In der Mondhügel Bar in Neukölln ist alles selbstgemacht. Wirklich alles.
Die Spirituosen in der Mondhügel Bar kommen aus eigener Hand, die Preise sind nicht festgesetzt, sondern eine Empfehlung. Nebenbei experimentiert man an einer regionalen Mezcal-Alternative auf Hanfbasis. Das alles soll funktionieren? Benito Opitz und Philipp Schmitz haben keinen Zweifel.
Es ist eben so eine Sache mit der Gentrifizierung – die Mieten werden teurer und mit ihnen der Kaffee in den Straßen besser; die Vintageläden mehr und die Einrichtung der Bars minimalistischer. Wer sich auf den Weg in die Mondhügel Bar in das berühmt-berüchtigte „Kreuzkölln“ aufmacht, erlebt genau das: schmucke Weinbars mit Pet Nat auf der Karte, sieben Mal Secondhand-Mode, ein Sternerestaurant und natürlich sehr handwerklich gebrautes Bier.
Da ist außerdem schräg gegenüber das Bürkner Eck, kredible Bar-Institution der Gegend seit Dekaden, und da ist die Bar Brutal, ein Ort mit Kerzenschein und veganem Whiskey Sour. Neben dem Upcycling-Ort für Vintage-Möbel serviert die Bar ihre pflanzlichen Drinks mit der Kichererbsen-Lake, deren Erbsen sie regelmäßig mit der Too Good to Go-App vergeben.
In diesen Straßen herrschen Bilderbuch-Berlin Vibes durch und durch. Es ist die Woche, in der Campari seine Aperol-Produktion verdoppelt und in Kreuzkölln die ersten stabilen Sonnenmittage zuverlässig ab 14 Uhr das rote Funkeln in die Gläser gießen. Die Menschen haben Lust auf Drinks und am Ende des Tages doch noch ein bisschen Geld dafür übrig. Und selbst für die, die es dieser Tage nicht so ganz locker sitzen haben im Geldbeutel und dennoch einen Spritz in der Sonne trinken wollen, haben Benno Opitz und Philipp Schmitz die passende Bar erschaffen: In der Mondhügel Bar gilt das „pay what you want“-Prinzip.
Wait, what?
Unter Kreuzberger Mondenschein
Noch bis zum vergangenen Jahr war diese Hausnummer bekannt als Eckkneipe „Oase“. Vor exakt zehn Jahren kostete das kleine Bier dort einszwanzig und auf die Jukebox, beziehungsweise die anwesenden DJs, war Verlass. Die Sache mit der verlässlichen Musik ist noch immer da, Benno Opitz legt gerne 80er auf. Sweet Dreams der Eurythmics schallt an diesem Tag durch den Raum, der 85 Sitz- und 20 bis 30 Stehplätze beherbergt – die er mit seinem Compagnon Philipp Schmitz am Wochenende auch gut gefüllt bekommt. Allerdings wird hier (derzeit noch) kein Bier kredenzt – eine Kooperation mit Berliner Berg ist im Entstehen – sondern eigene Produkte. Manch einer mag diese kennen aus der Kreuzberger Markthalle Neun. Denn dort werden Vodka, Gin, Sirupe und die passenden Tonics nicht nur verkauft, sondern auch produziert.
Denn was keiner ahnt: Die Fläche unter eben jenem Markthallen-Areal ist mindestens so groß wie die überirdische. Dort wird dann etwa das Flaggschiff, der „Kreuzberg Gin“ aus wildgepflücktem Wacholder, Kubeben-Pfeffer, Zitrone und geröstetem Kaffee, hergestellt; der Alkohol kommt auf Weizenbasis und mazeriert wird dann im Keller. Roggen benutzen sie lediglich für ihren Roggenvodka, ansonsten Primasprit von 96,4% aus Zuckerrüben oder Weizen, zweimal filtriert.
Es gibt also diese eigenen Produkte in der Bar – und sonst nichts. Da kann Campari noch so seine Produktion verdoppeln, mit seiner hauseigenen Palette schafft die Mondhügel Bar so ziemlich alle klassischen Drinks, selbst die aus dem Fass oder einen Negroni. Oder gar einen Barrel Aged Negroni. Hierfür wird auf Wermut verzichtet, dafür verwendet man einen hergestellten Bitter aus Chinarinde. Die imitierte Fassreifung erfolgt mit kleinen Holzteilen, der Amaro selbst gemacht mit Cold Drip-Methode; für den Whiskey Sour wird der „Kreuzberger Moonshine“ mit Zitronenessenz und einer Amalfizitronen-Infusion verwendet.
