannten die wohltuende und lindernde Wirkung von Minze bei Magenproblemen, die sie bei Ihren Fahrten in tropische und subtropische Gefilde vermutlich häufiger plagten. Der Gedanke, dass dort die Wurzeln des Mojitos liegen könnten, ist weder abwegig noch neu. Medizinische, pharmazeutische oder pseudomedizinische Hintergründe nehmen bei der Erklärung, wie Drinks entstanden sind, fast grundsätzlich einen Spitzenplatz ein.
1655 wurde eine tägliche Ration Rum für Matrosen auf den Schiffen der British Royal Navy beschlossen. Doch auch schon zuvor wurde auf jedem Schiff eine nicht unbeträchtliche Menge an Wein, Bier und Destillaten mitgeführt, in erster Linie zur Konservierung verderblicher Güter. Da auf hoher See Frischwasser häufig Mangelware war und das bei Landgängen gefundene, in Fässern abgefüllte Wasser schnell Algen bildete, war es auf Schiffen der englischen Krone Usus, das Wasser durch Zugabe von Alkohol haltbar zu machen. Bei Fahrten in die Karibik wurde hierzu mit großer Sicherheit bereits im 16. Jahrhundert aguardiente de caña verwendet, also im Groben gesagt: Rum beziehungsweise dessen einfachere Vorstufe.
Wie kamen diese Zutaten nun für einen originalen Mojito zusammen? Als Sir Francis Drake, eine herausragende Persönlichkeit der englischen Seeschifffahrt, auf einer seiner Kaperfahrten in der Karibik erkrankte, verhalf ihm angeblich ein Gemisch aus Zuckerrohrbrand, Minze und Zucker wieder zu Gesundheit. Von seinen spanischen Widersachern auf See wurde Drake „El Draque” genannt, und dieser Name übertrug sich dann auf das flüssige Gemisch, das mit seiner Genesung in Verbindung gebracht wurde.
Kubanisches Original und pseudokubanische Touristenfalle
Vom Mojito, wie wir ihn heute noch kennen, ist hingegen erst in den Cocktailbüchern des früheren 20. Jahrhunderts zu lesen. Tatsächlich handelt es sich um eine kubanische Erfindung (oder zumindest Weiterentwicklung). Bemerkenswerterweise ist in den ersten Quellen, die den Mojito nennen, von der Verwendung von Minze noch keine Rede. Es handelt sich bei jenen Drinks zunächst eher um klassische Rum Rickeys oder Rum Collinses.
In John B. Escalantes Manual del Cantinero ist ein „Ron Bacardí Julep“ zu finden, eine der ersten Referenzen, die Rum und Minze nach dem „El Draque“ wieder zusammenbringt. Von dort ist es dann nur noch ein kleiner Schritt bis zum echten, ursprünglichen Mojito als eine erfrischende, alkoholische Limonade — er ist mitnichten ein kräftiger Rum-Drink. Zu großer Popularität verhalfen ihm dann die Bars El Floridita und Bodeguita del Medio sowie der Club de Cantineros.
Die Bodeguita del Medio, jene legendäre Bar, in der Ernest Hemingway laut eigener Aussage seinen Mojito bevorzugt einzunehmen pflegte, entwickelte sich zum Mekka für Fans des Drinks. Die Zahl der Mojitos, die dort jährlich über den Tresen gereicht werden, ist schwer zu überschätzen. Leider geht damit ein unvermeidliches Phänomen einher: Es ist unwahrscheinlich, einen Mojito serviert zu bekommen, dem der Bartender bei der Zubereitung so etwas wie Aufmerksamkeit oder gar Hingabe zuteilwerden ließ. Reisebusse mit Pauschaltouristen machen für 15 Minuten an der Bar halt und innerhalb dieser Viertelstunde dürfen sich die Reisegruppen dann am kubanischen Klassiker gütlich tun. Die Bartender sind ohne Frage schnell und effizient, aber vermutlich birgt dieses Erlebnis wenig Magie. Es sind nun einmal Drinks vom Fließband, und darunter leidet die Qualität. Wayne Curtis bemerkt in seinem Buch And a Bottle of Rum über seine generellen Erfahrungen mit Mojitos in Havana enttäuscht: „The mint wasn’t minty, the lime wasn’t limey, and the bubbly water wasn’t bubbly […] I’ve had better mojitos at airport bars.“
Jeder Drink hat seinen Moment. Vielleicht auch immer wieder.
