Mixology Taste Forum zum Thema Champagner Extra Brut: Mycorhize Grand Cru gewinnt
Eine neue Vielfalt: Verkostet man die Champagner-Kategorien »Extra Brut« und »Brut Nature«, wendet man sich zwangsläufig auch den kleinen Handwerksbetrieben zu – denn nur wenige große Häuser führen eine »Extra«. Doch das ist alles andere als schlimm, denn gerade der Streifzug durch die extratrockene Gattung zeigt das Potential des »neuen« Bildes vom Champagner. Auch für die Bar.
Die Champagne ist die nördlichste Weinregion Frankreichs, mit durchschnittlich 11°C (und ehemals weniger als das) ist sie relativ kalt. Wenn im Herbst nach der Ernte die Temperatur unter einen kritischen Punkt fiel, hörten die Hefen im unfertigen Wein auf, Zucker in Alkohol umzuwandeln.
Füllte man diesen Wein in Flaschen, ging im Frühling mit steigenden Temperaturen die unvollendete Fermentation weiter. Neben Alkohol entstand dabei CO2. Der drückte die Korken raus oder brachte die Flaschen im schlimmsten Fall reihenweise zur Explosion. Wie kam man also dazu, bewusst Schaumwein zu produzieren? Die in Umlauf gelangten Flaschen mit mousseux trafen den Geschmack der Käufer und erzeugten eine steigende Nachfrage. Eine Chance für die damals wirtschaftlich angeschlagene Champagne, sich auf dem Weinmarkt gegen andere Regionen zu behaupten.
Die Dosage: ein zentrales, filigranes Instrument
Champagner herzustellen ist aufwendig, denn er wird zweimal fermentiert. In der ersten Gärung stellt man einen stillen Wein her, dieser wird für eine zweite Fermentation mit einem Gemisch aus Wein, Zucker und Hefe, dem liqueur de tirage, in Flaschen gefüllt und fest verschlossen. Die Hefen konsumieren Zucker und wandeln ihn zu Alkohol, als Nebenprodukt entsteht Kohlendioxid.
Im Anschluss wird der Hefesatz durch regelmäßiges Drehen der Flasche im Flaschenhals gesammelt und degorgiert. In der Zeit, in der Champagner auf der Hefe liegt, entwickelt er seine Aromatik und typischerweise 5 bis 6-fachen atmosphärischen Druck. Dafür ist eine Zugabe von 20-24 g Zucker im liqueur de tirage nötig. Champagner komplett ohne Zuckerzugabe gibt es also per Definition nicht, auch wenn das Ergebnis trocken schmeckt.
Wenn wir von »Dosage« sprechen, meinen wir aber nicht diese erste Zuckerzugabe, die die Flaschengärung anstößt. Dosage, auch liqueur d’expedition genannt, ist eine Mischung aus (Reserve-)Wein und Zucker, mit der nach dem Degorgieren die Flasche aufgefüllt wird. Das Ziel sollte es dabei nicht sein, Champagner einfach süßer zu machen. Die Dosage bewirkt im Idealfall eher das, was ein Dash Sirup in einem gut balancierten Cocktail vollbringt: mehr Komplexität, Harmonie und Tiefe, dazu ein besseres Mundgefühl. Heutzutage wird der meiste Champagner als »Brut« abgefüllt, mit einer Dosage von maximal 12 g pro Liter. Für einen »Extra Brut« dürfen höchstens 6 g pro Liter Zucker zugesetzt werden, »Zéro dosage« oder »Brut Nature« kommt komplett ohne Dosage aus, enthält aber bis zu 3 g Restzucker.
Die neue Idee vom Champagner – sie zeigt sich beim »Extra Brut« besonders gut
In den 1980er- und 90er-Jahren wuchs eine neue Generation von Winzern heran. Vorreiter wie Anselme Selosse und Jerôme Prévost hinterfragten den Status-Quo und fanden Wege zurück zu einer nachhaltigeren Landwirtschaft. Ihre Champagner sind unverkennbar ein Ausdruck des Terroirs und qualitativ hochwertige Weine, die handwerklich in kleinen Auflagen produziert werden. Häufig werden die Trauben reifer geerntet, das dürfte einer der Gründe sein, warum unter diesen Produzenten eine verhältnismäßig geringe Dosage üblich ist. Die Zahl solcher Winzer steigt, und es lohnt sich, gezielt nach ihren Weinen zu suchen. Das beweist allein ein Blick auf die Sieger des vorliegenden MIXOLOGY Taste Forums: Es ist eine gute Zeit, um Champagner für sich zu entdecken, nicht als festliches Getränk, sondern primär als ernstzunehmenden Wein.
