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Emanuele Ingusci

Die Zeitmaschine von München: Emanuele Ingusci und sein Barroom feiern das zehnjährige Jubliäum

Das Motto von Emanuele Ingusci ist die Zeit – die, die sich die Gäste in seinem Barroom in München für sich nehmen sollen. Das haben sich in den letzten Jahren so viele zu Herzen genommen, dass der Italiener nun sein zehnjähriges Bestehen feiert. Wir gratulieren.
Vor zehn Jahren war eine winzige Bar in München Haidhausen auf der Suche nach einem neuen Besitzer. Dann, eines Tages, ging ein Italiener seines Weges, durchquerte die Milchstraße und die Bar fand, was sie suchte: Emanuele Ingusci.

Vom Suchen und Finden

So beschreibt er es zumindest selbst, als hätte er keine Wahl gehabt. Es klingt wie der Beginn einer Romanze. Nur, dass keiner wirklich weiß, wer denn jetzt den Barroom am meisten liebt.
Es ist 3:45 Uhr am 05.04.2018, dem Tag der Jubiläumsfeier. Emanuele kehrt noch Staub und andere Hinterlassenschaften aus den Ecken, während die Erinnerungen im Raum stehen wie der Geruch von abgezesteten Orangen. Manuel Angermair poliert zum dritten Mal den selben Shaker, und Katharina Seidl hat sich längst einen Sitzplatz gesucht.
Emanuele ist ein Mensch, dem Emotion und Perfektion wie Blut durch den Körper fließen, sein einziger Kommentar ist und bleibt die Danksagung an alle seine Gäste und Mitarbeiter der letzten zehn Jahre, die sein Konzept verstanden haben. Damit trifft der Hammer den Nagel mittig auf den Kopf.

Der Barrom als Zeitmaschine

Der Barroom – aka die alte Dame – muss verstanden werden, und wer es versteht, der verfällt ihm. Warum? Auf wenigen Quadratmetern kommen gleich mehrere gesellschaftlich unbekannte Eindrücke zusammen. Die Bar steht in einer Welt, die schnell ist und gerade erst so richtig Gas gibt. Überall ist es normal, seine Pommes mit Mayo zu fotografieren und dazu einen pfiffigen Hashtag zu setzen. Fremde bleiben oft Fremde, die nur an einem vorübergehen, und die Zeit, die ist nur dazu da, um genau beobachten zu können, wie schnell sie uns davonläuft.
Im Barroom ist das alles anders. So manche behaupten, er sei eine Zeitmaschine. Allabendlich würde man dort in die Zeit zwischen 1920 und 1930 zurück reisen, quasi ein ganzes Jahrhundert. Schön wär’s. Eine Nacht in den Zwanzigern – mit Hosenträgern, die Schuhe sind noch nicht von Nike und drücken an den Zehen, die Cocktails schmecken scharf und alkoholisch.

Sich Zeit nehmen im Barroom

Doch der Schein trügt, die alte Dame hat mit Zeit nichts am Hut. Auf einer großen Tafel an der Wand steht „sich Zeit nehmen“. Im Barroom ist man ehrlich und wortwörtlich. Emanuele Ingusci und das Team um ihn herum nehmen den Gästen die Last der Zeit von den Schultern.
Jeder, der kommt und versteht, ist einen Abend lang bei sich selbst und existiert in dem Tempo, für das wir Menschen eigentlich gemacht sind. Jedes mal aufs Neue glaubt man, durch eine Art Portal zu wandeln – fast wie Harry Potter zu seinem Gleis 9 3/4 -, doch man landet nicht in einer Welt voll Magie, das Barhandwerk wird hier nur so altmodisch und detailliert ausgeübt, dass dieses unbekannte Geschehen als Zauberei verstanden wird.
Lothar, Stammgast seit acht Jahren, hat von seinem Stehplatz aus gute Sicht auf die Tür und kann mittlerweile in den Augen jedes Neuankömmlings lesen, „ob die bleiben und den Spirit aufsaugen“. Er selbst kommt eigentlich fast jeden Tag, und da ist er nicht der Einzige.
Zu Beginn saß Emanuele zwei Wochen ohne Gast in seiner Bar, dann fing alles an, mit nur einer Hand voll Gästen, die so oft wie möglich zu dem zeitlosen Gefühl zurück wollten. Jeder weiß, dass eine Handvoll Gäste vorübergehend ausreichen kann, doch dafür braucht man als Gastgeber auch Mut, an seiner Idee festzuhalten. Das gerade verwendete Wort „Mut“ stammt in diesem Zusammenhang von Klaus St. Rainer, er wünscht sich viel mehr Bars mit dieser Einzigartigkeit.

Emanuele Ingusci, ein Freund des Kompliments

Noch einer hat hierzu einen Kommentar. Denn Marco Beier lässt ausrichten, dass es sich bei Emanuele um „einen der großherzigsten, ehrlichsten und zuverlässigsten Menschen“ im Bargeschehen handele, und das klingt wie eine neckische Symphonie für jeden, der weiß, wie gerne Emanuele Komplimente bekommt. Klaus und Marco sind sich beide einig und bedauern, dass sie es einfach viel zu selten hoch nach Haidhausen in den Barroom schaffen.
Irgendwann wurden es dann mehr Gäste, zu viele für eine Person. Katharina Seidl kam, half und steht dort immer noch. Dann auch Gerhard Praun, jetzt hauptberuflich Vater und nebenher im Schumann’s. Er stand drei Jahre lang jeden Dienstag am Brett. Dabei spricht er von „der schönsten Zeit“ und hat in Emanuele Ingusci einen Bruder gefunden; erwähnt aber auch liebevoll das Wort „Korinthenkacker“.
Der Weg ging weiter über Mike Linner, Dominik Falger – und ich durfte auch mal die Shaker berühren und einen davon durch die Tür auf die Milchstraße werfen. Ohne jeden einzelnen erwähnen zu können, fehlen noch die beiden, die aktuell die Jigger befüllen und entleeren: Manuel Angermair und Fabian „Jöhnson“ Essigkrug. Zwei, die so arbeiten, als wären sie die linke und rechte Hand des Ingusci. Wobei Essigkrug eher die linke ist.
Die vielen Namen müssen sein, denn obwohl der Raum selbst schon vieles alleine erledigt, sind es die außergewöhnlichen Charaktere, die ihn leben haben lassen und weiterleben lassen müssen. Eine Interpretation, die nicht von mir stammt, sondern eine, die Thomas Weinberger am Jubiläum nach einigen Willkommensdrinks losgelassen hat.

Emanuele Ingusci und sein Händchen für Personal

Ich stand hinter seinem Rücken und hatte gute Ohren. Zudem meinte er, dass Emanuele ein Händchen dafür hat, immer im richtigen Moment das richtige Personal zu finden. Ich will nur hinzufügen, dass das Selbige auch für die Gäste gilt, die dem Laden immer erlaubt haben, sich so zu entwickeln, wie es ihm vorbestimmt war.
Noch ein weiteres Jahrzehnt wäre wunderbar, aber die Dingen werden so kommen, wie sie wollen. Und nun ende ich mit den Worten von Emanuele – „lange Rede gar kein Sinn“ –, die er jeden Abend vor Feierabend bringt und keiner mehr hören kann.

Credits

Foto: Picasa

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