Es scheint, als sei es um den Mojito dieser Tage nicht zum Besten bestellt – einerseits, weil er oft entfernt vom wirklichen Original dargeboten wird, andererseits einfach aufgrund eines Overkill. Zum Schluss dennoch ein paar versöhnliche Sätze. Auch, wenn er in unseren Breiten in gehobenen Bars mehr oder minder keine große Rolle mehr spielen mag: Er kann ein wunderbar erfrischender Drink sein. Zum richtigen Zeitpunkt und bei den richtigen Temperaturen. An diesen heißen Juliabenden, die „Mary Pickford!“ oder „Royal Bermuda Yacht Club!“ schreien. Oder eben Mojito! Und man vergesse nicht, dass der nach vier Jahren prominenteste Drink in der Frankfurter The Kinly Bar der beinah legendäre „Butterfly Mojito“ ist, eine Dekonstruktion und Neu-Arrangierung des klassischen Drinks.
Insofern kann man optimistisch sein für den Mojito. Denn der Sommer ist da, er verspricht ähnlich klimawandelmäßig zu werden wie der letzte. Der nächste Sommer kommt außerdem bestimmt. Klar, irgendwann ist dann auch mal Herbst. Aber wie eingangs erwähnt: Wiener Schnitzel geht ja auch irgendwie immer.
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Der vorliegende Text erschien erstmals im September 2015. Die letzte Bearbeitung durch die Redaktion wurde im Juni 2019 vorgenommen.
Credits
Foto: alle Bilder © Constantin Falk
Helmut
“er ist schlicht und einfach nicht mehr sophisticated genug”
Ja, man gebe einfach statt weißem Rum einen heimgebrauten Melisse-Rum mit gelöstem Himalajasalz, statt weißem Rohrzucker piloncillo und statt vulgärer Minze die heimgezogene, mit Basilikum gekreuzte Variante dazu, reife das ganze in einem kleinen Holzfass und throwe es dem Gast dann ins Glas… und schon kommen die Avantgardisten und bestellen ohne Ende, garantiert!
Redaktion
Lieber Helmut,
bitte nicht falsch verstehen: weder wir in der Redaktion noch der geschätzte Autor Gabriel Daun haben etwas etwas gegen einen guten Mojito einzuwenden – ganz im Gegenteil! Die Formulierung, die du völlig korrekt zitierst, findet sich oben unmissverständlich im Zuge einer Diagnose der Tatsachen, nicht in einer Bewertung.
Herzliche Grüße
// Nils Wrage
Helmut
Ich wollte mit meinem Kommentar keinesfalls implizieren, dass Ihr einen Mojito abwertet – im Gegenteil, der hervorragende Artikel beweist ja, dass dieser einst geliebte, heute vielgeschmähte Cocktail auf jeden Fall auch für Euch einen zweiten Blick wert ist.
Mein etwas plumper Scherz ging mehr in die Richtung, dass die heutige Cocktailwelt vielleicht manchmal mehr auf abgefahrene Rezepturen als auf die Historie eines Cocktails wert legt, worunter Cocktails wie der Mojito, der Tequila Sunrise und andere Klassiker leiden.
Harry
Hallo,
was kann ein Drink dafür, wenn er aufgrund häufiger Nachfrage nicht mehr überall mit der Sorgfalt zubereitet wird, die ihm eigentlich gebührt? Der Singapore Sling hat ja mit ähnlichen Problemen zu kämpfen, gerade an seinem Ursprungsort, wo er von vielen Touristen bestellt wird, weil man den dort eben mal trinken muss.
Dem Drink gegenüber finde ich die Einstufung als nicht sophisticated genug jedoch unfair und halte das Verbannen aus der Getränkekarte oder die (unterbewusste) Wertung eines Mojito-Bestellers als Nicht-Connaisseur deshalb auch nicht für die richtige Reaktion darauf, dass er so oft und gern getrunken wird. Viel besser fände ich eine sportliche Herangehensweise, die nicht vor der Verramschung kapituliert, sondern den Kampf dagegen aufnimmt. Nach dem Motto: “Sie wollen Mojito? Sie bekommen einen RICHTIGEN Mojito!” Für den einen oder anderen Gast wird das dann sicher ein Augenöffner.