Der beste Champagner: Mycorhize Grand Cru von Sousa et Fils
Insgesamt wurden 13 Champagner im MIXOLOGY Taste Forum blind verkostet. Hier die drei Erstplatzierten:
1. Platz: De Sousa et Fils Cuvée Mycorhize Grand Cru (98 Punkte – Excellent)
Ein Blanc des Blancs aus 60 Jahre alten Reben, die von der Familie de Sousa auf Grand-Cru-Lagen nach »demeter«-Richtlinien bewirtschaftet werden. Ein gekonnt inszeniertes, komplexes Aromenspiel. Die Nase deutet auf Spontanfermentation hin. Der Wein ist modern und ungewöhnlich, cremig, oxidativ und funky. Dieser Avantgarde-Champagner ist mit großem Abstand Favorit der Verkoster.
2. Platz: Agrapart & Fils Extra Brut Terroirs Blanc de Blancs (90 Punkte – Very Good)
Die Silbermedaille geht ebenfalls an einen biodynamisch arbeitenden Familienbetrieb von der Côte des Blancs. Auch hier wurde der Chardonnay spontan fermentiert. Eine opulente Nase mit Landbrot und gerösteten Nüssen. Am Gaumen Macadamia und Apfelkerne, mit einem langen, knackig-sauren Finish. Ein cremiger und ausdrucksstarker Champagner mit guter Dramaturgie.
3. Platz: André Heucq Héritage Assemblage Extra Brut (90 Punkte – Very Good)
Der Preis-Leistungssieger des Tastings ist eine ortstypische Cuvée aus Chardonnay, Pinot Noir und Meunier. Der Wein lag 5 Jahre auf der Hefe und ist Bio-zertifiziert. Ein voluminöses Aroma, man riecht Shortbread und reifes Fallobst. Am Gaumen Honigmelone und kandierter Apfel, abgerundet von einem säurebetonten Abgang. Ein Champagner mit Grip, der auch in Drinks funktioniert.
Bartender als Gatekeeper in die Champagner-Welt
In der abschließenden Diskussion bestätigte sich, dass es zwar eine große Nachfrage nach Zéro Dosage und Extra Brut Champagner gibt – die Champagner-Trinker scheinen aber nach wie vor in zwei Lager gespalten: Zum einen ist da der gelegentliche Konsument, der vor allem zu besonderen Anlässen trinkt und aus Unwissenheit auf bekannte Namen setzt. Daneben gibt es den Connaisseur, der Champagner eher als Wein begreift und ein genaues Verständnis davon hat, was er trinken möchte.
In beiden Fällen kann sich der Bartender als Gatekeeper begreifen. Wie bei Spirituosen sollte man sich Gedanken über das Champagner-Angebot der eigenen Bar machen und entsprechend beraten können. Noch nie bot die Region eine so große und spannende Auswahl wie heute, und das außerdem zu vollkommen fairen Preisen!
Hinweis: Das MIXOLOGY Taste Forum fand unter Einhaltung der aktuellen Hygienevorkehrungen in der Green Door Bar in Berlin statt. In einer doppelten Blindverkostung bewerteten Willi Schlögl (Bar Freundschaft), Magdalena Karkosz (Schumann‘s), Helen Mol, Nikolaus Mueller-Hauszer (Viniculture), Nancy Großmann (Rutz), Felix Fuchs (Tulus Lotrek) und Nicholas Pratt (Restaurant Cordo) die zuvor ausgewählten Champagner Extra Brut. Die genauen Regularien des MIXOLOGY Taste Forums finden Sie hier.
Geleitet wird das MIXOLOGY Taste Forum von Green-Door-Barchefin Maria Gorbatschova. Der Text stammt ebenfalls von Maria Gorbatschova, wurde für diesen Online-Artikel jedoch wesentlich gekürzt. Das Original findet sich in der Print-Ausgabe von MIXOLOGY 5-2020 – dem Magazin für Barkultur. Information zur Bestellung findet sich hier.
Credits
Foto: Editienne