Die rote Wahrheit: Welcher Gin ergibt den besten Negroni?
Wenn man Bartender:innen nach ihrer ersten großen Cocktail-Liebe befragt, ist der Negroni häufig ganz weit vorne. Seine Genialität liegt in der einfachen Rezeptur und vielleicht auch in der anfängerfreundlichen Zubereitung. Er ist ein Gateway in die Welt der bitteren Drinks und trotz seiner Komplexität catchy und zugänglich.
Wir werden die Historie des Drinks an dieser Stelle nicht erneut aufrollen, wer eine historische Abhandlung möchte, kann dies an dieser Stelle unserer umfangreiche Serie Die Geschichte des Cocktails nachlesen.
Uns geht es schlicht um die Frage: Welcher Gin ergibt den besten Negroni? Viele Bartender:innen bestätigen, dass der Negroni ein Drink sei, der viel geordert wird – unabhängig davon, ob er auf der Karte stehe oder nicht. In vielen Cocktailbars dürfte er unter den Top Ten der meistverkauften Drinks landen, die meisten Bargäste gehen selbstverständlich davon aus, dass man den Drink in einer guten Bar bekommt. Man scherzt darüber, dass es im Grunde schwierig sei, einen wirklich schlechten Negroni zu bekommen. Vielleicht macht gerade diese Qualität ihn zu dem Klassiker, der er ist: Irgendwie geht die Rechnung immer halbwegs auf, bei Wermut und Gin sind viele Varianten möglich und selbst mit Eis von zweifelhafter Qualität funktioniert er. Aber der Drink hat ebenso eine große Fanbase, die Unterschiede durchaus zu schmecken weiß, und mit einem überdurchschnittlich guten Negroni kann man schnell einen Stammgast gewinnen. Eine tiefere Auseinandersetzung mit der Materie lohnt sich also durchaus.
Die Runde ist sich einig: Ohne Campari geht das nicht.
Für einen klassischen Negroni, so ist man sich nahezu einig, ist Campari nicht wegzudenken. Wenige Drinks sind derart mit einem bestimmten Produkt verbunden. Variationen sind zwar denkbar, aber sollten zumindest nicht ohne Vorwarnung serviert werden. Ohne die ikonische rote Farbe und den typischen Campari-Geschmack ist ein Negroni für viele Gäste überhaupt nicht als solcher zu erkennen. Was den Gin anbelangt, wünschen sich unsere Verkoster eher klassische London Drys, der Wacholder sollte im Drink präsent sein. Über Zitrusaromen in der Spirituose ist man sich uneinig, klar ist jedoch, dass New Western Gins für den Einsatz im klassischen Negroni rausfallen. Entsprechend sieht auch unsere Gin-Auswahl für die Blindverkostung aus: Neben klassischen Pouring-Produkten und Bartender-Favoriten schaffen es auch ein paar recht neue Gins ins Tasting.
Natürlich wird ein Negroni nicht nur von der Gin-, sondern auch von der Wermut-Wahl maßgeblich beeinflusst. Die Auswahl ist mittlerweile riesig, traditionsgetreu ist der Einsatz von rotem, italienischem Wermut. Schließlich kommt der Drink aus Italien und wurde dort mit eben diesem zubereitet. Alternativen aus anderen Ländern sind häufig etwas trockener und weniger körperreich, das kommt der Balance des Negroni nicht immer zugute. Stilistisch kann man als Bartender bewusst mit den Grundzutaten spielen, sollte aber dennoch um die Klassik wissen. Der Wermut muss eine Brücke zwischen Gin und Campari schlagen können, ein guter Negroni schmeckt wie aus einem Guss, die drei Zutaten müssen sich zu mehr als der Summe ihrer Einzelteile zusammensetzen.
Für unser Tasting haben wir uns für Antica Formula entschieden, einem Favoriten vieler Bartender, wenn es um Negronis geht. Die Rezeptur aus dem Jahre 1786 soll von Antonio Benedetto Carpano stammen, der Wermut ist opulent, vollmundig und eher auf der süßen Seite. Im Negroni bedient er die Erwartungen derer, die einen cremigen, karamelligen Drink zu schätzen wissen.