Gesucht und gefunden für die Mondhügel Bar
Rechnet sich das nun? „Ja, bislang schon“, so Opitz. Abgesehen von der Tatsache, dass der absichtlich inklusiv formulierte Hinweis auf die Zahl-was-du-willst-Situation auf der ersten Seite des Menüs formuliert ist, gehen die Inhaber aber nicht bei jeder Bestellung darauf ein. Das Menü beinhaltet Preise, die meisten davon werden auch so oder so ähnlich bezahlt. „Dann kommen schon einmal Studis, bei denen es weniger wird, aber deswegen machen wir das ja – die sollen auch hier sein.“
Die Ästhetik der Bar ist durch die durchwegs eigenen Produkte angenehm friedlich, Rauchen ist erlaubt. Es ist ein bockiges wie gleichwohl flauschiges Konzept, dass sich Opitz und Schmitz hier ausgedacht haben, sie nennen es „Naked Drinking.“ Und auch wenn es dieser Stadtteil Berlins ist – man darf angezogen bleiben. Es bedeutet eben, dass die Schmiede der Spirituosen ganz klar in den eigenen Händen liegt und hierbei keinerlei künstliche Zusätze verwendet werden. So lässt sich deutlich einfacher kalkulieren und variieren. „Wir fragen unsere Gäste wirklich viel und passen unsere Mazerationen auch immer wieder an. Wenn wir merken, eine bestimmte Dosis einer Zutat in der Spirituose passt oder schmeckt nicht, können wir darauf schnell reagieren“, beschreibt Benito Opitz.
Der Alkohol kommt vom Alkoholspezialisten Brüggemann und wird in der Markthalle Neun lediglich mazeriert. Das Ganze geschieht bei 49,8 % Vol., da sich ansonsten mehr Öle lösen würden, als der Alkohol halten kann. Steuerlich werden sich aussichtsweise einige Dinge ändern, plaudern Opitz und Schmitz aus dem Nähkästchen: „Hier geht es um das Thema Steuerlager. Aber das lohnt sich frühestens, wenn wir pro Woche 500 Liter Spirituosen mit über 40 %Vol. entnehmen.“
Wirft man einen Blick die bombastische Präsenz des Kreuzberg Gins – sowohl haptisch in der Bar, wie auch im Menü – liegt ein Blick auf die Geschichte der beiden Betreiber nah; denn Schmitz leitete gerade in jener Zeit eine Nürnberger Gastronomie, als der Gin seine Hochzeiten feierte. Erfahrungen in einer Südtiroler Brennerei hatte er außerdem gesammelt. Bereits damals war er von dem Gedanken einer natürlichen Tonic-Alternative beseel, einem positiven Resultat von Gewürzexperimenten. Praktisch, dass er sich einige Jahre später in der Markthalle Neun bei „SoulSpice“ wiederfand. Seine früheren Überlegungen nicht vergessen und den Gastronomen in sich nicht verloren habend, fing er an zu mischen und in Alkohol zu mazerieren, und dann eben auch zu mixen. An der Stelle kam auch Opitz ins Spiel, der als Markenberater in internationalen Agenturen weiß, wie man eine Brand aufbaut. Die beiden haben sich gesucht und gefunden. Die Spreewood Distillers verließen irgendwann die Markthalle Neun, der Platz für Schnaps war frei. Es entstanden also der Kreuzberg Gin, dazu endlich das passende Tonic und die Marke war in Flaschen gegossen.
Die Mondhügel Bar gibt eine regionale Mezcal-Antwort
Jetzt hat sie in der Mondhügel Bar auch einen Tresen. Die Mission ist keine geringere, als die Trinkkultur nachhaltig zu revolutionieren. Auch gibt es bereits Gedanken an weitere Bars. Derzeit tüfteln die beiden an einer regionalen Antwort auf Mezcal. „Anstatt auf die übliche Agave setzen wir auf Hanfsaat, die wir hier in der Gegend mit Apfelholz räuchern. Das gibt ihr eine einzigartige, rauchige Note. Außerdem verwenden wir Cascade-Hopfen, den man normalerweise vom Craft Beer kennt, für die extrafrischen, zitrusartigen Akzente. Ich finde es spannend, weil wir auf diese Weise regionale Zutaten voll zur Geltung bringen können. Ich bin sehr neugierig, was die Leute dazu sagen.“
Der Möglichkeitssinn um diese Kreuzung herum liegt jedenfalls in der Luft – und er riecht nach Wacholder, wird einheitlich in Tumbler gefüllt und ist von Startendern und Speakeasy so weit weg wie der Berliner Winter vom tatsächlichen Eintreten des Frühlings. Die Spritz-Karte im Mondhügel liegt dennoch parat, stabile 5 Euro würde er kosten.
Oder eben auch 6. Oder 3.
Credits
Foto: Laura Marker