Ferdinand
Hallo,
nach der Suche nach einem guten Mojito-Rezept stieß ich u.a. auf diesen Artikel, sowohl auch auf den von 2007. Was mich jedoch etwas verwirrt, weshalb hat sich die Rezeptur von 2007 zu 2015 geändert, insbesondere frage ich wegen der Minze? 2007 steht da 6-8 gr. Minzblätter, hier ist jetzt die Rede von 20-25 Blättern. Selbst bei kleineren Blättern in diesen Rezept kommt mir das doch deutlich mehr vor, weshalb? Oder übersehe ich etwas? Danke für eine kurze Info.
Redaktion
Lieber Ferdinand,
das lässt sich recht einfach erklären: Innerhalb von acht Jahren (also der Zeit, die zwischen beiden besagten Artikeln liegt) kann sich die Betrachtung eines Drinks ändern. Insbesondere in der Bar-Branche, die in den zurückliegenden Jahren gerade im Bereich des Einbezugs historischer Quellen mehrere gewaltige Schritte getan hat. Die Wahrnehmung darüber, wie ein guter Mojito funktioniert, ändert sich. Daher hatten wir seinerzeit Gabriel Daun – einen der führenden deutschen Bartender, besonders in Sachen historischer Recherche – gebeten, sich dem Drink neu zu widmen.
Tatsächlich lassen sich die beiden Rezeptanweisungen aber generell nur schwer miteinander vergleichen, da eben einmal eine Anzahl an Blättern (2015) angegeben wird, beim anderen (2007) ein Gewicht. Generell dürfte beides ungefähr im selben Rahmen liegen, zumindest, wenn man von durchschnittlich großen Blättern ausgeht. Eine exakte Dosierung lässt sich ohnehin nicht angeben: Das Naturprodukt Minze schwankt in Qualität und Intensität immens, sodass letztlich der Einzelfall entscheiden muss. Eine andere Annäherung ist die zusätzliche bzw. teilweise Verwendung eines hausgemachten Minz-Sirups (auf Basis von blanchierter Minze), wie ihn etwa Jeff Morgenthaler (Portland/Oregon, USA) oder die Stuttgarter Schwarz-Weiss-Bar anwenden. Auf diese Weise lässt sich die Konstanz ein wenig sichern. Eine Anleitung gibt es hier: https://mixology.eu/wie-macht-man-guten-sirup/
Mit freundlichen Grüßen
// Nils Wrage für die Redaktion
Blackbeard
Oh je, da findet sich aber jemand ‘supergeili’ …
ROLAND
Danke für den Artikel! Ich wollte nur noch fragen, wie viel denn ein Highballglas so fasst, denn davon ist ja ein Stück weit der Alkoholanteil abhängig, wenn es mit Soda aufgefüllt wird. Ich nehme immer diese neuneckigen Ikea-Pokale, die mit 350ml angegeben werden (ihr kennt sie alle). Kommt das ungefähr hin?
Redaktion
Moin Roland,
ein klassisches Highballglas wäre deutlich kleiner, so um die 250 ml, würde ich sagen. Wenn Du die im o.g. Rezept gegebene Menge vermixter Flüssigkeit betrachtest, kommst Du auf 105 bis 115 ml, dazu kommen eben Zucker, Minze und Eis. Aber freilich lässt sich durch etwas mehr Eis die Glasgröße ein wenig nivellieren. Wobei man sagen muss, dass wir im vorliegenden Fall vielleicht selbst ein wenig ungenau waren, denn in den allermeisten Fällen findet sich ein Mojito in einem größeren Glas, das wohl eher als Longdrink-Glas bezeichnet werden müsste. Mit dem von Dir genannten Glas sollten sich also keine ernsthaften “Probleme” ergeben.
Herzliche Grüße aus der Redaktion
// Nils Wrage
Roland
Danke noch einmal!
Peter Berndt
Was haltet ihr denn von der Aussage der cubanischen Berufskollegen in den von euch benannten Traditionsbars Havanas: ” un Mojito sin angostura , no es un mojito” ?
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