Negroni im klassischen Verhältnis zu gleichen Teilen
Verkostet wird im klassischen Verhältnis von allen Zutaten zu gleichen Teilen. Zugunsten der Vergleichbarkeit variieren wir im Taste Forum nicht in den Rezepturen, an der Bar können Experimente mit dem Verhältnis durchaus ratsam sein. Häufig wird beispielsweise der Gin-Anteil etwas erhöht beziehungsweise etwas am Campari oder Wermut gespart. Das kann helfen, um eine trockenere Balance zu erreichen, den Drink aufzufrischen oder auch dem verwendeten Gin mehr Raum zu geben. Derartige Variationen werden von unseren Verkostern befürwortet.
Da ein Negroni im Grunde ausschließlich auf Eis serviert wird, entscheiden wir uns dazu, die Drinks genauso, also auf Eis in Fünf-Minuten-Abständen zu servieren. Gerade bei einem Negroni ist es wichtig, wie sich der Drink mit zunehmender Verwässerung entwickelt. Die sonst obligatorische Garnitur aus Orangenzeste oder -scheibe wird weggelassen, um naturbedingte Variationen des Aromas zu vermeiden.
Ein überraschender Sieger aus Deutschland
Am besten den Negroni Pre-Batchen
In der Reflektion der Verkostung philosophiert die Runde über den perfekten Negroni. Als einer der beliebtesten Tweaks wird ein hauseigener Wermut-Mix genannt. So kann man exakt steuern, wie der Weinanteil im Drink wirkt und eine feine Balance oder auch mehr Komplexität erreichen. Wer beispielsweise Martini Rubino allein als zu trocken empfindet, kann ihn mit einem cremigen, süßen Wermut blenden. Damit erschließt man sich noch mal zahlreiche Möglichkeiten des Fine Tunings.
Den Negroni komplett zu premixen und nur noch vor dem Servieren kurz kaltzurühren, wird beispielsweise von Florian Drucks-Jacobsen und Laura Maria Marsueschke empfohlen. Zum einen macht es aromatisch Sinn, da die Zutaten sich so nach kurzer Zeit noch besser verbinden, zum anderen beschleunigt es den Service in einer vollen Bar enorm, vor allem wenn der Drink besonders häufig über den Tresen geht. Wie angebrochener Wermut sollte auch ein vorgemixter Negroni gekühlt aufbewahrt werden. Manch ein Bartender setzt gern einen Dash Salzlösung im Negroni ein. Um das stilsicher zu können, muss man zuerst einmal verstehen, was Salz in diesem Fall bewirkt. In süß-bitteren Lösungen wie dem Negroni vermindert es den Eindruck der Bitterkeit, die Süße tritt dadurch stärker hervor. Das kann bei sehr bitterbetonten Zutaten Sinn machen. Bei einem ohnehin schon süßen Wermut kann es aber den Schritt von »balanciert« zu »klebrig« bedeuten.
In einem kann man sich einig sein: Negroni ist gekommen, um zu bleiben. Neben diesem Drink hinterlässt uns Graf Negroni die Lehre, dass ein gelungener Barabend auch 100 Jahre später nachhallen kann.
Der Text enstammt der Printausgabe von MIXOLOGY 5-2021, dem Magazin für Barkultur. Er wurde für diese Wiederveröffentlichung formal stark adaptiert und verändert. In der originalen Ausgabe gab es auch einen zweiten Negroni-Flight mit Martini Riserva Speciale Rubino als Wermut. Information zur Bestellung eines Einzelheftes finden sich hier, Informationen zu einem Abonnement hier.
Die Teilnehmer:innen der doppelten Blindverkostung waren Nicholas Pratt, Florian Drucks-Jacobsen (Fabelei), Benjamin Hanke (Velvet), Laura Maria Marsueschke (Thelonious Bar) und MIXOLOGY Taste Forum-Leiterin Maria Gorbatschova (Green Door Bar).
Credits
Foto: Editienne